Ein katholischer Theologe im "neuen Babylon"

Lehrreiche Zeit: Vor 100 Jahren wurde Guardini Professor in Berlin

Veröffentlicht am 10.04.2023 um 12:19 Uhr – Von Simon Kajan (KNA) – Lesedauer: 

Berlin ‐ Romano Guardinis Werk hat bleibende Aktualität – und ist eine große Inspirationsquelle für Papst Franziskus. Vor 100 Jahren wurde der berühmte Theologe an die Berliner Universität berufen worden. Das dortige Umfeld prägte sein Schaffen.

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Als der eher in den Randgebieten des "Reichs" aufgewachsene Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini (1885-1968) seinen Ruf an die Friedrichs-Wilhelms-Universität erhielt, hatte das moderne Berlin den Ruf eines neuen Babylon. Es war die drittgrößte Stadt der Welt nach New York und London, zugleich korrupt und golden wie das Babylon der Bibel. Der Kontrast zum beschaulichen Mainz, seinen Vorkriegserfahrungen im noch königlich regierten München oder in Tübingen können für den feinsinnigen Akademiker nicht größer gewesen sein.

Und auch das akademische Umfeld der Stadt wollte den jungen Theologen und katholischen Priester kaum aufnehmen. "Für die Universität war ich der vom Zentrum aufgezwungene Propagandist der katholischen Kirche, welcher an der 'Hochburg des deutschen Protestantismus' nichts zu suchen habe, und sie zeigte mir das auf jede Weise", erinnerte er sich später. Zugleich wurden die Berliner Jahre für Guardini genau deswegen lehrreich, da er gelernt habe, in einer fremden Atmosphäre über die Wahrheit des Glaubens zu sprechen. Und das gab seinem Schaffen eine Inspiration, die seinen Werken bleibende Aktualität vermittelten wie kaum einem anderen theologischen Autor dieser Zeit.

Geprägt durch Jugendbewegung

Zuvor prägte den jungen Priester die katholische Jugendbewegung. Wohl hier gewann er seine Erfahrungen als Erzieher, die sein Denken generationenübergreifend prägend werden lassen sollte. Dazu zählen beispielsweise seine Erfahrungen auf Burg Rothenfels als Zentrum der Jugendbewegung Quickborn, die sich als katholischer Zweig des Wandervogel begriff.

"Die rechte Einstellung der Seele zu Gott, zu sich selber, zum Mitmenschen, zur Natur ist Ziel des Quickbornstrebens", so drückte die Bewegung ihr Selbstverständnis 1921 aus. Dies nimmt die Grundsätze der Jugendbewegung auf, aber eben in freier Wahl der religiösen Bindung. Ein Weltzugang, der auf Guardini Einfluss gewann – auch für seine akademische Tätigkeit in Berlin.

Bild: ©Burg Rothenfels

Geprägt wurde Romano Guardini besonders von der katholischen Jugendbewegung Quickborn, die auf der Burg Rothenfels im Maintal ihr Zentrum hatte.

Dort erwartete den gelernten Bonner Dogmatiker ein Lehrstuhl für "Katholische Weltanschauung", der gerade erst errichtet worden war. Eine einzigartige Aufgabe für den jungen Theologen, die er wusste mit für die Zeit ungewöhnlichen Fragestellungen anzugehen. Seine Vorlesungen befassten sich mit dem christlichen Verständnis von Gott, dem Menschen, dem Kosmos, mit anderen Religionen und Literatur. Er rezipierte, womit sich die Universität beschäftigte und stellte es unter das Maß des Katholischen. Damit weckte er Interesse über die katholischen Kreise hinaus.

Auch befasste sich Guardini eingehend mit Nietzsche, der auf die Jugend- und Lebensreformbewegung Einfluss hatte. Eine Auseinandersetzung, die seine christliche Anthropologie schärfen sollte und ihr bis hinein in Auseinandersetzungen zum Transhumanismus in der Postmoderne Aktualität verleiht. Nicht zuletzt Papst Franziskus greift immer wieder auf Guardini zurück in Fragen, die sich mit dem Verständnis des Menschen beschäftigen.

Inspiration für späteren Papst

Guardinis Hauptwerk "Der Gegensatz" erschien 1925 und inspirierte den späteren Papst zu einem Dissertationsprojekt zu "polaren Gegensätzen als Struktur des täglichen Denkens und der christlichen Verkündigung". In seiner Lehrverkündigung ist der Religionsphilosoph immer wieder als Referenz angeführt, um das "Unterscheidend Christliche" (Guardini) herauszuarbeiten.

Damit zählt Guardini zu den einflussreichsten katholischen Denkern des 20. Jahrhunderts. Als führende Gestalt der liturgischen Bewegung bereitete er der Erneuerung vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) den Weg. Wie nur wenigen gelang ihm der Brückenschlag zwischen moderner Lebenswelt und religiöser Symbolik, zwischen Glauben, Wissenschaft und Kunst, nicht zuletzt durch die spannungsreichen Jahre in Berlin, die 1939 mit seiner Zwangspensionierung endeten.

Bereits 1945 wurde er an die Universität Tübingen berufen, 1948 folgte er einem Ruf der Ludwig-Maximilians-Universität nach München, wo er erneut Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie lehrte. Seit dem Wintersemester 2004/05 gibt es an der Humboldt Universität Berlin eine Guardini-Professur, die heute zum neuen Zentralinstitut für Katholische Theologie gehört.

Von Simon Kajan (KNA)