Als Kirche und Staat die Lektüre ihrer Untertanen zensierten
Der "Knigge", "Der Glöckner von Notre Dame", die Bibelübersetzung von Martin Luther – die Liste einst verbotener Bücher und Autoren ist lang. Als der katholische "Index librorum prohibitorum" im Jahr 1966 seine Gültigkeit verlor, umfasste er noch mehrere Tausend Bände. Dabei ist heute nicht immer verständlich, warum kirchliche oder staatliche Behörden den Besitz oder das Lesen bestimmter Schriften untersagten.
"Es konnte inzwischen nachgewiesen werden, dass die römischen Zensoren teilweise recht willkürlich handelten und die Inhalte der beurteilten Bücher oft gar nicht richtig verstanden", sagte der Benediktinermönch Cyrill Schäfer, Kirchenhistoriker und Leiter des EOS-Verlags in Sankt Ottilien, bei einer Veranstaltung der Katholischen Akademie Bayern zur Geschichte der Zensur kürzlich in München.
Gegen "das lesen böser Sectischer vnnd verfürerischer" Bücher
Als 1559 der erste Index veröffentlicht wurde, waren kirchliche Bücherverbote und Schriftenkontrollen bei Weitem keine kuriale Neuerfindung. Auch davor waren missliebige Werke schon öffentlich verbrannt und geächtet worden. Allerdings brachten die Erfindung des Buchdrucks und Luthers Erfolg als Prediger und Autor eine Flut reformatorischer Schriften hervor. Die katholische Kirche sah sich veranlasst, "das lesen böser Sectischer vnnd verfürerischer/Bibeln/Testament/Postillen/Bet vnnd Gesangbücher" nun systematisch einzudämmen. So steht es in einem Erlass des Bayerischen Religionstribunals aus dem Jahr 1569.
Bisweilen bewirkte die Zensur allerdings das Gegenteil des Beabsichtigten. Gerade in evangelischen Gebieten wie Württemberg soll der Index weniger eine Verbots- als vielmehr eine Reklameliste gewesen sein. Doch das tat dem Eifer der Indizierer zunächst keinen Abbruch. In Frankfurt am Main und in Leipzig konstituierten sich weltliche Bücherkommissionen im Namen des Kaisers, wie der Erlanger Landeshistoriker Wolfgang Wüst berichtete. Sie ergänzten in der Folgezeit die Maßnahmen der katholischen Obrigkeit. Hinzu kamen weitere regionale und lokale Zensurbehörden. In Kurbayern etwa delegierten die Herzöge die Zensur an das Religionstribunal, Sie führte Visitationen in Privathaushalten durch und verhörte Verdächtige. "Das Strafmaß, das sich ohnehin meist nur gegen Buchhändler richtete, blieb aber meist gering", so Wüst.
Bibelübersetzungen nichtkatholischer Autoren, erotische Literatur und astronomische Abhandlungen – wer solch verbotene Werke besaß oder las, dem drohte vor allem die Exkommunikation, also der Ausschluss von allen Sakramenten. "Bei den lateinischen Klassikern, die ja für den Schulunterricht gebraucht wurden, purifizierte man anstößige Stellen vorab", erklärte Cyrill Schäfer. Der Ordensmann hat selbst in 19 deutschsprachigen Klosterbibliotheken nach verbotenen Werken gesucht.
Zensur ist im Wissenschaftsbetrieb weiterhin ein Problem
Da die Bibliothekare verpflichtet waren, indizierte Bücher vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen, wurden sie meist kurzerhand in speziellen "Giftschränken" weggesperrt. Zugang hatten nur die Patres. Zweifel an der konsequenten Befolgung dieser Regeln sind aber erlaubt. Schrieb doch der Bildungsreisende Friedrich Nicolai 1781 voller Verwunderung, dass in der fränkischen Benediktinerabtei Banz der Schrank mit den "libri prohibiti" offen stünde und man so bequem verbotene Weltliteratur lesen könne. Der "Index librorum prohibitorum" wurde dennoch bis 1948 weitergeführt und verlor erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) seine Gültigkeit.
Dass Zensur weiterhin ein Problem ist, und zwar im Wissenschaftsbetrieb, legte der Augsburger Zeithistoriker Wolfgang Weber dar. Eindeutig zensorische Maßnahmen wie ein Publikationsverbot seien zwar die Ausnahme an deutschen Universitäten. Es komme aber vor, dass einem Studenten bei der Untersuchung eines unliebsamen Themas die Unterstützung verweigert werde. Die Berufung zum Dozenten könne universitätsintern von der Loyalität des Kandidaten abhängig gemacht werden. Auch ergehe an Dozenten mitunter der Rat, bestimmte Verlage anderen vorzuziehen, da man sonst der Reputation des Fachs schade.