Ein Jahr Kurienreform: Der Reformprozess geht weiter
Es ist das wohl aufwändigste und längste Projekt im nunmehr 10-jährigen Pontifikat von Papst Franziskus. Genau einen Monat nach seiner Wahl kündigte der neue Pontifex eine Kurienreform an, auf die seine Kardinals-Kollegen im Vorkonklave vehement gedrängt hatten. Neun Jahre nach seinem offiziellen Amtsantritt, am 19. März vergangenen Jahres, erließ er mit der Konstitution "Praedicate Evangelium" (PE) eine neue Ordnung für seinen römischen Dienst-, Leitungs- und Verwaltungsapparat. Das Ziel: Strukturen verbessern, Transparenz fördern, Mentalitäten ändern, effizienter und kostengünstiger arbeiten – und künftig Pannen vermeiden.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung ist der Reformprozess längst noch nicht abgeschlossen. Das "Regolamento" mit den praktischen Ausformungen für die einzelnen Behörden, den Anforderungen an die verschiedenen Personalgruppen, samt Stellenplänen und Gehaltsgruppen steht noch aus. Und noch länger dürfte die Umsetzung von "Praedicate Evangelium" in der Kurie und in ihren Beziehungen zu den Ortskirchen und ihren Bischöfen dauern.
Kein einmaliger Erlass, sondern ein längerer Prozess
Denn die Reform von Franziskus ist – anders als die bisherigen vier Kurienordnungen der Kirchengeschichte – kein einmaliger Erlass, sondern ein längerer Prozess, eine Reform in Etappen. Schon aus den laufenden Arbeiten des zuständigen Kardinalsrates heraus, hatte Franziskus zwischen 2014 und 2022 rund 50 höchst unterschiedliche Strukturänderungen für seinen römischen Leitungsapparat in Kraft gesetzt. Aber erst die Veröffentlichung der Konstitution erlaubte einen Gesamtüberblick über Linie, Logik und Leitmotiv: Wie Franziskus sich die Kirchenleitung und ihre Behörden vorstellt und wie der "Dienst" der Kurie für Papst und Ortskirchen aussehen soll. Und auch nach dem Erscheinungstermin wird weiter modifiziert, präzisiert und nachjustiert.
Seit einem Jahr rätseln Beobachter und Betroffene, ob PE nun der große Wurf ist, der revolutionäre Umbau oder ob es um eher kleinere Korrekturen geht. Auf den ersten Blick hat sich mit PE in Arbeit und Zuständigkeiten der meisten Dikasterien wenig geändert. Der Apparat wurde etwas modernisiert und gestrafft. Die Zahl der "Ministerien" – die nun einheitlich Dikasterien heißen – ist von 21 auf jetzt 16 reduziert.
Einige Behörden wurden zusammengelegt oder angegliedert: Die vier Sozialbehörden sind im neuen Entwicklungsdikasterium zusammengefasst, die Räte für die Laien und für die Familie wurden fusioniert. Die bisherige Missionskongregation wurde mit dem Rat für die Neuevangelisierung verbunden und der Kulturrat der Bildungskongregation angegliedert. Das sollte und konnte manche Doppelarbeit und Überschneidungen abbauen, Verwaltungen wurden zusammengelegt und technische Aufgaben zentralisiert. Freilich zeigt sich schon bei diesen Zusammenlegungen, wie mühsam und kompliziert strukturelle Veränderungen im historisch gewachsenen Apparat des Vatikan mit seinen unüberschaubaren Zuständigkeiten und Abläufen sind. Vieles ist schlechthin nicht veränderbar. Zudem hatte die neunjährige Arbeit an der Kurienreform auch gezeigt, dass die meisten Behörden trotz dünner Personaldecke und knappem Budget gar nicht so schlecht arbeiten.
In einigen Bereichen waren die Veränderungen freilich tiefgreifender. So wurden die neun vatikanischen Medieneinrichtungen (Radio Vatikan zählte zu den Negativ-Ausreißern im Vatikan-Etat) unter einem Dach zusammengefasst und komplett neu aufgestellt: um der modernen Medienwelt mit ihrer digitalen Konvergenz, dem Markt und dem heutigen Nutzerverhalten besser Rechnung zu tragen. Bereits mit spürbarem Erfolg: Die Informationsmittel des Papstes arbeiten heute effizienter als noch vor wenigen Jahren, das Informationsangebot ist kreativer und wird auch von säkularen Medien intensiver genutzt.
