Ein aufgegebenes Kloster wiederbeleben? Pfarrer Rose packt mit an
Seit einem halben Jahr ist Pfarrer Andreas Rose der Geistliche Leiter in der früheren Trappistenabtei Mariawald. Im zweiten Stock des ehemaligen Klosters wird er ein einfaches Appartement beziehen, dort, wo früher die Mönche lebten. Die Tür zur Kirche lässt er tagsüber offen. Das ist ihm wichtig, erzählt er bei einem Besuch vor Ort, denn fast fünf Jahre war hier außer dem Klosterladen und der Klostergaststätte alles geschlossen. "Viel zu lange", meint der Geistliche. Nun will er mit einem Team die Abtei "wieder beleben". Früher war er jahrelang als Pfarrer im Bistum Essen beschäftigt. Heute nennt er sich Bruder Andreas. Dies passe besser hierher. Er trägt ein Holzkreuz um den Hals und zeigt die Klosterkirche.
Bis vor fünf Jahren lebten in der ehemaligen Abtei Mariawald noch fünf Trappistenmönche. Sie gehörten zu einem der strengsten Ordensgemeinschaften der katholischen Kirche. Doch innerlich war die Gruppe der Mönche zuletzt zerrissen. Weil die einen die Liturgie und das Stundengebet nach dem alten Ritus, also lateinisch, gefeiert haben, und die anderen das nicht wollten, zerbrach daran wohl die Gemeinschaft. 2018 wurde die Abtei offiziell geschlossen und die Gemeinschaft aufgelöst. Zwei der ehemaligen Mönche leben heute noch in einem Altenheim in der Nähe. Sonntags kämen die beiden ab und zu noch in den Gottesdienst, erzählt Rose. Ein weiterer Mönch sei in der Zwischenzeit verstorben und die beiden jüngeren Mönche sind von Mariawald weg nach Tschechien gezogen. Ein Grund war wohl, dass sie dort in einem Kloster leben, in dem noch die Messe und das Stundengebet nach dem alten Ritus gefeiert werden, vermutet der Pfarrer.
Auf dem Parkplatz vor der Kirche kommen immer wieder neue Besucher an. Die Klostergaststätte und der Klosterladen sind geöffnet. Auch der berühmte Klosterlikör wird weiterhin hier hergestellt und verkauft, sagt der Pfarrer nicht ohne Stolz. Das alles habe die Mariawald GmbH mit Familie Scheidtweiler als Partner ermöglicht, die das Kloster von der Trappistengemeinschaft, der das Kloster eigentlich noch gehört, mitsamt den Wirtschaftsbetrieben gepachtet hat. Die Klosterkirche ist dem Bistum Aachen unterstellt. Die Sonntagsmessen teilt sich Andreas Rose daher mit dem Rektor der Kirche, Professor Blumenthal aus Bonn.
Es ist kurz vor 10 Uhr. Die Kirchenglocken ertönen. "Viele Leute freuen sich so, dass die Glocken wieder läuten", sagt Pfarrer Rose und läuft in die Kirche. Fast alle Kirchenbänke sind besetzt. Die Chorschranke ist geöffnet. Auch im Chorgestühl haben einige Gottesdienstbesucher Platz genommen. Früher saßen dort vorne nur die Mönche. Pfarrer Rose begrüßt die Menschen freundlich. "Hier ist noch viel Platz", sagt er und stellt sich neben eine Familie mit Kindern. Ein Mann sagt die Liednummer an, die Orgel erklingt, der Gottesdienst beginnt.
In der ehemaligen Klosterkirche in Mariawald ist ein Aufbruch spürbar. Der Pfarrer dreht sich während der Messe immer wieder zu den Menschen links und rechts von ihm. Er lädt einzelne Kinder ein, Aufgaben zu übernehmen. Ein Kind hält das Weihrauchfass. Ein Junge will nicht mitmachen. Sein Großvater springt ein. Was der Pfarrer predigt, geht zu Herzen. Er strahlt eine zuversichtliche Offenheit aus. Vielleicht genau das, was man hier schon länger vermisst hatte. Zur Kommunion kommen so viele, dass der Pfarrer nochmals zum Tabernakel muss, um Hostien zu holen.
