Kardinal Schönborn: Ausgetretene sind trotzdem gläubig
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn glaubt nicht, dass mit den Kirchenaustritten der Glaube in Österreich verloren geht. Die große Zahl der Kirchenaustritte besorge ihn zwar, "aber nicht so sehr, was das Faktum des Glaubens betrifft“, sagte der Erzbischof in einem Interview der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" am Sonntag. Ausgetretene sagten ihm stattdessen immer wieder, dass sie weiterhin gläubig seien. Auch sei er davon überzeugt, dass es immer Menschen geben werde, die die Kirche als die Gestalt entdecken, in der sie ihren Glauben leben wollten. Es gebe ein gewisses religiöses Grundwasser in Österreich, dessen Spiegel vielleicht abgesunken sei, "aber es ist da".
Für den weltweiten synodalen Prozess, den der Wiener Kardinal als Mitglied im Synodenrat des Vatikans begleitet, bat er um Geduld. "Reformen brauchen ihre Zeit, und die menschliche Gemächlichkeit und Sündhaftigkeit machen Reformprozesse etwas mühsam." Es gehe darum, "dass diese Gemeinschaft sich der Herausforderungen der Zeit besinnt und die Bereitschaft findet, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden". Synodalität bedeute, gemeinsam einen Weg zu gehen, erinnerte Schönborn. Es sei weder etwas Neues, noch habe es eine absolute Erfolgsgarantie, aber "es ist notwendig, wieder einen Schritt der Erneuerung zu setzen", so Schönborn.
Trotz Corona – Kirche war für die Menschen da
Der Kardinal rechtfertigte im Interview auch die Maßnahmen von Staat und Kirche während der Corona-Pandemie. Er habe Corona-Kritikern immer wieder entgegnet, dass es keine selbstherrlichen Maßnahmen des Staates gewesen seien, sondern solche, "um das Schlimmste zu vermeiden", so der Kardinal weiter. Es habe zwar starke Beschränkungen bei den Gottesdiensten gegeben, aber keine Kirchenschließungen. Im Gegenteil habe man die Kirchen bewusst offengehalten. "Wir haben ermutigt: Geht in die Kirche, ihr dürft nicht in Gruppen sein, aber ihr dürft einzeln in die Kirchen gehen", so Schönborn.
Die während der Corona-Pandemie um sich greifende Wissenschafts-Skepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit bereite ihm "ganz große Sorge", sagte der Kardinal. Das verloren gegangene Vertrauen in die Ernsthaftigkeit von wissenschaftlicher Forschung könne auch nicht durch Glauben ersetzt werden. "An die, die jetzt lautstark Wiedergutmachung fordern, erlaube ich mir die Rückfrage", so der Kardinal: "Wo war die staatstragende Haltung während der Pandemie? Wie soll eine Regierung in einer so krisenhaften Situation für das Gesundheitswesen des Landes Sorge tragen, wenn ein ganzer Teil der Bevölkerung sich verweigert, den Maßnahmen der Regierung Folge zu leisten?" Gegenüber Verschwörungstheorien hält er fest, dass die Politik im Großen und Ganzen weltweit nach bestem Wissen und Gewissen Maßnahmen gesetzt habe – "für die Menschen".
Schönborn ist seit 1995 Erzbischof von Wien. Damals folgte er dem wegen eines Missbrauchsskandals zurückgetretenen Erzbischof Hans Hermann Groër nach. Von 1998 bis 2020 war Schönborn Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz. Im Oktober 2019 bot er seinen Amtsverzicht an. Papst Franziskus nahm dieses Angebot jedoch nicht an und beließ Schönborn im Amt. Der 78-Jährige gehört seit 2018 dem Rat des Synodensekretariats an. Im Oktober 2023 soll die 16. Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode in Rom tagen. (msp)