Priestermangel als Möglichkeit, das Sakramentsverständnis zu überdenken

CELAM-Beraterin: Ordensfrauen hören in Lateinamerika de facto Beichte

Veröffentlicht am 16.04.2023 um 10:54 Uhr – Lesedauer: 

Zürich ‐ Theologin Birgit Weiler fordert ein Überdenken der Sakramententheologie. In Amazonien sei es schon heute üblich, dass Frauen Sakramente spenden – de facto auch die Beichte. Jedoch sei ihnen die Lossprechung formal nicht möglich. Das sei nicht richtig.

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Die Ordensschwester und Theologieprofessorin Birgit Weiler fordert ein grundlegendes Überdenken der kirchlichen Sakramententheologie. Die Beichte sei "für die Menschen in den ländlichen und städtischen Teilen Amazoniens […] etwas ganz Wichtiges in ihrem Leben und ein zentraler Wert", sagte die Missionsärztliche Schwester dem Portal kath.ch am Sonntag. Aufgrund des Priestermangels übernähmen Ordensschwestern in Lateinamerika oft die Funktion geweihter Seelsorger; sie hörten den Menschen zu und beteten mit ihnen um Gottes Vergebung. "Es sind de facto Beichten, die wir da hören. Aber formal können wir die Lossprechung nicht erteilen", sagte Weiler. Viele Ordensschwestern im Amazonasgebiet empfänden dies als sehr schmerzlich und nicht richtig.

Der Priestermangel biete die Möglichkeit, das Sakramentsverständnis neu zu überdenken, sagte die Ordensfrau. Viele Sakramente könnten in der Amazonasregion nur sehr selten gefeiert werden. So verliere beispielsweise die Eucharistie zunehmend an Bedeutung. Die Mangelsituation könne jedoch zu größerer Gleichberechtigung in der Kirche führen. So gebe es in Lateinamerika Frauen, die offiziell mit der Spendung von Taufe und Krankensalbung beauftragt seien. "Es gibt im Amazonasgebiet Bischöfe, die aus pastoralen Gründen den Standpunkt haben, dass es gar nicht anders geht: weil es einfach keine Priester im Umkreis vieler Gemeinden gibt. Und wenn Menschen schwer krank und Ordensschwestern vor Ort sind, dann spenden diese das Sakrament, um das die Kranken und ihre Familien bitten", erklärte Weiler.

Ordensfrauen betreuen Menschen in entlegenen Gebieten Lateinamerikas

Paraguay, Bolivien, Peru: Hier kommen Schwestern mit einem Geländewagen oder zur Not auf dem Pferd an die entferntesten Orte. Weil es dort keinen Seelsorger gibt, haben sie eine ganz besondere Erlaubnis.

Durch die pastorale Situation in Lateinamerika sei die Frage der "viri probati", erfahrener verheirateter Männer, die zu Priestern geweiht werden können, "drängender als anderenorts". Gemeindemitglieder übernähmen seelsorgerische Aufgaben. Dabei sei jedoch zu vermeiden, eine Zweiklassenpriesterschaft zu schaffen. "Es darf keine Schmalspur-Priesterschaft geben", sagte Weiler. Bewährte Familienväter, die jetzt schon Gemeinden koordinieren, müssten kultursensibel theologisch ausgebildet werden. "Gerade in Amazonien rekrutieren sich die 'viri probati' aus den Reihen der Indigenen. Aufgrund der langen geschichtlichen Erfahrung der Ausgrenzung muss man hier besonders kultursensibel sein." Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass indigene Priester mindere oder weniger fähige Priester oder nicht voll ausgebildete Priester seien.

Auch in Deutschland sehen einige Bischöfe eine Mangelsituation in der Sakramentenversorgung und ermöglichten die Taufspendung durch Laien. Der Vatikan sieht dafür jedoch keinen Spielraum. Das betonte zuletzt der Präfekt des Liturgiedikasteriums, Kardinal Arthur Roche, in einem Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing. Roche verwies auf das geltende Recht, das Laien nur bei Abwesenheit oder Verhinderung eines Klerikers als erlaubte Spender des Sakraments vorsehe. Diese Bedingung sei laut dem Präfekten dann erfüllt, wenn ein ordentlicher Taufspender nicht innerhalb eines Monats erreicht werden könne. Solche Umstände "scheinen in keiner Diözese im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz vorzuliegen, wenn man die Daten des Päpstlichen Jahrbuchs über die zur Verfügung stehenden Kleriker zugrunde legt", ergänzte Roche. Mit der Absage an die Laientaufe, die teilweise bereits in deutschen Bistümern eingeführt worden ist, stieß ein weiterer Beschluss des Synodalen Wegs auf römische Widerstände.

Die Ordensschwester Birgit Weiler (64) lehrt an der Päpstlichen Katholischen Universität (PUCP) in Lima. Sie ist unter anderem theologische Beraterin des Zentrums für pastorale Programme und Netzwerke (CEPRAP) des Bischofsrates von Lateinamerika und der Karibik (CELAM) und Mitglied der Gruppe von Theologinnen und Theologen des CELAM. Weiler war beim Synodalen Weg in Frankfurt zu Gast. (ben)