Vernetzungstreffen der diözesanen Beiräte von Missbrauchsbetroffenen

Beiratssprecherin: Wollen für echte Teilhabe der Betroffenen sorgen

Veröffentlicht am 28.04.2023 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn/Dresden ‐ Die Beiräte von Missbrauchsbetroffenen bei den Bistümern wollen enger zusammenarbeiten. Deshalb haben sich ihre Vertreter nun erstmals getroffen. Mitorganisatorin Sabine Otto erklärt im katholisch.de-Interview den Sinn dieser Vernetzung – und spricht über die "Baustellen" bei der Aufarbeitung.

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Der vatikanische Kinderschutzexperte Hans Zollner steuerte ein Grußwort bei: Am Dienstag gab es erstmals ein (digitales) Treffen von Vertretern der Beiräte von Missbrauchsbetroffenen bei den deutschen Bistümern. Die Teilnehmenden repräsentierten die Beiräte von 20 der 27 deutschen Diözesen. Die Konferenz soll der Startpunkt für eine Vernetzungsoffensive der Betroffenenbeiräte sein. Initiiert wurde sie von Rolf Fahnenbruck (Betroffenenbeirat Passau) und Sabine Otto (Betroffenenbeirat Ost). Im Interview erläutert Otto den Anlass, die Themen und die Ziele der beginnenden Zusammenarbeit.

Frage: Frau Otto, erstmals haben sich Vertreter aus Betroffenenbeiräten verschiedener Diözesen getroffen, um sich zu vernetzen. Was war die zentrale Erkenntnis?

Otto: Die zentrale Erkenntnis war, dass unter Betroffenenbeiräten und Gruppierungen, die ähnliche Aufgaben wahrnehmen, eine breit gefächerte Kompetenzlandschaft vorliegt. Es gibt unglaublich viel Wissen über ganz verschiedene Aspekte der Aufarbeitung und über die verschiedenen Arten, wie die Bistümer Betroffenenbeiräte beteiligen. Weil es bislang keine Vernetzungsinstanz gab, liegen viele Synergien brach. In jedem Beirat gibt es Dinge, die bei der Zusammenarbeit mit den Bistümern gut laufen und solche, die verbesserungswürdig sind. Angelegenheiten, bei denen der eine Beirat überhaupt nicht weiter weiß, sind in einem anderen völlig entspannt geregelt. Diese Erfahrungen wollen wir künftig teilen und uns untereinander helfen, Probleme im Sinne von "best practice" zu lösen. Dadurch hoffen wir, dass Kraft und Energie frei werden, um sich wirklich um das zu kümmern, wofür wir da sind: die Betroffenenperspektive in alle Prozesse und Entscheidungen rund um die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs der katholischen Kirche auch wirklich einbringen zu können.

Frage: Geht es nur um diesen Wissensaustausch oder gibt es auch andere Gründe für die Vernetzung?

Otto: Wir merken, dass im Bereich der Aufarbeitung momentan an vielen Stellschrauben gearbeitet wird – einerseits bei der Bischofskonferenz, andererseits auch in der Politik. Die Betroffenenbeiräte haben inzwischen eine gewisse Erfahrung und Geläufigkeit in ihrer alltäglichen Arbeit. Deshalb möchten wir gerne einbezogen werden, um diese Prozesse und Entscheidungen mitzugestalten. Leider gibt es bislang keine Verbindung zwischen dem Betroffenenbeirat bei der Bischofskonferenz und den Beiräten bei den Diözesen. Der Beirat bei der Bischofskonferenz wird ständig in Entscheidungen einbezogen, mit denen wir dann in den Bistümern arbeiten müssen. Unter uns ist schon eine gewisse Unzufriedenheit feststellbar, dass unsere Expertise nicht abgerufen wird. Aber um daran etwas zu ändern, müssen wir uns erst vernetzen und unsere Zusammenarbeit sowie unser Vertrauen untereinander stabilisieren.