Manches wirkt improvisiert, aber ehrlich. Nach dem Gottesdienst redet Pfarrer Rose lange mit den Leuten. Der Seelsorger wirkt so, als habe er alle Zeit der Welt, er bleibt. Danach kehrt der Geistliche mit einem Besen den Kirchenvorplatz. Er redet mit den Pilgern vor der Kirche. Dann läuft er in die Klostergaststätte. Er räumt benutztes Geschirr von den Tischen, läuft in die Küche, wischt danach einen Tisch ab. Er macht das so selbstverständlich, als ob er es jeden Tag tun würde. Die Klosterkneipe ist voll. Manche essen die typische Mariawalder Erbsensuppe und trinken dazu das Klosterbier. "Unser eigenes", schwärmt der Pfarrer. Die neue Brauerei soll nach dem Umbau auch auf dem Klostergelände stehen. Der Umbau hat schon begonnen, ein Absperrband flattert im Wind.
"Wenn alles klappt, können die ersten Gäste schon im Spätsommer hier übernachten", freut sich Rose. Kurse, Exerzitien, Wanderungen, Tagungen: All das hat der Geistliche für Mariawald geplant. Es ist 12 Uhr, Zeit für das Mittagsgebet. "Der Trappistenpsalter, 10 Minuten." So steht es handgeschrieben auf einem Plakat in der Kirche. Bruder Andreas spricht noch ein paar Besucher vor der Kirche an. Zwei Frauen setzen sich in die Kirchenbank. Pfarrer Rose zieht an der Kirchenglocke und betet den Angelus. Danach holt er ein braunes Buch aus der Sakristei. Es ist groß, schwer und hat zwei Holzdeckel. "Das haben die Mönche hiergelassen", erklärt er. Jahrzehntelang haben die Mönche täglich mehrfach damit gebetet, jetzt will es der Geistiche weiterbenutzen. Er liest die Psalmen laut vor. Danach trägt er das Buch wieder in die Sakristei, ein großer Raum mit vielen Schränken. "Vor Jahrzehnten waren hier bis zu 100 Mönche", meint er, "da brauchte es schon so eine große Sakristei". Pfarrer Rose zeigt eine Tafel mit Namensschildern. Damit wurden früher die Dienste für die Mönche eingeteilt. Nur die Schilder der letzten fünf Mönche fehlen. Ein kleines Kärtchen hat er selbst dazugestellt. Darauf steht: "Bruder Andreas, Zelebrant". In einem Schrank in der Sakristei hängt ein löchriges Messegewand, die Trappisten haben es bis zuletzt aufgetragen. "Typisch Trappisten!", sagt Rose.
"Ich führe sie nun dorthin, wo früher kein Mensch reindurfte", eröffnet er seine Führung durch das Kloster. Eine kleinere Gruppe wartet. Es geht in die frühere Klausur der Trappistenabtei. Ein Mann sagt laut: "Da haben wir jetzt aber Glück gehabt, dass wir da mitkönnen" und dann geht es hinter die Klostermauern, in den Kreuzgang. "Oben wurde geschlafen, unten gebetet und gegessen", erklärt der Pfarrer. Üblicherweise verbrachte ein Trappistenmönch sein gesamtes Leben hier im Kloster. Im Kapitelsaal sieht man einen großen Holzstuhl auf drei Treppen gestellt. Der frühere Sitz des Abtes, erklärt Rose. Davor an der Wand ein paar Holzhocker für die übrigen vier Mönche. Gleich daneben ist der ehemalige Speisesaal, das Refektorium. Der Holztisch ist gedeckt, so, als würden die Mönche gleich zum Essen reinkommen. Stoffservietten, Holzbesteck und jeweils eine Schüssel aus Edelstahl. Daneben die Schilder, auf denen noch die Namen der Mönche zu lesen sind, die bis zuletzt hier waren. Weil einer der Mönche in der Zwischenzeit verstorben ist, steht an seinem Platz ein Holzkreuz. Warum das alles hier noch herumstehe, will ein Besucher wissen. "Noch möchte ich alles so lassen, wie es die Mönche hinterlassen haben", erklärt Pfarrer Rose. "Bis zum Umbau", fügt er hinzu.
