Studienleiterin: Frauen stehen bei Nihil obstat mehr unter Beobachtung
18 zu 82 Prozent bei Fachpublikationen, 21 zu 79 Prozent bei akademischen Veranstaltungen: Eine Studie des wissenschaftlichen Forums "Agenda" kommt zu dem Ergebnis, dass katholische Theologinnen medial und wissenschaftlich im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen deutlich unterrepräsentiert sind. Über 300 Theologinnen aus mehreren Ländern sind in dem Netzwerk zusammengeschlossen. Die Vorsitzende Gunda Werner erklärt, was sich ändern muss, damit Theologinnen in der Öffentlichkeit besser sichtbar werden – und warum sie persönlich für eine Frauenquote ist.
Frage: Frau Werner, erfahren Sie das, was Ihr Verein in dieser Studie herausgefunden hat, auch persönlich?
Werner: Ich werde zwar nicht übermäßig häufig von Zeitschriften angefragt, für Buchbeiträge oder Vorträge aber schon regelmäßig. Zeitschriften verfahren ja auch nach dem Einsendeprinzip. Es ist in der Tat ein Phänomen, dass Theologinnen, wenn sie die gläserne Decke zu einer Professur durchstoßen haben und somit in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit stehen, sehr viel angefragt werden. Ich erfahre oft von Kolleginnen, dass es, sobald man eine Professur innehat, so viele Anfragen gibt, dass man schon fast auswählen muss, was man zusagen kann. In dem Moment sind die Möglichkeiten durchaus da, durch Artikel in Fachzeitschriften oder Vorträge präsent zu sein.
Frage: Wo liegt dann das Problem?
Werner: Diese Unwucht zwischen dem Frauen- und Männeranteil in den Fachpublikationen oder bei den Veranstaltungen von Arbeitsgemeinschaften bleibt trotzdem bestehen. Man müsste hier sicher nochmal nachforschen, was alles dazu führt, dass das so zustande kommt. Aber klar ist auch: Die letzte Erhebung aus dem Jahr 2016 hat ergeben, dass die theologischen Lehrstühle gerade einmal zu 17 Prozent von Frauen besetzt sind. Diese wenigen Frauen werden nur dann häufiger angefragt, wenn bei Organisatoren das Bewusstsein vorhanden ist, dass eine Veranstaltung nicht nur Theologen, sondern auch Theologinnen präsentieren soll – weil tendenziell eben Professorinnen angefragt werden und nicht Frauen in der Qualifikationsphase.
Frage: Demnach liegt das Grundproblem also gar nicht bei den Fachzeitschriften, sondern bei den Lehrstühlen.
Werner: Der deutlich geringere Frauenanteil an den theologischen Lehrstühlen ist dabei natürlich ein Problem. In Deutschland ist in den letzten zehn Jahren zwar ein Aufwärtstrend erkennbar, in Österreich und in der Schweiz sind die Zahlen im gleichen Zeitraum allerdings geringer geworden. Wenn man sich aber ansieht, wie viele Frauen im sogenannten Mittelbau arbeiten, also mit der Arbeit an einer Promotion oder Habilitation an der Uni beschäftigt sind, dann sind es, Stand 2016, 42 Prozent der Gesamtzahl aller Angestellten im Mittelbau. Diese Zahl schlägt sich jedoch nicht in den Einladungen zu Vorträgen oder Anfragen für Artikel nieder. Diese Frauen müssen eben eingeladen werden oder einen Veröffentlichungsort finden. Das ist der Appell, den wir als Verein "Agenda" setzen wollen: idealerweise eine 50-prozentige Parität.
Frage: Den Verantwortlichen von Publikationen geht es nicht selten darum, meinungsstarke und eventuell auch provokante Beiträge zu veröffentlichen. Fragen sie deshalb tendenziell Männer eher an, weil sie sich das eher von ihnen erwarten?
Werner: Ich würde sagen, dass das eine sich verselbstständigende Spirale ist. Dass es vor 20 oder auch zehn Jahren noch deutlich mehr Männer als Frauen in der theologischen Forschung gab als heute, bedeutet auch, dass von vorneherein mehr Männer öffentlich in der ersten Reihe standen, die sich dann pointiert geäußert haben und dadurch im öffentlichen Gedächtnis hängen geblieben sind. Dann kamen endlich die ersten Frauen dazu, die gerne gefragt wurden – die bleiben dann genauso im Gedächtnis. Die wenigen Frauen und die vielen Männer, die regelmäßig in der Öffentlichkeit stehen, sind ja irgendwie da hingekommen – weil sie sich geäußert haben und viel gefragt worden sind. Aber sie haben auch einmal angefangen, ohne im Rampenlicht zu stehen. Wenn man sich kirchliche Medien aus dem deutschsprachigen Raum ansieht, kann man den Eindruck bekommen, dass es – plakativ gesprochen – fünf Männer und drei Frauen gibt, die sich zu theologischen Themen äußern. Diese Datenlücke zu schließen, liegt in der Verantwortung von Organen wie Zeitschriften oder Portalen.
