Sie haben mir gar nix zu sagen! – Der gute Hirte als Korrektiv
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"Sie haben mir gar nix zu sagen!" – entgegnet mir meine Schülerin im Religionsunterricht, weil sie es mal wieder als unfair empfindet, wenn ich sie zurechtweise. "Das ist voll unfair. Wieso soll ich immer genau das tun, was mir meine Lehrerin sagt?", fragt sie mich. Ich bin erst einmal genervt und möchte doch nur meinen Unterricht fortsetzen, ohne die ganze Zeit von ihr gestört und provoziert zu werden. Sie fordert mich heraus.
Und das ist gut so. Wie es aussieht und welche furchtbaren Ausmaße es nehmen kann, wenn Menschen ohne nachdenken zu dürfen, unfrei auf eine Stimme hören müssen, das können wir in den Kriegsgebieten und in den diktatorischen Systemen unserer Welt beobachten. Nachzudenken und nicht blind einer Herde oder irgendeinem Hirten hinterher zu trotten, das erwarte ich von mir selbst und auch von meinen Schüler*innen.
Manch einer versteht vielleicht auch gerne die Kirche als ein uniformiertes System, bei dem es angebracht ist, gleichgeschaltet mit anderen Schafen jemandem hinterherzulaufen. Und dabei sollen die Schafe darauf hören, was Bischof oder Pfarrer diktieren. Jesus vergleicht sich heute mit dem guten Hirten und zeigt mir, dass Schaf in seiner Herde zu sein, etwas ganz anderes bedeutet. "Er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus." (Joh 10,3b)
Für mich bedeutet hinausgeführt zu werden, dann gerade nicht von diesem Hirten in Gefangenschaft und Engstirnigkeit, sondern in Freiheit geführt zu werden. Jesus betont, dass seine Schafe eben nicht auf alle hören, sondern beim Hören der Stimme nachdenken, hinterfragen, ob diese Stimme ihnen Gutes will oder ein Verbrecher ist. Dann erst entscheiden sie, ob sie auf diese Stimme hören. Dass er jedes seiner Schafe beim Namen kennt, zeigt mir, dass es nicht darum geht, gleichgeschaltet, sondern individuell zu sein. Dieser gute Hirte möchte, dass wir "Leben in Fülle" (vgl. Joh 10,10) haben. Er fordert uns heraus, genau hinzuhören, welche Stimme uns was verspricht und genau hinzusehen, wem wir hinterherlaufen: Ob es dem Leben dient oder es vernichtet.
Wenn meine Schülerin mir also nächstes Mal entgegnet: "Ich höre nicht einfach ohne nachzudenken auf jede Stimme!", dann hat sie schon viel vom guten Hirten verstanden. Für mich bleibt nach dem heutigen Sonntag stets der gute Hirte Jesus Christus als Korrektiv. An ihm und an seiner Stimme, die mich beim Namen kennt und ruft, kann ich messen, worauf ich hören sollte und ob es dem Leben dient oder nicht.
Evangelium nach Johannes (Joh 10,1-10)
In jener Zeit sprach Jesus: Amen, amen, ich sage euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe.
Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte.
Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.
Die Autorin
Luisa Maurer arbeitet als Pastoralassistentin im Bistum Trier und ist mit den Themenschwerpunkten Jugendarbeit, Firmvorbereitung und Beerdigungsdienst eingesetzt.