Fachtagung beleuchtete die Herausforderungen der Kirchenfinanzierung

Von Verhetzungspotenzial bis Caritaslegende: Die Kirchen und das Geld

Veröffentlicht am 20.04.2023 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Wenn es um die Finanzen der Kirchen geht, kochen die Emotionen und Vorurteile schnell hoch. Eine Tagung in Berlin wollte jetzt für mehr Transparenz sorgen und zur Versachlichung des Themas beitragen. Zugleich machte sie erneut deutlich, dass die Kirchen finanziell vor großen Herausforderungen stehen.

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Die Kirche und das Geld: Kaum ein Thema sorgt so regelmäßig für hitzige Kontroversen. Ob es um die Kirchensteuer und ihre Verwendung, die Staatsleistungen und ihre geplante Ablösung oder die Bezahlung von Bischöfen geht – die Finanzen der beiden großen Kirchen in Deutschland werden von Kirchenmitgliedern und Kirchengegnern gleichermaßen emotional diskutiert. Die Begrifflichkeiten gehen dabei allerdings oft wild durcheinander, vielfach sind die Diskussionen von erheblicher Unkenntnis geprägt. Was genau die Staatsleistungen sind, wer wieviel Kirchensteuer bezahlen muss und wie Bischöfe tatsächlich bezahlt werden – darüber wird in öffentlichen Debatten meist eher wild spekuliert statt sachlich diskutiert.

Eine gemeinsame Fachtagung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, der Katholischen Akademie in Berlin und der Forschungsstelle für Katholisches Kirchenrecht des Erzbistums Berlin wollte jetzt ein wenig Licht ins Dunkel bringen und damit auch zur Versachlichung des Themas beitragen. Unter dem Titel "Glaube und Geld – Perspektiven für die Kirchenfinanzierung" diskutierten Expertinnen und Experten aus Kirchen, Politik und Wissenschaft über die verschiedenen Arten der Kirchenfinanzierung, die Bedeutung und Zukunft der Kirchensteuer, die sozialpolitische Relevanz der Kirchenfinanzen und – natürlich – über die aktuelle Debatte zur Ablösung der Staatsleistungen.

Früherer ZdK-Präsident beklagt erschreckendes "Verhetzungspotenzial"

Den durchaus markigen Auftakt machte Thomas Sternberg. Der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) beklagte mit Blick auf die öffentlichen Debatten zu den Kirchenfinanzen ein erschreckendes "Verhetzungspotenzial". Beispielhaft nannte der 70-Jährige Medienberichte, in denen der Eindruck vermittelt werde, der Staat alimentiere die Kirchen mit einer staatlichen Steuer. Dabei handele es sich bei der Kirchensteuer lediglich um eine Mitgliedschaftsabgabe der Gläubigen – deren Einzug sich der Staat noch dazu mit bis zu vier Prozent der Einnahmen vergüten lasse. "Im Jahr 2022 hat der Staat dadurch Einnahmen von über 400 Millionen Euro erzielt", so Sternberg. Er erinnerte zugleich an den Beitrag der Kirchen für die öffentliche Daseinsvorsorge etwa durch Schulen und Krankenhäuser. Dafür werde bis zu einem Drittel der Kirchensteuern aufgewendet.

 Thomas Sternberg
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Der frühere ZdK-Präsident Thomas Sternberg beklagte mit Blick auf die öffentlichen Debatten zu den Kirchenfinanzen ein erschreckendes "Verhetzungspotenzial".

Mit Blick auf die Kirchen selbst plädierte Sternberg dafür, beim Umgang mit der Kirchensteuer mehr Subsidiarität zuzulassen. Dass die Einnahmen nicht mehr wie früher an die Pfarreien, sondern an die Bistümer gingen, habe zu einem enormen Machtzuwachs der Bischöfe und der stark gewachsenen diözesanen Verwaltungen geführt. "Subsidiarität und Eigenverantwortung, die künftig überaus wichtig werden, wurden und werden durch zentralistische Pläne und Verordnungen monströser Verwaltungsapparate abgewürgt", beklagte der frühere ZdK-Präsident. Als Gegenbeispiel nannte er die Schweiz, in der die Pfarreien das Geld direkt erhielten und Teile ihrer Einnahmen für diözesane und überörtliche Zwecke abführten.

Ein weiteres Problem ergebe sich aus der Engführung der Kirchenmitgliedschaft auf zahlende Mitglieder. "In anderen Ländern wird als Grundlage für die Zählung der Gläubigen die Zahl der Getauften herangezogen – in Deutschland nur die der Kirchensteuer zahlenden Vollmitglieder", so Sternberg. Für Manche möge neben der Entfremdung von der Kirche und einer durchaus erheblichen Ersparnis auch die wirksame Form des Protests gegen kirchliche Skandale Grund für einen Austritt sein. "Getaufte, die den Kontakt zur Kirche verloren oder bewusst aufgegeben haben, bleiben aber Subjekte der Seelsorge und des kirchlichen Lebens. Oder gilt nur die Alternative ganz drin oder ganz draußen?", fragte Sternberg.