Frage: Wir von katholisch.de versuchen dezidiert immer wieder, Stimmen von Theologinnen einzuholen, die aber dann ihrerseits auf Kollegen verweisen, weil sie sich nicht für die vermeintlichen Expertinnen halten. Manchmal spielt auch der Respekt vor möglichen Reaktionen in den Sozialen Medien eine Rolle. Sind Frauen da vielleicht doch ängstlicher?
Werner: Ich persönlich mache mir überhaupt nichts aus Sozialen Medien und bin bei keiner Plattform angemeldet, kann dazu also aus eigener Erfahrung nichts sagen. Aber ich würde es generell von einer anderen Seite betrachten und nicht personalisieren oder auf einen Wesenstypus von Frauen hin psychologisieren. Das ist meines Erachtens eine Sackgasse. Der Weg in eine exponierte Stellung, im wissenschaftlichen Kontext eben zu einer Professur, ist für Frauen kein einfacher. Sie sind dauernd in der Minderheit, müssen sich dauernd behaupten, haben oft das Gefühl, mehr leisten zu müssen als Männer und müssen sich dann noch sagen lassen, sie seien ja ohnehin nur eine "Quotenfrau". Zudem werden sie gerne für "Frauenthemen" angefragt, was die Nicht-Sichtbarkeit als Theologin insofern erhöht als dass ihnen Kompetenz nur in dem zugesprochen wird, was sie quasi natürlich betrifft: Frauenfrage, Kinder, Gender, Emotionen, Erziehung… Nicht alle wollen das. Und nicht zuletzt haben viele Theologinnen negative Erfahrungen mit dem Nihil-obstat-Verfahren gemacht und wollen sich deshalb mit pointierten Äußerungen eher zurückhalten. Vor diesem Hintergrund kann ich manche Reserviertheit durchaus nachvollziehen.
Fragen: Stehen Frauen in der Theologie stärker unter Beobachtung als Männer?
Werner: Den Eindruck habe ich schon. Wenn es etwa um das Nihil obstat geht: Da gibt es keinen offenen Diskurs, wer damit Schwierigkeiten hatte oder nicht. Von dem, was ich mitbekomme, trifft es aber doch ziemlich viele Frauen. Hinzu kommt, dass es Frauen von der Öffentlichkeit zum Nachteil ausgelegt wird, wenn sie Verhaltensweisen an den Tag legen, die bei Männern völlig selbstverständlich sind. Dies ist ja auch hinreichend erforscht. Wenn sie pointierter werden oder Leitungspositionen beanspruchen, gelten Männer als durchsetzungsstark und zielorientiert. Frauen werden dann "stutenbissig" oder "machtgeil" genannt. Ich glaube, diese Zuschreibungen sind sehr ernst zu nehmen, weil sie natürlich etwas ausmachen.
Frage: Es gibt ja – und das klang schon an – "etablierte" Theologinnen, die immer wieder im kirchlichen Diskurs auftauchen. Ich denke da etwa an Dorothea Sattler oder Johanna Rahner. Was machen die anders als ihre Kolleginnen – oder vielleicht sogar besser?
Werner: Erstmal sind die beiden sehr gute und pointierte Theologinnen, die für ihr Fach stehen. Sie sind Vorreiterinnen in ganz Vielem. Sie sind präsent – und das ist inhaltlich wie symbolisch wichtig. Sie kommen aus einer Generation, in der sie in Vielem wirklich die ersten waren – zum Beispiel bei der Besetzung eines Lehrstuhls, der Habilitation in ihrem Fach, der Rolle als erste Dekanin und so weiter. Hier kann man noch weitere Frauen nennen, wie zum Beispiel Marie-Theres Wacker, Irmtraud Fischer, Margit Eckholt, Sabine Demel oder Marianne Heimbach-Steins. Sie sind so etwas wie die "Mütter". Allein dadurch waren sie schon präsent. Dazu kommt natürlich ihre exzellente fachliche Expertise. Sie haben ganz viele Selbstverständlichkeiten freigekämpft für die nachfolgenden Frauen. Problematisch ist, dass Medien, die natürlich Namen brauchen, sich nicht mehr auf die Suche nach der nächsten Generation machen. Wir von "Agenda" haben ein großes Netzwerk und können diese Namen gerne vermitteln. (lacht)
„Es darf eigentlich keine Veranstaltungen mehr geben, bei denen keine Frauen referieren, weil dann dem Wissenschaftssystem etwas fehlt. Dieser Bewusstseinsprozess muss aber nicht nur bei Männern starten, sondern genauso bei Frauen.“
Frage: Sie fordern insgesamt ein größeres Problembewusstsein. Was muss also in die Köpfe von Redaktionsleitern oder Veranstaltungsorganisatoren?
