Tiefe existentielle Wahrheit: Was von Huub Oosterhuis bleibt
Der niederländische Theologe Huub Oosterhuis war einer der bedeutendsten Dichter geistlicher Lieder der Gegenwart. Am Ostersonntag starb der ehemalige Jesuitenpater im Alter von 89 Jahren. Seine Kunst wird ihn noch lange überdauern – davon ist der Freiburger Musikwissenschaftler und Theologe Meinrad Walter überzeugt: Denn Oosterhuis schrieb Lieder, die einen Sitz im Leben haben – aber weit über den Geist seiner Zeit hinausreichen.
Frage: Professor Walter, am Ostersonntag ist Huub Oosterhuis gestorben. Was bleibt von ihm?
Walter: Viele Facetten werden bleiben. Seine Lieder natürlich. Seine Psalmenübersetzungen. Und es bleibt die Erinnerung an eine inspirierende Persönlichkeit, die offen für künstlerische Dialoge und Begegnungen war.
Frage: Die Psalmenübersetzungen sind hier weniger bekannt als seine Lieder. Was zeichnet diese Arbeiten aus?
Walter: Er tritt damit gewissermaßen in einen existentiellen Dialog mit einem Psalm und lässt die Beterinnen und Beter daran teilhaben. Franz Rosenzweig, der wie Oosterhuis Psalmen übersetzt hat, spricht vom Übersetzer als Diener zweier Herren: Er muss dem Original gerecht werden, und er muss mit seiner Übersetzung in die heutige zeitgenössische Situation hineinsprechen. Diese Gratwanderung gelingt Oosterhuis sehr gut: Er findet neue Perspektiven, und er formuliert die alte Perspektive des Psalms neu.
Frage: Die Lieder von Oosterhuis wirken oft etwas sperrig: Es geht eigentlich immer um Ostern, aber der Blick von Ostern geht immer von Karfreitag aus.
Walter: Ja, seine Lieder sind immer spannungsvoll: Er schaut auf die Bibel, liest aber zugleich im Buch der Natur. Sie sind zugleich sehr biblisch und sehr existenziell. Er schaut auf die Vollendung, aber zugleich auch auf das Leid. Er formuliert etwas und reflektiert, aber stellt zugleich fest: Ich kann gar nichts formulieren, denn ich stehe vor dir mit leeren Händen, Herr. Diese poetisch inszenierte Spannung ist typisch für ihn – und die größte Spannung ist die von Karfreitag auf Ostern hin. Die poetische Qualität seiner Texte macht aus, dass er nicht irgendwelche Thesen aufstellt, dass er nicht belehren will, sondern dass er die Lesenden und Singenden in die Inszenierung der Spannung hineinführt. Seine Lieder sind polyphon. Denken Sie an die "Litanei von der Gegenwart Gottes": Er versucht die Gegenwart Gottes zu beschreiben, und zugleich klingt als Oberton mit, dass keine Beschreibung Gott gerecht werden kann. Das wird nicht einfach als ein Satz neben einem anderen formuliert, das schwingt mit.
Frage: Kaum ein Lied von Oosterhuis klingt so jubilierend wie "Die Steppe wird blühen", das auf einen Vers des Propheten Jesaja zurückgeht. Hat das Alte Testament eine besondere Bedeutung für ihn?
Walter: Ich denke, er versteht Jesus als Sohn der Torah und hat immer die Einheit von Altem und Neuem Bund im Blick. Die Buntheit des Alten Testaments hat ihn gereizt: dass dort nicht alles auf einen Nenner zu bringen ist, die hoch symbolische und spannungsvolle Sprache. Das kommt in seinen Liedern zum Leuchten. "Die Steppe wird blühen" macht nicht den Fehler, der sich in früheren Epochen in vielen Kirchenliedern findet, die auf das Alte Testament Bezug nehmen: Dass in der letzten Strophe immer noch einmal explizit Christus vorkommen muss, quasi um das Alte Testament zu rechtfertigen. Oosterhuis kann alttestamentliche Bilder so stehen lassen, wie sie sind – damit stand er auch theologisch auf der Höhe der Zeit.
Frage: In den 1970ern gab es nicht nur das "sperrige" Neue Geistliche Lied, für das Oosterhuis steht, sondern auch Sakropop und geistlichen Schlager wie von Peter Janssens, der Lieder wie "Wenn das rote Meer grüne Welle hat" geschrieben hat. Das klingt ganz anders. Was unterscheidet diese Strömungen?