Europaweit drei Grundmodi bei der Kirchenfinanzierung

Der Leipziger Jurist Arnd Uhle gab in seinem anschließenden Vortrag einen Überblick über die verschiedenen Formen der Kirchenfinanzierung in Europa. Diese beruhten jeweils auf eigenständigen staatskirchenrechtlichen Traditionen und Verhältnissen in den einzelnen Staaten. "Gleichwohl kennt die Kirchenfinanzierung, aller Divergenzen ihrer Erscheinungsformen zum Trotz, drei Grundmodi", erläuterte Uhle. Einen Grundmodus bildeten die Zuwendungen der Gläubigen, bei denen es sich sowohl um freiwillige Gaben als auch um verpflichtend auferlegte Beiträge handeln könne. "Einen zweiten Grundmodus stellen staatliche Zuwendungen dar. Sie sind nach Art, Legitimation und Umfang höchst unterschiedlich ausgestaltet", so der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Leipzig. Ein dritter Grundmodus bestehe schließlich in Erträgen, die aus kircheneigenem Vermögen erzielt würden; hierzu gehörten etwa Miet- oder Pachteinnahmen sowie Erträge aus Kapitalvermögen.

„Menschen muss sich erschließen, welchen Nutzen sie selbst oder auch andere von der Kirche haben.“

—  Zitat: David Gutmann und Fabian Peters

David Gutmann vom Kompetenzzentrum Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer der Katholischen Hochschule Freiburg und Fabian Peters von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg gaben danach einen aktualisierten Überblick über die 2019 veröffentlichte Freiburger Studie zur Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer bis 2060. Die beiden Experten wiesen dabei darauf hin, dass sich die Ausgangslage, auf deren Basis die Vorausberechnungen in der Studie getätigt worden seien, in den vergangenen Jahren durch noch höhere Kirchenaustrittszahlen und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie erheblich verändert habe. Und das könnte dramatische Folgen für die Kirchen haben: Denn während die Studie 2019 "nur" von einer Halbierung der Zahl der Kirchenmitglieder und der Kirchensteuererträge bis 2060 ausgegangen war, rechnen die Experten nun damit, dass sich die Zahlen bis dahin sogar auf nur noch ein Drittel reduzieren könnten.

Umso wichtiger, so Gutmann und Peters, werde für die Kirchen die Mitgliederbindung und -pflege, notwendig sei eine Plausibilisierung der Kirchenmitgliedschaft: "Menschen muss sich erschließen, welchen Nutzen sie selbst oder auch andere von der Kirche haben." Wenn die Kirchensteuer gerade jungen Menschen nach einer langen Phase der Kontaktlosigkeit Anlass zum Kirchenaustritt biete, erscheine es sinnvoll, vor dem Eintreffen des ersten Kirchensteuerbescheids flächendeckend über die Kirchensteuer und deren Verwendung zu informieren. Der Leiter der Finanzabteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Carsten Simmer, plädierte in der Diskussion ebenfalls für mehr Mitgliederpflege. Unter anderem schlug er vor, dass Pfarrer eine bestimmte Anzahl von Besuchen pro Monat bei Mitgliedern machen, die nicht jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen.

Mit einem häufig gegen die Kirchen geäußerten Vorwurf – der sogenannten Caritaslegende – setzte sich in einem weiteren Vortrag die Freiburger Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer auseinander. Der von dem Publizisten und Kirchenkritiker Carsten Frerk geprägte Begriff unterstellt den Kirchen, sie verbreiteten den Eindruck, als würden sie ihre sozialen Einrichtungen wie die Caritas oder die Diakonie weitestgehend aus den eigenen Kirchensteuermitteln finanzieren, obwohl der Staat fast alles zahle.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Die Freiburger Theologieprofessorin Ursula Nothelle-Wildfeuer widersprach in ihrem Vortrag der These von der Caritaslegende.

Nothelle-Wildfeuer vertrat dagegen die These, dass nicht der Staat die Kirchen unterstütze, sondern die Kirchen den Staat bei der Erfüllung seiner sozialstaatlichen Pflichten. Als Träger karitativer Hilfe erhielten die Kirchen für ihre Leistungserbringung vom Staat festgelegte Regelsätze. "Bei diesen Zahlungen handelt es sich in keiner Weise um eine staatliche Finanzierung der Kirchen, auch nicht um eine Privilegierung der kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen, sondern um Staatsleistungen im weiteren Sinn. Diese stehen nicht nur kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen, sondern allen zu, die als freier oder privater Träger solche sozialen Aktivitäten entfalten", so die Professorin für Christliche Gesellschaftslehre.

