Theologin: Es gibt eine strukturelle Benachteiligung von Frauen
Seit 25 Jahren gibt es AGENDA, das Forum katholischer Theologinnen. Für die Dogmatikerin Gunda Werner, die Vorsitzende des Vereins, ist es im Rückblick eine Erfolgsgeschichte. Was die Theologin allerdings kritisch sieht und wo sie noch Handlungsbedarf für Frauen in der Kirche sieht, darüber spricht sie im Interview mit katholisch.de.
Frage: Frau Werner, seit 25 Jahren gibt es den Verein AGENDA für katholische Theologinnen. Warum sind Männer bislang nicht dazu eingeladen?
Werner: Als AGENDA vor 25 Jahren gegründet wurde, war die Frage genau andersherum. Also warum laden Männer uns Frauen nicht ein? Und diese Frage hat bis heute von ihrer Aktualität nichts eingebüßt. Ein Beispiel und der Gründungsimpuls für AGENDA: Die dritte Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche war in der Planung. Und es waren so gut wie gar keine Frauen vertreten. Also taten sich Theologinnen zusammen, um deutlich zu machen, dass es auch Frauen in der Theologie gibt, die forschen und ihre Ergebnisse sichtbar machen wollen. Es ist also nicht die Frage, wieso Männer nicht eingeladen sind, sondern dass es nach wie vor starke Netzwerke braucht, um Frauen sichtbar zu machen. Dies trifft auf alle Berufsfelder zu – denn AGENDA ist ja nicht nur für Theologinnen an der Universität da. Im Gegenteil: sicher 50 Prozent der Frauen, die Theologie studiert haben, arbeiten in anderen Berufsfeldern, oft auch da als Pionierinnen, zum Beispiel als erste Seelsorgeamtsleiterin, Abteilungsleiterin und so weiter. AGENDA ist daher eine Erfolgsgeschichte, weil sie seit 25 Jahren Frauen ermutigt und sichtbar macht, und für Gleichberechtigung kämpft. Darauf sind wir stolz.
Frage: Worauf sind Sie – im Rückblick – nicht so stolz?
Werner: Was mich wirklich ärgert, ist die Aussage von Männern, dass es erfolgreiche Frauen nur gäbe wegen der Frauenquote. Das ist eine zweite Diskriminierung nach der ersten strukturellen. Wenn sich Männer also nun selbst als Opfer der Gleichstellung sehen, weil sie vielleicht nicht zum Zuge kommen, das regt mich wirklich auf. Was mich aber auch nachdenklich macht, ist, dass man sich als Frau nicht automatisch darauf verlassen kann, auch von anderen Frauen gefördert zu werden. Manchmal sind es gerade auch Frauen, die andere Frauen als Konkurrenz erleben und nicht die Solidarität suchen. Das ist aber auch verständlich, wenn man bedenkt, dass es – je weiter "nach oben" es geht im Job – die Stellen weniger und die Konkurrenz stärker ist. Das ist auch für Frauen eine Herausforderung. Wann immer es geht, Frauen zu fördern, das ist und bleibt es ein Lernprozess für alle Seiten, manchmal auch innerhalb von AGENDA. Dies zu reflektieren und rückzumelden, ist sicher eine große Stärke bei AGENDA. Zugleich braucht es diese Freiräume von Frauen und für Frauen, um darüber zu reflektieren, wie Veränderung konkret geht, wie Leitung anders geht, Ausschreibungen anders aussehen könnten und so weiter.
Frage: Bräuchte man also in AGENDA doch die Männer, um das auch gemeinsam zu üben?
