Es brauche mehr Menschen, die Eucharistiefeiern leiten können

Biesinger: Lehramt schätzt Zölibat höher als Eucharistie

Veröffentlicht am 15.04.2023 um 00:01 Uhr – Von Benedikt Heider – Lesedauer: 
Professor Albert Biesinger
Bild: © privat

Bonn ‐ Der emeritierte Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger schlägt Alarm: Für viele junge Katholiken werde die erste auch die letzte Kommunion sein, wenn sich nichts Grundlegendes am Zölibat ändere. Was das sein könnte, erzählt Biesinger im Interview mit katholisch.de.

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Albert Biesinger beschäftigt sich sein ganzes Leben mit der Erstkommunionskatechese. Doch die Zeiten haben sich geändert. Im katholisch.de-Interview zum Weißen Sonntag schlägt der Theologe Alarm. Es brauche mehr Priester. Interessenten gebe es genug, doch der Zölibat halte sie ab. Biesinger plädiert daher für eine Ausweitung der Zulassungsbedingungen für das Priesteramt. Bei der Amazonassynode 2019 votierten die Synodenväter für die Weihe von verheirateten Familienvätern, sogenannten viri probati. Doch Papst Franziskus folgte dem Vorschlag der Bischöfe nicht. Biesinger hält das für einen Fehler.

Frage: Herr Professor Biesinger, Sie beschäftigen sich seit rund 50 Jahren mit Religionspädagogik und auch mit der Kommunionkatechese. Was hat sich denn in der Zeit verändert?
Biesinger: Vor dem Zweiten Vatikanum, als ich selbst Kind war, waren die Eltern bei der Kommunionkatechese völlig unbeteiligt. Der Pfarrer hat alles gemacht, das war Frontalunterricht. Meine Eltern wurden einberufen, wenn es darum ging, welchen Anzug das Kind trägt und welche Kerze es braucht. Nach dem Zweiten Vatikanum kam es dann zu der Änderung, dass Eltern Kindergruppen leiten. Das waren die sogenannten "Tischmütter". Das war schon ein deutlicher Schritt im Vergleich zu vorher. Aber es war nicht genügend, weil man im deutschsprachigen Raum übersehen hat, dass alle Eltern auf dem Weg zur Erstkommunion und darüber hinaus wichtig sind und dass man von Seiten der Gemeinden alle Eltern bei der Vorbereitung ihres Kindes begleiten und motivieren sollte. Die Erstkommunionkatechese sollte also auf drei Standbeine stehen: Familien, Gemeinde/Liturgie und Kindergruppen.

Frage: Jetzt gibt es mehrere Entwicklungen: Kirchenaustritte, manche sprechen von einer Kernschmelze in den Gemeinden, eine Privatisierung des Religiösen und grundsätzlich die Frage 'Schicke ich mein Kind noch in die Jugendgruppe oder nicht?' Wie würden Sie Ihr Modell in dieses Feld einordnen?
Biesinger: Erstkommunion als Familienkatechse kann ich bestens empfehlen. Das Modell ist unabhängig von dem Ärger über die mangelnde Reformfähigkeit der Kirche. Im großstädtischen Bereich gehen die Anmeldezahlen deutlich zurück, das liegt auch daran, dass manche Eltern "dieser Kirche" ihre Kinder nicht mehr anvertrauen wollen. Daran sind vor allem viele Verantwortungsträger in der Kirche schuld. Sie haben gravierende Fehler gemacht, manche machen sie immer noch. Aber meine Erfahrung ist, dass die Eltern und Kinder, die sich auf den Weg der Erstkommunion machen, mit leuchtenden Augen dabei sind, wenn man sie entsprechend kompetent innovativ begleitet.

Frage: Gemeinden werden immer größer. Städte anonymer…

Biesinger: Das stimmt. Die Seelsorgeräume werden immer noch größer. Das wird zu einem riesigen Problem. Es ist mehr als ärgerlich, dass wir Kinder zur Erstkommunion begleiten und diese Kinder in den riesigen Seelsorgeräumen später im nahen Umfeld kaum mehr Eucharistiefeiern erleben können. Die Kirche verliert immer mehr ihre Eucharistiefähigkeit vor Ort.

Frage: Was meinen Sie damit?

Biesinger: Die Kirche verliert die Fähigkeit, eucharistische Erfahrungen mit den Menschen in ihrem Umfeld zu feiern und macht sich so schuldig. Die Kirche beraubt quasi die nächsten Generationen. Sie "tötet" die Eucharistiefeier, weil sie den Zölibat höher einschätzt als die Ermöglichung der regelmäßigen Eucharistie vor Ort in den jetzt schon "verwaisten" Dörfern und Stadtquartieren. Es ist ein Versagen des Lehramtes, den Zölibat höher als die Eucharistie einzuschätzen.

Frage: Welche Konsequenzen sehen Sie, wenn sich daran nichts ändert?