Frage: Wie haben Sie die Arbeitsatmosphäre bei Ihrem Vernetzungstreffen wahrgenommen?

Otto: Sehr gut. Ich hatte vorher die eine oder andere Befürchtung, dass es bei 20 Leuten aus verschieden Bistümern und mit unterschiedlichen Erfahrungen etwas schwierig werden könnte, gerade, wenn man sich überhaupt nicht kennt und erstmal Vertrauen fassen muss gegenüber den anderen. Aber die Arbeitsatmosphäre war bis zum Schluss sehr professionell und sehr konzentriert. Jeder konnte seine Prioritäten und Baustellen vorstellen. Und wenn dann am Ende dabei rauskommt, dass es Schnittmengen gibt, ist das schon mal ein guter Anfang.

Sabine Otto
Bild: ©Privat

Sabine Otto ist Sprecherin des Betroffenenbeirats bei den ostdeutschen Bistümern und hat das Treffen mitorganisiert.

Frage: Sie wollen untereinander die Zusammenarbeit intensivieren. Was haben Sie vereinbart?

Otto: Wir haben zunächst vereinbart, die Zusammenarbeit zu verstetigen. Ab sofort wollen wir uns an einem festen Termin jeden Monat digital treffen und so schnell wie möglich, am besten noch vor dem Sommer, ein Präsenztreffen durchführen. Wir haben die Zusage von Pater Hans Zollner, dass er uns bei diesem Treffen unterstützt. Und darüber hinaus haben wir beschlossen, dass wir zu bestimmten Sachthemen Arbeitsgruppen bilden wollen.

Frage: Um welche Themen werden sich diese Arbeitsgruppen kümmern?

Otto: Wir wollen eine Arbeitsgruppe zu den ganzen finanziellen Aspekten der Aufarbeitung, beispielsweise den sogenannten Anerkennungsleistungen. Dann wird es eine Arbeitsgruppe zu den juristischen Fragen geben, etwa zu den Themen "Klagen vor staatlichen Gerichten" und "Widerspruchsverfahren". Gerade zu diesen beiden Themenkomplexen gibt es unter uns viel Kompetenz, da wir viele Juristen dabeihaben. Und natürlich müssen wir in irgendeiner Weise ein Arbeitsformat finden, um wirklich substanzielle Beteiligung an den Debatten und Prozessen rund um die Aufarbeitung zu erhalten. Da geht es dann auch um das Thema Öffentlichkeitsarbeit, damit wir unsere Anliegen effektiv nach außen tragen können.

Frage: Wo sehen die Vertreter der Beiräte die größten Baustellen im Blick auf die Aufarbeitung?

Otto: Es kam immer wieder durch, dass es in diesem institutionalisierten Aufarbeitungsprozess eine Gremien- und Strukturbildungskultur gibt. Es werden immer noch mehr Arbeitsgruppen und Kommissionen gegründet. Wir machen das jetzt zwar auch – aber wir fragen uns, wie all das, was passiert, die Lage von Betroffenen verbessern könnte. Deshalb wünschen wir uns, dass wir besser gehört werden. Denn wir haben das Gefühl, dass das alles den Betroffenen nicht wirklich hilft. Sie wollen, dass ihre Situation wirklich verbessert wird – auf verschiedene Weise, in Form von Beteiligung, sicherlich auch in Form von finanzieller Absicherung, aber auch in Form von Respekt. Sie wollen vor allem, dass endlich ihre Stigmatisierung aufhört. Weitere Gremien helfen dabei nicht. Und den Betroffenen beispielsweise einfach eine symbolische Summe Geld zu überweisen und davon auszugehen, dass es damit irgendwie abgegolten ist, und zwar nicht nur finanziell, hat nichts mit Beteiligung zu tun. Wir möchten echte, wertschätzende und gleichberechtigte Teilhabe der Betroffenen – so, wie andere marginalisierte Gruppen in Gesellschaft und Kirche auch Teilhabe fordern.

