Für unterschiedlichste Zwecke vereinnahmt

Ein konstruierter Europäer: 1275. Geburtstag von Karl dem Großen

Veröffentlicht am 02.04.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Arens (KNA) – Lesedauer: 

Aachen ‐ Geburtsort unbekannt: Karl der Große gibt Historikern viele Rätsel auf. Fest steht, dass seine Regentschaft bis heute Auswirkungen hat. Auch wenn sein Titel als Gründervater Europas konstruiert erscheint und mit vielen Widersprüchen verbunden ist.

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Wer war Karl der Große? Fränkischer König und Kaiser, Heiliger, Sachsenschlächter, als Charlemagne Urvater Frankreichs oder Gründervater Deutschlands? Seit Jahrhunderten ist der berühmteste mittelalterliche Kaiser für unterschiedlichste Zwecke vereinnahmt worden – bis hin zum Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, dessen Familie 2020 den Familienstammbaum auf den Frankenherrscher zurückführte. Noch heute ist Karl/Charles/Carlos der wohl am häufigsten gewählte Königsname in Europa – bis hin zum britischen Monarchen Charles III., der im Mai gekrönt wird.

Dabei, so der Frankfurter Mittelalter-Historiker und Biograf des Frankenherrschers Johannes Fried, kann die Lebensgeschichte des Karolingers im Grunde gar nicht geschrieben werden. Privates ist kaum überliefert, schreibt er in seiner 2014 erschienenen Biografie "Karl der Große. Gewalt und Glaube". Nicht einmal das Geburtsjahr – 747 oder 748 – und der Geburtsort sind genau bekannt. Gefeiert wird dennoch in diesem Jahr: Die Bundesregierung lässt eine 2-Euro-Gedenkmünze zum 1.275. Geburtstag Karls des Großen zum Datum 2. April 748 prägen.

Dass man Karl, dem erst um das Jahr 1.000 der Beiname "der Große" zugesprochen wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg zum Gründervater Europas erkoren habe, sei unhistorisch, betont Fried. Auch wenn der Frankenherrscher mit dem Denar eine einheitliche Währung im Fränkischen Reich schuf, die gern mit dem Euro verglichen wird. Doch Karl war Franke – und nicht Franzose, Deutscher oder Europäer. Er verbrachte ein Leben im Sattel und ritt dabei mehr als einmal um den Globus.

Taten wirken bis heute

Seine Taten wirken dennoch bis heute: Mönche wurden dazu verpflichtet, Handschriften zu sammeln und Bücher zu kopieren. Antike, überwiegend weltliche Handschriften blieben so der Nachwelt erhalten. Die Wiederentdeckung des Lateinischen, die heutige Form des Kalenders und der Schrift sind vom Aachener Hof und den dort versammelten Gelehrten ausgegangen. Karl habe mit seiner Bildungsreform und seiner Wertschätzung der Wissenschaft – etwa die Wiederentdeckung der Logik und Dialektik des Aristoteles – Grundlagen für das heutige Denken gelegt. Eine "Karolingische Renaissance" nach Jahrhunderten des Niedergangs der antiken Kultur.

Bild: ©Adobe-Stock/Takashi Images

Der Thron von Karl dem Großen ist bis heute im Aachener Dom zu bestaunen.

Karl regierte über vier Jahrzehnte, und fast ununterbrochen führte er Kriege. Im Süden kämpfte er zusammen mit dem Papst gegen die Langobarden. An der Westgrenze schlug Karl nach Feldzügen über die Pyrenäen die dort ansässigen Mauren. Am längsten boten die Sachsen, die sich vehement der Christianisierung widersetzten, dem Frankenkönig die Stirn. Erst nach einem letzten Aufstand 804 war der Widerstand vollends gebrochen.

Karl sah sich selbst als legitimer Nachfolger der römischen Kaiser. An Weihnachten 800 empfing er vom Papst in Rom die kaiserliche Salbung – was in Byzanz, das sich ebenfalls als Nachfolgerin des Römischen Reiches sah, auf wenig Gegenliebe stieß.

Ein Genussmensch

Fried beschreibt den Karolinger als einen Genussmenschen, der gerne in den warmen Wassern von Aachen badete: "Eine erfrischende Sinnlichkeit durchzog sein Dasein." Andererseits attestieren Biografen dem Frankenherrscher auch heimtückische Züge. "Gier, Machtkämpfe, Gewalt und Eidbruch regierten die Welt, in der Karl erzogen wurde", schreibt Fried. Und Stefan Weinfurter überschreibt seine Biografie mit dem Titel "Der heilige Barbar".

Aus heutiger Sicht ist kaum nachvollziehbar, wie der Franke Frömmigkeit und Brutalität vereinbaren konnte – etwa bei der Ausschaltung von Rivalen oder bei der drakonischen Christianisierung der Sachsen. Als einen Schlüssel seines Handelns sieht Fried die damalige Herrschaftsauffassung. Karl lebte in der Angst vor dem Ende der Welt. Und im Jüngsten Gericht würde er nicht nur für seine eigenen Sünden zur Rechenschaft gezogen, sondern für alle Missstände in seinem Reich. Deshalb die Förderung von Kirchen, Klöstern und Gottesdiensten.

Der Karolinger starb mit 66 Jahren am 28. Januar 814 in Aachen vermutlich an Lungenentzündung; dazu litt er an Gicht und Knochenarthritis. Am 29. Dezember 1165 ließ Kaiser Friedrich Barbarossa Karl in Aachen heilig sprechen – der Versuch, die Dynastie der Staufer und ihr Reich aufzuwerten.

Von Christoph Arens (KNA)