Biesinger: Die Kirche verliert weiter an Ausstrahlung und einen Teil ihrer Sendung. Es wird zur Bedeutungslosigkeit der Eucharistie kommen, weil man sie verlernen wird. Und dann wird klammheimlich die Eucharistie, die ja nun eine sehr zentrale und kostbare Gabe und Aufgabe ist, verloren gehen. Mein Vorschlag ist ja eigentlich "konservativ" und geht zurück auf viele Jahrhunderte mit verheirateten Priestern. Wer die Eucharistie bewahren will, bewahrt ja einen Grundvollzug unserer Kirche. Der Zölibat ist ein solcher nicht.

Albert Biesinger über die Familienkatechese

"Hauskirchen" sollen Familien sein, steht im Vorbereitungsdokument der Familiensynode 2014. Doch wie kann Glaubensweitergabe in Familien gelingen? Religionspädagoge Albert Biesinger sieht Famlienkatechese als Weg der Zukunft - auch wenn in der Kirche noch Nachholbedarf beim Thema besteht.

Frage: Welche Lösung sehen Sie?

Biesinger: Die Kirche muss ihre Eucharistiefähigkeit wieder herstellen. Das geht letztlich nur dadurch, dass wir genügend Menschen haben, die die Eucharistiefeier leiten können und wollen. Im ländlichen Gebiet, da gibt es vielleicht einen Landwirt, der sehr anerkannt ist und den bilden wir zum Priester im Zivilberuf aus, so wie ich ja Diakon im Zivilberuf bin und bleibe. Oder wir hätten in dem anderen Dorf einen IT-Spezialisten, einen Lehrer, einen Arzt oder einen Menschen, der in der Industrie arbeitet, die dann vor Ort als geweihte Priester mit kleinen überschaubaren Einheiten Eucharistie feiern. So könnten wir die Präsenz der Eucharistiefeier retten. Die reformunfähige Kirche beschädigt sich sonst selber. Man hätte schon vor vierzig Jahren anfangen können, verheiratete Männer dafür anzusprechen. Heute wäre es auch an der Zeit, die Frauen in den Blick zu nehmen, auch wenn das für manche undenkbar ist. Das widerspricht keineswegs der kirchlichen Tradition, die immer auch in Weiterentwicklung sein muss.

Frage: Wie meinen Sie das?

Biesinger: Eine solche Neukonzeption widerspricht nicht der Tradition der Kirche. Denn Treue zur Tradition bedeutet nicht, dass die Kirche in jedem Fall nur der vergangenen Geschichte verpflichtet ist, sondern vielmehr auch der zukünftigen Geschichte, für die die Kirche ihre immer identische Sendung zum Heilsdienst auszuüben hat. So hat es übrigens bereits 1991 der heutige Kardinal Gerhard Ludwig Müller auf Grund seiner Erfahrungen in den Anden in Peru geschrieben.

Frage: Was bedeutet diese Problematik für die Erstkommunionsvorbereitung?

Biesinger: Eltern sollten sich selbst in regelmäßigen Elterntreffen organisieren, auch gemeinsam selber Gottesdienste (mit-)gestalten. Das ist bei einem Familientag möglich, der mit einem Gottesdienst abgeschlossen wird. Diesen Gottesdienst können die Familien und Begleiter gemeinsam gestalten, auch wenn kein Pfarrer da ist. Die Familien bekommen das "Familienbeziehungsbuch- Gott mit neuen Augen sehen" als innovative Wegbegleitung für Familiengespräche, Rituale und Anregungen zuhause.

Frage: Auf dem Synodalen Weg gab es verschiedene Stimmen, die formuliert haben, dass sie sich wünschen, in ihren Orden und Gemeinschaften Eucharistie zu feiern. Können Sie sich auch vorstellen, dass familienintern oder in der Nachbarschaft gemeinsam Eucharistie gefeiert wird?

Biesinger: Nein, ohne Priester kann ich mir das nicht vorstellen. Für die Eucharistie braucht es Priester. Weder Eltern noch Kinder noch die Gemeindereferentin noch der Diakon können ersetzen, dass niemand da ist, der die Eucharistiefeier leitet. Es braucht andere Zulassungsbedingungen für das Priesteramt. Es ist eine Lüge, wenn manche behaupten, es gäbe keine interessierten, verheirateten Männer dafür. Ich finde das ist eine erneute "Vertuschung".

Frage: Können Sie das belegen?

Biesinger: Ich habe gemeinsam mit dem Bonner Moraltheologen Jochen Sautermeister eine Pilotstudie unter jungen Theologiestudierenden in großen Universitäten zu ihren Vorstellungen im Blick auf verheiratete Priester – auch in zivilen Berufen erstellt. Diese ergab, dass eine deutliche Anzahl dieser jungen Theologen, Priester werden würden, wenn es verheiratete Priester geben würde. Wer behauptet, ohne Zölibat gebe es auch nicht mehr Priester verbreitet schlicht und einfach Fakenews.

Zur Person

Albert Biesinger ist emeritierter Professor für Religionspädagogik an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Der ständige Diakon gründete und leitet die Stiftung "Gottesbeziehung in Familien" .

Von Benedikt Heider