Werner: Nein. Männer haben wir ohnehin jeden Tag um uns herum. Männer haben seit Jahrhunderten ein kulturelles Gedächtnis von Netzwerken und Zusammenarbeiten ohne uns Frauen geschaffen und sind in der Regel auch schlicht die Mehrheit überall dort, wo es um "wichtige" und "machtvolle" Berufe geht. Und das hat auch Auswirkungen auf die Kommunikation, die Karriere und das Vorankommen. Als Beispiel: Ich arbeite als Professorin an der katholischen Universität in Bochum. Im Professorium gibt es nur zwei Frauen, die anderen zehn Mitglieder sind Männer. Dieses Ungleichgewicht spiegelt sich auch in vielen anderen Berufsfeldern wider, in denen Theologinnen arbeiten, gerade dann, wenn es um Leitungspositionen geht. Wenn zu der Mehrzahl der männlichen Kollegen dann der Chef auch noch ein Mann ist, dann braucht es Reflexionsorte wie AGENDA, um sich darüber auszutauschen und sich gegenseitig zu coachen. Wie gehen wir Frauen damit um, dass in Gremien hauptsächlich Männer sitzen, dass zu kirchlich-theologischen Veranstaltungen fast nur Männer eingeladen werden? Männer zitieren zu 70 Prozent andere Männer in Fachzeitschriften und in ihren Veröffentlichungen. Ich frage mich: Warum ist das so? Mit dieser männlichen Dominanz muss ich als Wissenschaftlerin täglich klarkommen. Aber wenn keine oder nur eine Minderheit von Frauen auf Podien eingeladen werden oder in Beiträgen vorkommen, verlieren auch die Männer, denn die Welt besteht halt nicht nur aus Männern. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich vorgenommen, 30 Prozent Frauen in kirchlichen Führungspositionen einzustellen. Wir von AGENDA wollen aber 50 Prozent Frauen. Solange diese paritätische Aufstellung keine strukturelle Selbstverständlichkeit ist, müssen wir weiterkämpfen.
„Bevor ich das "Nihil obstat" hatte, also die römische Lehrerlaubnis, dass ich als Professorin arbeiten kann, habe ich ganz genau überlegt, was ich öffentlich sage und was nicht.“
Frage: Sie sind Professorin für Dogmatik in Bochum. Mussten Sie für Ihre Stelle kämpfen?
Werner: Den Eindruck hatte ich zeitweilig auf dem Weg zur Professur schon. Es war auf jeden Fall ein Weg mit Höhen und Tiefen. Ich bin die erste Frau an meiner Universität, die sich in katholischer Theologie habilitiert hatte. Und das war im Jahr 2015. Das ist schon recht spät. Bevor ich aber das "Nihil obstat" hatte, also die römische Lehrerlaubnis, damit ich als Professorin der katholischen Theologie an einer Hochschule im deutschsprachigen Raum arbeiten kann, habe ich ganz genau überlegt, was ich öffentlich sage und was nicht. Bei bestimmten Themen habe ich sehr aufgepasst. Ich arbeite viel zu Genderthemen und habe dazu eine eindeutige Meinung. Als Vorsitzende von AGENDA überlege ich und wir als Vorstand immer ganz genau, was ich, was wir wie öffentlich sagen. Schließlich habe ich als Professorin auch eine Verantwortung für junge Theologinnen, die noch ein "Nihil obstat" aus Rom brauchen.
Frage: Wie meinen Sie das?
Werner: Wir haben aus den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass Frauen mehr Schwierigkeiten haben, die Hürde des "Nihil-Obstats" für eine Stelle als Professorin in der katholischen Theologie in einer angemessenen Zeit und ohne Auflagen zu bekommen, anders als Männer. Das liegt sicher auch daran, dass Frauen eher zu Themen forschen, die mit Gendergerechtigkeit und Gender-Themen zu tun haben. Das sind Themen, die in Rom kritisch betrachtet werden. Wir kämpfen als AGENDA-Vorstand jetzt seit Jahren darum, dass dieser Prozess des „Nihil Obstats“-Verfahrens evaluiert wird, um besser zu verstehen, wie lange die Verfahren und warum sie so lange dauern. Jetzt erarbeiten wir mit dem Katholisch-Theologischen Fakultätentag, einen Fragenbogen, der im Herbst an alle Professor*innen versendet wird. Uns interessierten die Fragen, wie lange das Verfahren gedauert hat, ob es Auflagen aus Rom gab, ob es Nachfragen gab und zu welchen Themen. Das ist eine anonyme Befragung. Ich hoffe, nächstes Jahr wissen wir dann endlich, wie es wirklich aussieht. Diese "Nihil Obstat"-Verfahren haben große Konsequenzen auch für die Wissenschaft und für die Motivation für Theologinnen, den Schritt in die Wissenschaft zu gehen. Diese Studie ist für uns eine wichtige Grundlage für weitere Gespräche. Für uns ist es ein weiteres wichtiges Etappenziel von AGENDA.