Werner: Auf jeden Fall muss die Frage der Gleichstellung eine größere Rolle bei Zeitschriften oder Veranstaltungen spielen. Hier gilt auch das, was für die Wissenschaft insgesamt gilt: Wenn nur 50 Prozent der Menschheit abgebildet werden, wird nicht das ausgeschöpft, was die Theologie eigentlich hergäbe. Da fehlt einfach etwas. Dadurch entgehen der theologischen Debatte unter Umständen andere, wichtige Perspektiven. Wir von "Agenda" betonen immer, dass Gleichberechtigung kein Frauenthema ist, sondern alle angehen muss. Es darf eigentlich keine Veranstaltungen mehr geben, bei denen keine Frauen referieren, weil dann dem Wissenschaftssystem etwas fehlt. Dieser Bewusstseinsprozess muss aber nicht nur bei Männern starten, sondern genauso bei Frauen. Auch sie sind unter den Entscheiderinnen und Entscheidern.
Frage: Wie kann man gegen diese Diskrepanz ankämpfen? Gibt es wirksamere Mittel, als Zeitschriften oder Tagungsveranstalter zu einer Selbstverpflichtung zu bewegen?
Werner: Wo man nichts Konkretes beschließt, passiert nichts. Ich persönlich war lange Zeit gegen Quoten, aber genau aus dieser Erfahrung heraus bin ich inzwischen dafür. Es ist eine naive Vorstellung, dass jemand tatsächlich freiwillig Macht abgibt. Es bräuchte nicht nur eine Selbstverpflichtung, sondern eine Verpflichtung. Gerade bei Veranstaltungen oder Veröffentlichungen könnten Gelder oder Zuschüsse davon abhängig gemacht werden, ob die Parität stimmt. Irgendwann wird sich das dann automatisieren, weil viel mehr Frauen in Positionen kommen werden, in denen sie selbst einladen oder entscheiden – und Männer die Parität als selbstverständlich empfinden.
Frage: Wir haben viel über strukturelle Gründe gesprochen, warum Frauen nicht angemessen im theologischen Diskurs vorkommen. Wie können Frauen selbst dieser "Opferrolle" entkommen?
Werner: Meine Erfahrungen aus dem Mentoring mit Nachwuchswissenschaftlerinnen vermitteln mir den Eindruck, dass es sehr viel Ermutigung braucht, dass sie mit ihren Themen an die Öffentlichkeit gehen, dass sie ein Thema übernehmen, das sie bisher noch nicht bearbeitet haben. Ich will die Verantwortung aber gerade nicht auf die Frauen legen, frei nach dem Motto, sie machen ja den Mund nicht auf. Das ist nicht der Punkt. Wir leben in einem System, in denen ihnen so früh vermittelt wird, dass die Macher der Welt doch eher männlich sind. Gegen diese tiefsitzenden kulturellen Strukturen anzuarbeiten, ist für Frauen unendlich anstrengend, weil es sie erstens trifft, zweitens muss es ihnen bewusst sein, drittens müssen sie dagegen angehen. Und dann müssen sie noch dafür sorgen, dass sie nicht in eine Opferrolle geraten. Dagegen verwehre ich mich: Die Frauen sind in keiner Opferrolle, sondern sie stehen innerhalb einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sie aus mehreren Richtungen trifft und die Ausgangsposition leider auch 2021 erschwert.
Frage: Woraus schöpfen Sie Hoffnung, dass sich die Lage für Theologinnen zum Positiven wandelt?
Werner: Wenn ich nur auf unser Netzwerk schaue: In den vergangenen Jahren haben sich ganz viele junge Theologinnen uns angeschlossen. Sie sind sehr aktiv, forschen exzellent, vernetzen sich und treten für ihre Sache ein. Sie haben ihre eigenen Blogs, machen Öffentlichkeitsarbeit, gehen einfach mit ihren Themen raus. Sie sagen sehr klar, dass sie keine Lust mehr haben, zu schweigen und zu warten.
Frage: Das heißt, auch der Verein insgesamt nimmt sich vor, lauter zu werden?
Werner: Genau, wir werden noch lauter. Wir sind schon 2019 nach dem Hohenheimer Theologinnen-Treffen, dem Vernetzungstreffen für Theologinnen seit über zwei Jahrzehnten, mit der Pressemitteilung "Wir werden nicht schweigen" an die Öffentlichkeit gegangen. Wir werden mit unseren Themen jetzt auch in der kirchlichen Öffentlichkeit besser wahrgenommen. Auch dort hat sich das Bewusstsein verstärkt. Das gibt mir zusätzlich Hoffnung.