Die Stimmung unter den Besuchern ist gedrückt. Einer klingelt noch schnell mit der Tischglocke. So, als ob er prüfen würde, ob alles echt ist. An einem der Tische, an dem früher der Vorbeter saß, liegt eine Armbanduhr. Sie ist stehengeblieben. Die Gruppe geht an einer schwarzen Totenbahre vorbei. "Trappisten leben jeden Tag mit dem Bewusstsein, dass es ihr letzter sein könnte", so der Pfarrer. Üblicherweise werden Trappistenmönche im Habit begraben. Ohne Sarg. Eigentlich ist das in Deutschland verboten, merkt ein Besucher an. In Mariawald war es ausnahmsweise erlaubt, "weil der Klosterfriedhof hinter den Mauern lag und privat war", erklärt Pfarrer Rose.
Draußen im Klosterinnenhof lauscht die Gruppe der Stille. "Das nannten die Mönche ihr Paradies", erklärt der Geistliche. Ein paar Kinder ziehen an der großen Glockenschnur im Kreuzgang. Weil Trappistenmönche nur wenig miteinander reden, diente diese Glocke dazu, sie zum Gebet zu rufen oder zum Essen. Es gibt sogar eine eigene Gebärdensprache für Trappisten, sagt der Pfarrer und zeigt ein Plakat, das im früheren Umkleideraum des Klosters hängt. Er liest laut vor: "Den Zeigefinger unter die Nase legen: Ein dunkles Bier, bitte." Ein paar lachen.
An den Kleiderhaken im Umkleideraum hängen mehrere weiße Alben. Die Mönche haben sie für immer da abgelegt. An einem Haken stecken noch ein Paar Socken und abgetretene Schuhe. "Es war ein hartes Leben im Kloster", meint Pfarrer Rose. Die Mönche hatten sich früher komplett selbst versorgt mit Garten und Bauernhof. "Sie hatten Milchkühe für die Milch und den Käse, aber das Fleisch haben sie nicht gegessen, denn Trappisten leben vegetarisch“, erklärt Rose. Er zeigt auf den Kalender an der Wand. Der ist aus dem Jahr 2018. Dort ist mit Handschrift der letzte Tag der Mönche in Mariawald eingetragen: "19. Juli: Abfahrt Vyšší Brod." Das ist ein Kloster in Tschechien. Die Führung ist zu Ende.
"Darf man das eigentlich, das früher verborgene Leben der Mönche der Öffentlichkeit zeigen?", fragt eine Besucherin nach. "Die Schlafzimmer zeige ich ja nicht", erklärt der Pfarrer, "und die Mönche leben nicht mehr hier, sie sind ausgezogen", daher sei es in Ordnung. Die Führungen kämen sehr gut an. An den Wochenenden nehmen bis zu 150 Leute daran teil. Für die längere Führung bezahlt man eine Kleinigkeit. "Vielleicht können Sie alle hier schon ab Sommer übernachten", schließt der Pfarrer die Führung ab. "Damit ich nicht allein hier bin", lacht er. Vielleicht können Sie dann in einer originalen schlichten Trappistenzelle übernachten, überlegt er laut. Rose wirkt ruhig, besonnen. Jetzt läuft die nächste Gruppe in das Kloster hinein. Der Pfarrer grüßt freundlich: "Kommen Sie nur herein". Auf einem Schild vor der Tür steht noch "Klausur".