Strikter Sparkurs und strenge Regeln für Ausschreibungen
Und auch der Wirtschafts- und Finanzsektor, den bereits Benedikt XVI. mit einschneidenden Reformen aus der Skandalzone geholt hatte, erhielt komplett neue Strukturen, die mehr Transparenz bieten und besser kontrollierbar sind. Auch dieser Bereich ist inzwischen an einem guten Punkt: Anstelle vieler unüberschaubarer Einzeletats wurden die Mittel und Ausgaben, die Bilanzen und Haushaltpläne zentralisiert. Gleichzeitig verordnete Franziskus den Behörden einen strikten Sparkurs und legte strenge Regeln für Ausschreibungen und Auftragsvergaben fest. Das allerdings erhöht den Verwaltungsaufwand, erfordert neue Dienstwege und führt zu deutlich mehr Bürokratie. Aber die Zeiten sollen vorbei sein, wo Absprachen mit auswärtigen Vertragsfirmen einfach per Handschlag erfolgten.
Wunder Punkt in der Kurienarbeit und Anlass für viel Kritik – auch beim Vorkonklave 2013 – war die unzureichende Vernetzung innerhalb des Heiligen Stuhls und unter den Kurienbehörden. Mitunter gelangten Informationen nicht (rechtzeitig) zu denen, die sie brauchten. Etwa 2009 bei der Rücknahme der Exkommunikation für vier Traditionalisten-Bischöfe, unter ihnen der Holocaustleugner Williamson – von dessen Ansichten der Vatikan Bescheid wusste.
PE legt daher ein starkes Gewicht auf eine engere Verzahnung und bessere Zusammenarbeit innerhalb der Kurie. So sieht das Dokument regelmäßige Versammlungen der Kurienchefs mit dem Papst vor, um "eine größere Kohärenz und Transparenz in der Arbeit der Kurie zu fördern", um "gemeinsam die Arbeitspläne der einzelnen Institutionen und deren Durchführung zu erörtern, um ihre Arbeit zu koordinieren, um Informationen auszutauschen". Zwar hatte es Gipfeltreffen der Kurienleiter mit dem Papst auch in der Vergangenheit gegeben, aber in größeren Abständen. Und sie galten meist bestimmten Einzelfragen und -problemen und weniger dem allgemeinen Austausch und Informationsstand.
Aufruf zu engerer Zusammenarbeit, zu Abstimmung und Dialog
Zudem sollen Dokumente und Projekte, die inhaltlich mehrere Behörden tangieren, in interdikasteriellen Sitzungen gemeinsam beraten werden – noch bevor sie dem Papst vorgelegt werden. Allerdings ist bislang noch nicht geklärt, wann genau eine solche Zusammenarbeit erforderlich wird und wie sie aussehen soll.
Wichtiger als neue Strukturen und effizientere Dienstwege ist für den Papst freilich eine neue Mentalität seiner Mitarbeiter, ein neuer Arbeitsstil in der Kurie und im Umgang mit den Ortskirchen. Wie ein roter Faden zieht sich durch die gesamte Konstitution der Aufruf zu einer engeren Zusammenarbeit, zu Abstimmung und Dialog, zu Dienst und Unterstützung der römischen Behörden für die Ortsbischöfe.
Die Kurie dürfe nicht Trennwand sondern müsse Bindeglied sein. Sie steht im Dienst von Papst und Ortskirchen, ist nicht in erster Linie Organ für Kontrollen oder den Erlass von Vorschriften. Schon jetzt habe man zunehmend versucht, weniger Anweisungen zu geben und sich um mehr Dialog bemüht, versichern Kurienmitarbeiter. Und in der Tat glauben Beobachter inzwischen mehr Dialogisches zu erkennen.