Walter: Oosterhuis ist viel stärker in der biblischen Sprache verankert. Es geht ihm weniger darum, klare Thesen zu vertreten, er will vielmehr einen Assoziationsraum mit Symbolen eröffnen. Bei Oosterhuis geht es zwar auch um den Alltag, Alltagsmomente inspirieren seine Texte – sie haben aber einen klaren Ort in der Liturgie, greifen die Liturgie auf und beleuchten sie neu. Die andere Sorte NGL ist für eine Liturgie gemacht, die Alltagsmomente aufgreift und die alltagsgesättigt sein soll. Das führt dann dazu, dass ein Lied wie das Grüne-Welle-Lied doch eher ein Fremdkörper in der Liturgie bleibt – und sehr seiner Zeit verhaftet. Oosterhuis dagegen verweigert sich der Eindeutigkeit, die beispielsweise Lobpreislieder auszeichnet, in denen alles von vornherein geglückt ist. Er hat ein Gespür für die Obertöne des Unvermögens, der Klage, des Unfertigen, das die Singenden dann zu Ende denken müssen. Darin ähnelt er den Psalmen und anderen großen Stücken der Kirchenlieddichtung. Das macht auch seine fortwährende Bedeutung aus: Die Lieder von Oosterhuis können noch lange ausgelotet werden. Was weniger sperrig ist, was in einer bestimmten Zeit sehr eingängig ist, ist auch schnell wieder vergessen.
Frage: Die Lieder von Oosterhuis bleiben auch deshalb, weil einige ins neue Gotteslob übernommen wurden. Das war bei der Revision aber gar nicht so sicher, dass Lieder eines aus seinem Orden ausgeschlossenen und aus der Kirche ausgetretenen Priesters einen Platz im Gesangbuch der Kirche haben.
Walter: Es wurde damals diskutiert, auch deshalb, weil einzelne niederländische Bischöfe das für ihr Bistum ausgeschlossen haben. Aber selbst wenn ein Architekt sich von der Kirche lossagen würde, würde man seine Kirchengebäude ja auch nicht abreißen. Man muss unterscheiden zwischen der Person, die in einer Spannung zur Kirche steht, und deren Lebensweg nicht so geradlinig verlaufen ist, und dem Werk. Seine Lieder haben auch nie Anstoß erregt, weil sie von Oosterhuis stammen. Die Mehrheit der deutschen Bischöfe wollte, wohl einmütig, dass seine Lieder ins Gotteslob kommen. Dass Lieder von dieser Qualität, die so stark rezipiert werden, in ein Gesangbuch gehören, war eigentlich klar. Am Ende war nur ein kleiner kirchenrechtlicher Klimmzug notwendig: Manche Teile des Gotteslobes mussten von Rom approbiert werden, und dann hat man Oosterhuis eben in die Abschnitte einsortiert, für die man keine Genehmigung brauchte. Im Freiburger Eigenteil haben wir eines seiner Lieder, "Der Geist des Herrn hat uns den Anfang neu geschenkt", daher nicht unter "Pfingsten", sondern unter "Schöpfung" aufgeführt. Und so wird es nun häufiger gesungen, als wenn es nur als Pfingstlied aufgeführt würde.
Frage: Kann man denn bei Oosterhuis so stark zwischen Künstler und Werk trennen? In Zeilen wie "Von Zweifeln ist mein Leben übermannt, mein Unvermögen hält mich ganz gefangen", oder "Wer leben will wie Gott auf dieser Erde muss sterben wie ein Weizenkorn, muss sterben um zu leben" klingt doch auch eine Biographie mit Brüchen und Krisen und Veränderungen an.
Walter: Die Lieder können in der Existenz des Autors verankert werden, das stimmt. Sie sind aber nicht einfach ein Spiegelbild der Biographie des Autors. Was Oosterhuis schreibt, ist existenziell fundiert. Es hat aber nur deshalb eine Überlebenschance über den Tag und über die Person hinaus, weil es über die Perspektive des Autors und den konkreten Anlass hinausreicht. "Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr" ist für eine Trauerfeier eines jungen Mannes geschrieben worden. "Solange es Menschen gibt auf Erden" hat Oosterhuis bei einer Radtour mit viel Gegenwind geschrieben. Aber wenn die Erzählung, die Ratio dieser Lieder nur diese konkrete Trauerfeier, diese bestimmte Radtour wäre, dann hätten diese Lieder keine Chance. Sie haben aber eine tiefere Bedeutung, sie sind übertragbar, sie verweisen auf tiefe, existentielle Wahrheiten. Oosterhuis ist das oft geglückt, dass der Ursprung durchscheint, aber nicht das ganze Lied ausmacht. Und deshalb wird man seine Lieder auch noch lange über seinen Tod hinaus singen.
Huub Oosterhuis im Gotteslob
Fünf Lieder und eine Litanei von Huub Oosterhuis wurden in das 2013 revidierte neue Gotteslob aufgenommen:
- Herr unser Herr, wie bist du zugegen (Nr. 414)
- Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (Nr. 422)
- Solang es Menschen gibt auf Erden (Nr. 425)
- Wer leben will wie Gott auf dieser Erde (Nr. 460)
- Gott, der nach seinem Bilde aus Staub den Menschen macht (Nr. 499)
- Litanei von der Gegenwart Gottes (Nr. 557)