Frage: Was haben Sie sonst noch als AGENDA in Bezug auf Theologinnen herausgefunden?
Werner: Wir haben in einer anderen Studie das Geschlechterverhältnis bei Autor*innen in theologischen Zeitschriften und bei Referent*innen wissenschaftlicher Tagungen der Arbeitsgemeinschaften der Theologie untersucht. Über zehn Jahre lang haben wir die Beiträge gezählt. Das Ergebnis: Nur 20 Prozent der Beiträge kamen von Frauen. Das ist doch alarmierend! Mit dieser Studie hatten wir bewiesen, dass Theologinnen in der Wissenschaft nach wie vor benachteiligt und diskriminiert werden. Und auch hier gilt: erst die Zahlen zeigen, dass es hier nicht um ein Gefühl von Frauen geht, sondern um eine strukturelle Benachteiligung von Frauen. Es ist eine gläserne Decke, weil Frauen es viel schwerer haben, sichtbar zu werden in der Wissenschaft – weil sie schlicht weniger vorkommen.
Frage: Um Theologinnen zu fördern, braucht man allerdings auch junge Frauen, die Theologie studieren und eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollen…
Werner: Ja, das ist richtig. In den letzten zehn Jahren hat sich viel getan. Wir haben Frauen, die an vielen Lehrstühlen an den Universitäten arbeiten – dort, wo früher nur Kleriker oder Laien-Männer saßen. Aber es ist noch immer viel Luft nach oben. Wir brauchen junge Theologinnen, die den Weg in die Forschung gehen. Die Zahl der weiblichen Studierenden an den katholischen Fakultäten ist dabei gleich mit den männlichen. Auch noch in der Promotionsphase ist das so. Aber dann ändert sich das, denn Frauen schließen in der der Katholischen Theologie überdurchschnittlich oft ihre Promotion nicht oder nur sehr verspätet ab. Auch die Gründe dafür sollten nun untersucht werden. Diese Frauen gehen kaum in die Post-Doc-Phase. In AGENDA hat sich 2019 ein Netzwerk junger Theologinnen gegründet. Sie sind eine wichtige Brücke zwischen Hierarchiestufen und Generationen. In diesem Jungen Forum der AGENDA werden junge Wissenschaftlerinnen für ihre Berufseinstiegsphase qualifiziert und ihre Arbeit sichtbar gemacht. Der Satz "Es gibt keine Theologinnen, die man fragen könnte" ist also längst überholt.
Frage: Was wünschen Sie sich für die nächsten 25 Jahre AGENDA?
Werner: Ich erlebe es regelmäßig, dass ich bei Veranstaltungen angesprochen werde. Dann heißt es oft: "Frau Werner, bitte entschuldigen Sie, wir haben zu wenige Frauen am Podium." Ich finde, das ist doch schon mal gut, dass das überhaupt auffällt. Ich sage dann meist: "Okay, laden Sie Frauen ein, wir als AGENDA helfen Ihnen dabei. Wir haben genügend theologische Expertinnen, kompetente Gesprächspartnerinnen und souveräne Autorinnen." Das ist mein Wunsch, dass wir Frauen in der Theologie sichtbar gemacht werden und, dass die strukturellen Ungleichheiten für alle Geschlechter kein Thema mehr sind.