Frage: Geschieht die Aufarbeitung also an den Betroffenen vorbei?

Otto: Manchmal habe ich schon den Eindruck, dass die Kirche danach fragt, was sie noch erledigen muss, damit sie wieder zum "Normalzustand" zurückkehren kann. Aber die Kirche wird nach dem Missbrauchsskandal nie wieder so sein, wie sie war. Die Betroffenen werden nicht wieder weggehen. Sie wollen und müssen an den Steuerungsprozessen bei der Aufarbeitung mitarbeiten.

„Die Betroffenen werden nicht wieder weggehen. Sie wollen und müssen an den Steuerungsprozessen bei der Aufarbeitung mitarbeiten.“

—  Zitat: Sabine Otto fordert im Namen aller Betroffenenbeiräte mehr Beteiligung

Frage: Kamen bei Ihrem Treffen auch die Unterschiede bei der Aufarbeitung in den einzelnen Bistümern zur Sprache?

Otto: Ich würde es mal so ausdrücken: Dieser Umstand wurde nochmal mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Das wird sicherlich ein Thema bei unserem geplanten Präsenztreffen sein.

Frage: Wurde auch über die unterschiedliche Zusammenarbeit mit den Bistümern gesprochen?

Otto: Ja. Schon in der Vorstellungsrunde hat jeder gesagt, wo er beteiligt ist und wo nicht – und woran das liegt. Wir haben festgestellt, dass das genau einer der Punkte ist, die es so wichtig machen, dass wir uns vernetzen. Wenn jemand in seinem Bistum gesagt bekommt, dies und das muss so sein, weil es in irgendeiner übergeordneten Ordnung so steht und es deshalb alle machen, funktioniert das genau so lange, bis man merkt, dass es woanders ganz anders läuft.

Frage: Wie viel Bereitschaft gibt es unter den Mitgliedern noch, weiter bei den Betroffenenbeiräten mitzuarbeiten? Oder sagen manche auch, wenn es weiter so viele Schwierigkeiten gibt und es teilweise auch so schleppend vorangeht in Sachen Aufarbeitung, steigen sie bald aus?

Otto: Ich habe in dieser Runde nicht wahrgenommen, dass es ernsthafte Ermüdungserscheinungen bei denen gibt, die aktuell an dieser Arbeit dran sind. Ich habe aber sehr wohl wahrgenommen, dass sich der weit überwiegende Teil aller Beiräte mehr Beiratsmitglieder wünscht. Soweit ich das erkennen konnte, ist nahezu in keinem Bistum die Zahl der möglichen Mitglieder erreicht. Und das sagt etwas darüber aus, wie viele Betroffene bereit sind, sich unter den jetzigen Bedingungen eine Mitarbeit anzutun. Dieses Vernetzungstreffen sollte durchaus auch dem Zweck dienen, dass wir einander auch durch schwierige Wegstrecken tragen können.

Frage: Worauf werden die Betroffenenbeiräte nach der ersten Vernetzung in der kommenden Zeit ein besonderes Augenmerk legen?

Otto: Wir wünschen uns sehr, dass wir von den Beiräten, die zu unserem ersten Vernetzungstreffen noch niemanden entsandt hatten, Vertreter gewinnen können. Wenn wir Teilhabe fordern, müssen wir das auch bei uns so gut wie möglich hinkriegen. Im Hinblick auf die Arbeit liegt der große Fokus in der kommenden Zeit darauf, unsere Vernetzung so stabil und so stark zu machen, dass eine nachhaltige öffentliche Präsenz entsteht. Nur dadurch sehen wir die Chance, dass die Betroffenenbeiräte in der öffentlichen Diskussion verstärkt wahrgenommen und real in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Wahrung der Interessen von Betroffenen gegenüber der Deutschen Bischofskonferenz und der von ihr ins Leben gerufenen Gremien.

Von Matthias Altmann