Standpunkt

Nach Freiburger Missbrauchsstudie braucht es einen Systemwechsel!

Veröffentlicht am 26.04.2023 um 00:01 Uhr – Von Joachim Frank – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Freiburger Missbrauchsstudie zeigt, dass Erzbischof Zollitsch keine Missbrauchsaufklärung wollte. Die Irreführung der Öffentlichkeit durch Bischöfe müsse enden, kommentiert Joachim Frank. Stattdessen brauche es wirksame Veränderungen im System.

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13 Jahre nach der Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Berliner Canisiuskolleg der Jesuiten mit der danach einsetzenden Welle weiterer Enthüllungen hat sich in einer ersten Historisierung der Geschehnisse durch kirchliche Verantwortungsträger das Narrativ eingebürgert, ohne den Druck der Öffentlichkeit wären "wir" mit der Aufklärung "nicht so weit gekommen". Das behagt natürlich "der Öffentlichkeit" – genauer gesagt, Journalistinnen und Journalisten, die mit ihren Berichten beharrlich Öffentlichkeit hergestellt und den Betroffenen Stimme gegeben haben.

Allerdings zeigt spätestens die in der vorigen Woche veröffentlichte Freiburger Missbrauchsstudie, dass das bischöfliche Lob des (medialen) Drucks über Jahre hinweg nichts anderes war als süßes Gift, Teil einer weit über 2010 hinaus reichenden Strategie der Vertuschung, der Irreführung und Verdummung der Öffentlichkeit. Führende Vertreter des Episkopats wollten alles Mögliche – nur nicht "weiterkommen" mit der Aufklärung. Und in Rom ließ ein Deutscher auf dem Stuhl Petri seine Mitbrüder in der Heimat gewähren.

Der frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, missachtete systematisch die eigenen Leitlinien, mit denen die Bischöfe nach 2010 ihr "Wir haben verstanden" zelebrierten. Kardinal Joachim Meisner in Köln pflegte seine "Nichts geahnt"-Attitüde, Kardinal Karl Lehmann in Mainz kanzelte Opfer ab, die an die Öffentlichkeit drängten.

Unter Zollitschs Führung trug die Bischofskonferenz den Laien einen "Gesprächsprozess" an, dessen einziger Sinn darin bestand, über nichts sprechen zu müssen, was die Strukturen und Machtverhältnisse in der Kirche tangieren würde. Dialog als Fortsetzung des Verschweigens und der Verweigerung mit anderen Mitteln. 

Die perfide Strategie des schönen Scheins verband Intellektuelle und Arme im Geiste, Reaktionäre und Liberale, Leutselige und klerikale Büroklammern. Immer war die Kirche wichtiger als die Kinder, die in der Kirche Opfer furchtbarer Gewalt geworden waren. Diese durchgängige Umwertung der Werte und der Begriffe – unabhängig von der persönlichen, charakterlichen oder theologischen Disposition der einzelnen Bischöfe – müsste auch den letzten Zweifler von einem Systemversagen überzeugen.

Mit der Beteuerung des Aufarbeitungswillens und mit dem Lob des Drucks ist es 13 Jahre nach Canisius wie mit dem Atomausstieg: Die Brennstäbe aus den Reaktoren, deren Strahlung alles Leben tötet, sind immer noch da. Und keiner weiß, wohin damit.  Zentrale Begriffe in der Kirche wie Verantwortung, Schuld, Dialog, Transparenz, Erneuerung – auch allesamt kontaminiert, allesamt verstrahlt, auf unabsehbare Zeit unbrauchbar. Das ist der selbstverursachte Kirchen-GAU.

Aus ihm kann es nur ein Entrinnen geben: wirksame, sichtbare, belastbare Veränderungen im System. Wer es immer noch für sakrosankt erklärt, sollte Worte wie Aufarbeitung, Erneuerung und Priorität für die Perspektive der Opfer nicht mehr in den Mund nehmen.

Von Joachim Frank

Der Autor

Joachim Frank ist "DuMont"-Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion des "Kölner Stadt-Anzeiger". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.