Nach Missbrauchsstudie: Was droht Alterzbischof Robert Zollitsch?
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat nach den Enthüllungen im Missbrauchsbericht zu sexualisierter Gewalt und deren Vertuschung im Erzbistum Freiburg klar gestellt: "Wenn der Verdacht von Straftaten im Raum steht, gibt es kein kirchliches Sonderrecht. Die Zeiten der Vertuschung von schrecklichen Missbrauchstaten muss endlich vorbei sein", sagte der Minister der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Welche Straftaten stehen überhaupt im Raum? Und was muss der Hauptbeschuldigte des Berichts, der frühere Bischofkonferenz-Vorsitzende Robert Zollitsch, fürchten?
Das Strafrecht kennt keinen eigenen Tatbestand der Förderung oder der Vertuschung von Kindesmissbrauch. Auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Missbrauch dürfte nicht in Frage kommen, weil dann Vorsatz – gerichtet auf die Fortsetzung der Verbrechen durch den eigentlichen Täter – nachgewiesen werden müsste. Ein Staatsanwalt könnte indes prüfen, ob sich Zollitsch wegen Unterlassens strafbar gemacht hat. War er als Vorgesetzter der Missbrauchspriester verpflichtet, potenzielle Opfer zu schützen? Und hat die stillschweigende Versetzung der Täter die Aufsichts- und Fürsorgepflicht verletzt? Bislang hat es in der Bundesrepublik noch keine solche Anklage gegen einen Bischof gegeben. Auch der Vorwurf der Strafvereitelung steht im Raum. Etwa im Blick auf verschwundene Akten oder Protokolle.
Frage der Verjährung spielt bei der Bewertung eine Rolle
Eine Rolle bei der strafrechtlichen Bewertung spielt die Verjährung der Taten, die teils lange zurückliegen. Denn Zollitsch trug bereits ab 1983 die Personalverantwortung im Bistum, lange bevor er 2003 Erzbischof wurde. Bei schweren Straftaten gelten aber lange Verjährungsfristen, die bis zu 20 Jahren betragen können. Etwa wenn man den Bischof anklagen würde, durch Unterlassung erst eine Vergewaltigung eines Minderjährigen ermöglicht zu haben. Die Freiburger Staatsanwaltschaft hat inzwischen mitgeteilt, den Missbrauchsbericht genau zu prüfen. Falls sich ein Anfangsverdacht für Straftaten ergeben sollte, werde die Behörde aktiv, sagte ein Sprecher. Strafanzeigen gegen Zollitsch oder andere Freiburger Kirchenverantwortliche seien bislang nicht eingegangen.
Der am Dienstag nach jahrelangen Recherchen vorgestellt Bericht wirft Zollitsch vielfachen Rechtsbruch vor. Die Studie konzentriert sich vor allem auf das Kirchenrecht. Die katholische Kirche hat ein weltweit gültiges Gesetzeswerk – mit eigenen Gerichten und Sanktionsmöglichkeiten. Dabei ersetzt das Kirchenrecht nie das staatliche Recht, sondern steht nur ergänzend daneben. Laut dem Bericht hat es Zollitsch bewusst unterlassen, kirchliche Strafprozesse gegen beschuldigte Priester durch Anzeigen anzustoßen – selbst bei staatlich verurteilten Tätern. Am schwersten wiegt der Vorwurf, dass Zollitsch weitere sexualisierte Gewalt und Missbrauch durch sein Handeln erst ermöglicht habe. Eben indem er es unterlassen hat, beschuldigte oder überführte Priester zu stoppen. Und sie stattdessen stillschweigend in andere Kirchengemeinden versetzte, wo erneut Minderjährige zu Opfern wurden.
Für den aktuellen Freiburger Erzbischof Stephan Burger, ein ausgewiesener Kirchenrechtsexperte, reichten die im Bericht zusammengetragenen Belege, um seinen Amtsvorgänger bereits vor längerer Zeit im Vatikan anzuzeigen. Dabei kann laut katholischem Kirchenrecht letztlich nur der Papst einen früheren Ortsbischof sanktionieren. Das kirchliche Recht räumt den Bischöfen eine sehr starke Rechtsposition und weitreichende Autonomie ein. Grundlage für Burgers Anzeige ist der päpstliche Erlass "Ihr seid das Licht der Welt", der seit 2019 gilt. Demnach muss sich jeder Priester sofort an seinen Bischof wenden, wenn er Hinweise auf Missbrauch oder dessen Vertuschung erhält. Wenn sich der Verdacht gegen einen Bischof richtet, muss der Vatikan eingeschaltet werden. Zuständig ist die Bischofs-Abteilung im Vatikan, das Bischofsdikasterium. In Freiburg ist derzeit nichts zum Stand der Ermittlungen des Vatikans bekannt.
Mögliche Strafen sind im Kirchenrecht geregelt
Im Kirchenrecht geregelt sind mögliche Strafen: Für Missbrauchstäter ist die Höchststrafe die zwangsweise Entlassung aus dem Klerikerstand. Ein Bischof, der für schuldig befunden wird, vertuscht oder eine Strafverfolgung vereitelt zu haben, muss zurücktreten. Denkbar sind für einen Altbischof förmliche Verbote bischöflicher Handlungen wie Firmungen oder Priesterweihen oder ein Verbot, die bischöflichen Kennzeichen wie Mitra, Bischofsstab und Bischofskreuz in der Öffentlichkeit zu tragen. In schweren Fällen sind auch Kürzungen der Pensionsbezüge sowie ein befristetes oder vollständiges Verbot öffentlicher Auftritte möglich. Im Fall Zollitsch dürften die meisten dieser Strafen kaum breite Wirkung erzielen, weil der 84-Jährige ohnehin seit langem nicht mehr öffentlich auftritt. Persönlich treffen würde eine Verurteilung Roms Zollitsch aber sicher.
Jenseits der Rechtsnormen stellt sich eine weitere Frage: Wie mit Zollitschs Porträtbildern umgehen? In vielen Gemeinden hängen Fotos von ihm. In der Freiburger Kirchenverwaltungszentrale, dem Ordinariat, hat Burger bereits entschieden: Er ließ am Donnerstag alle Ölgemälde-Porträts seiner Vorgänger abhängen. Missbrauchsopfer haben zudem gefordert, Zollitsch nicht in der Bischofsgruft des Münsters beizusetzen. Dies wäre eine symbolische und in dieser Form noch nicht dagewesene Entscheidung über den Tod hinaus.