Podiumsdiskussion zur Frage der Ablösung der Staatsleistungen

Eine Kirche, die ihre Gemeinwohlverpflichtungen in einer pluralisierten Gesellschaft ernst nehme, Hilfe und Unterstützung für alle Menschen anbiete und damit dem Sozialstaatsgebot zur Realisierung verhelfe, erzähle keine Caritaslegende, sofern sie transparent darstelle, wie sie ihre Projekte, Einrichtungen und Dienstleistungen finanziere. "Wohl aber präsentiert sie damit das menschenfreundliche Gesicht der Kirche in unserer Gesellschaft – einer Kirche, die selbst in ihren sonstigen Vollzügen an vielen Stellen mit der modernen komplexen und hochdifferenzierten Gesellschaft fremdelt, und in einer Gesellschaft, die auf verlässliche Partner in der Realisierung des Gemeinwohls angewiesen ist", erklärte Nothelle-Wildfeuer.

Den Abschluss der Fachtagung bildete schließlich eine Podiumsdiskussion zur aktuelle Debatte um eine mögliche Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Dabei sprachen sich Vertreter beider großer Kirchen für einen deutlich höheren als den bisher diskutierten Ablösefaktor aus. Angesichts der aktuellen und auch historischen Zinsentwicklung müsse man von einem niedrigen Zinssatz von einem Prozent ausgehen, sagte die Direktorin des Zentralbereichs "Ressourcen" im Bistum Trier, Kirsten Straus. Das bedeute, man benötige das Hundertfache der derzeitigen jährlichen Zahlung, um den gleichen Zahlungsstrom zu generieren. Andernfalls müssten voraussichtlich soziale Leistungen der Kirchen eingespart werden.

Ein Gesetzentwurf der damaligen Oppositionsfraktionen von Grünen, FDP und Linken zur Ablösung der Staatsleistungen aus der vergangenen Wahlperiode hatte einen Ablösefaktor von 18,6 genannt. Das sei das Minimum, sagte Jörg Antoine aus dem Dezernat für Finanzmanagement der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Ein Streitpunkt in den aktuellen Verhandlungen zwischen Staat und Kirchen sei, ob die Ablösung politisch "angemessen" oder "äquivalent" erfolgen solle, wobei "äquivalent" bedeute, dass die Kirche durch die Ablösung finanziell nicht schlechter gestellt werde. Folge man dem Äquivalenzprinzip, lande man bei dem von Straus genannten Faktor, sagte Antoine.

Tagung lieferte guten, aktuellen Überblick über eine komplexe Thematik

Die Staatsleistungen gehen meist auf das Jahr 1803 zurück, als Kirchenbesitz enteignet wurde. Die im Grundgesetz festgeschriebenen Leistungen umfassen Geld- oder Sachmittel, in manchen Fällen auch Personalkosten. Aktuell erhalten die beiden großen Kirchen etwa 600 Millionen Euro pro Jahr. Zahlungspflichtig sind die Bundesländer. Obwohl die Verfassung den Auftrag enthält, die Staatsleistungen abzulösen, scheiterten bislang alle Initiativen. SPD, Grüne und FDP haben das Vorhaben in dieser Legislaturperiode erstmals in einem Koalitionsvertrag vereinbart. Der Bund ist in der Frage zuständig dafür, die Rahmenbedingungen gesetzlich zu verankern. Das Bundesinnenministerium arbeitet derzeit am Entwurf für ein entsprechendes Gesetz. Die Verhandlungen über die konkrete Höhe der Ablösesummen müssten dann aber die Länder führen.

Auch wenn die Tagung für das überwiegend aus Fachleuten bestehende Publikum wohl keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse bot, so gab sie doch einen guten, aktuellen Überblick über die komplexe Thematik. Ob sie auch zu einer Versachlichung der Debatte und einer stärker auf Basis von Fakten geführten Auseinandersetzung führen kann, wird sich zeigen müssen.

Von Steffen Zimmermann

Hinweis

Bei der Fachtagung wurde auch die neue Spezial-Ausgabe der "Herder Korrespondenz" vorgestellt. Das Heft, das ab dem 1. Mai im Zeitschriftenhandel verfügbar ist, befasst sich unter dem Titel "Über Geld spricht man nicht – Die Kirche und ihre Finanzen" ebenfalls mit dem Thema der Kirchenfinanzierung. Die "Herder Korrespondenz" war zugleich der Medienpartner der Fachtagung.