Ortskirchensollen möglichst viele Aufgaben vor Ort klären
So soll etwa das Dikasterium für die Bischöfe die Suche und Auswahl neuer Oberhirten "unter Berücksichtigung der Vorschläge der Teilkirchen, der Bischofskonferenzen" und "nach Konsultation der Mitglieder des Präsidiums der jeweiligen Bischofskonferenz und des Metropoliten" vorbereiten. "In diesen Prozess bezieht sie in geeigneter Form auch die Mitglieder des Gottesvolkes der betreffenden Diözesen ein", schreibt PE vor.
Überhaupt sollen die Ortskirchen im Rahmen der vom Papst immer wieder geforderten "gesunden Dezentralisierung" und der Subsidiarität möglichst viele Aufgaben vor Ort klären. Das beginnt bei der Erstellung von Katechismen, von liturgischen Übersetzungen und hört bei Priesterausbildung und Ordensdispensen nicht auf. In vielen Fällen genügt inzwischen eine conferma, eine einfache Bestätigung und nicht mehr eine eingehende römische Überprüfung.
Aber man beobachtet hier auch gegenläufige Tendenzen, manche neue Zentralisierung. So holte sich Rom etwa die Zuständigkeit für Ordensgründungen zurück: Bevor ein Bischof eine Vereinigung von Gläubigen mit Blick auf Ordensgründung zulässt, muss er das Placet Roms einholen. Und neuerdings kann auch nicht mehr ein Ortsbischof allein die Erlaubnis für Gottesdienste nach dem alten Ritus erteilen, sondern nur mit römischer Genehmigung.
Indem PE die Bedeutung der Kurie als "Dienstinstrument" für die Weltkirche im Auftrag des Papstes stärkt, relativiert sich zugleich ihre eigene Macht. Und einmal mehr untermauert die Konstitution die einmalige Stellung des Papstes, ohne dessen ausdrückliche Approbation kein Gesetz oder Dekret mit Gesetzeskraft erlassen werden darf. Aufgrund dieser Stellung kann der Papst – und das war eine der großen Überraschungen von PE – auch Nicht-Bischöfe zu Leitern von Kurienbehörden machen, auch Laien, auch Frauen. Allerdings hat Franziskus bislang davon erst zweimal Gebrauch gemacht: im Kommunikations-Dikasterium und im Wirtschaftssekretariat, die von nicht-geweihten Männern geleitet werden. Aber man könne sich auch eine Frau als Behördenchef vorstellen, so der Papst. Etwa in den Behörden für Entwicklung, für Laien-Familie oder für Kultur und Bildung.
Ein längerer Umbau- und Lernprozess
Ein Jahr nach dem Erlass von PE ist noch vieles offen, manche Vorgaben müssen sich erst einspielen, es ist ein längerer Umbau- und Lernprozess. Dabei muss sich zeigen, ob die Zeiten der römischen Bevormundung und Kontrolle durch Zusammenarbeit und vertrauensvolle Kooperation mit den Ortskirchen ersetzt werden. Franziskus stellte seine Kurienreform in den großen Kontext der "missionarita", des missionarischen Charakters der Kirche und der missionarischen Umkehr. Für ihn ist die Reform kein Selbstzweck, sondern Mittel, um eine wirksamere Evangelisierung zu unterstützen.
Und damit ist PE mehr als bloß die Modernisierung eines hoch komplexen Apparats. Die neue Kurienverfassung soll eine Reform der Kirche fördern – gemäß den Prinzipien der Synodalität, der Subsidiarität und der Dezentralisierung. Bleibt die Frage, wie sehr es der Kurienkonstitution gelingt, einen überbordenden Zentralismus zu reduzieren, ohne die Rolle Roms als verbindendes Element und Zentrum der Weltkirche zu schmälern.
Buch-Tipp
Als Papst Franziskus exakt einen Monat nach seiner Wahl eine Reform der Römischen Kurie ankündigte, erntete er breiten Applaus. Achteinhalb Jahre arbeitete ein exklusiver Kardinalsrat, unterstützt von einigen prominent besetzten Beratergremien an dem Reformprojekt. Was ändert sich mit der Konstitution "Praedicate Evangelium" im Vatikan und für die Weltkirche?
Johannes Schidelko: Kurienreform. Hintergründe, Zuständigkeiten, Veränderungen. Alles, was man wissen muss, Bonifatius Verlag, 2022.