Wenn sich Frauen zur Diakonin berufen fühlen
Die Theologin und Gymnasiallehrerin Claudia Köring war viele Jahre lang im Schuldienst im Ruhrgebiet, als sie ein intensives Berufungserlebnis verspürt. Danach hängt sie ihr altes Berufsleben wie ein abgelegtes Kleidungsstück an den Nagel und fängt beruflich nochmal ganz neu an. "An einem Karfreitag habe ich meine Kündigung in den Briefkasten gesteckt", erinnert sich Köring. Damals war sie Mitte 40. "Es war ein rabenschwarzer Tag" sagt die 59-Jährige im Rückblick. "Ich hatte vier Kinder und verzichtete auf meine sichere Beamtenstelle an der Schule, weil ich wusste, auf mich wartet etwas anderes." Doch sie denkt sich: "Wenn ich einmal auf meinem Sterbebett liege und niemandem gesagt habe, was ich tief drinnen als meine Berufung spüre, dann habe ich nicht gelebt." Heute ist sie froh, dass sie damals den Mut hatte, ihren innersten Wunsch auszusprechen: "Ich möchte katholische Diakonin sein."
Schon nach dem Abitur hat Claudia Köring den Ruf Gottes gespürt. Sie beginnt eine Ausbildung zur Gemeindereferentin, bricht ab und beginnt ein Studium, um Lehrerin zu werden. Immer wieder ahnt sie, dass das nicht das Richtige sei. Und immer wieder trägt sie ihre Sehnsucht im Gebet vor Gott, berichtet Köring. Sie will ganz für andere Menschen da sein, seelsorglich, diakonisch. Ihre Berufung dazu ist so stark, dass sie Kontakt zum "Netzwerk Diakonat der Frau" aufnimmt, das 1997 gegründet wurde. Als sie sich bei Irmentraud Kobusch, die damals schon Vorsitzende ist, meldet, sagt die ihr: "Ich kann Ihnen noch nichts versprechen, aber leben Sie Ihre Berufung, bitte". Und das habe sie dann auch getan, erinnert sich Köring, auch wenn es ihr anfangs nicht leicht gemacht wurde. Selbst ihr Heimatpfarrer in Velbert-Langenberg, einer Kirchengemeinde im Erzbistum Köln, hatte Bedenken. "Aber bald hat er gemerkt, dass er mich nicht mehr loswird und es mir ernst ist", erzählt Köring nicht ohne Stolz. Sie macht eine Ausbildung zur Telefonseelsorgerin, arbeitet in der Seniorenarbeit, engagiert sich in der Trauer- und Sterbebegleitung und gestaltet Gottesdienste mit. Alles ehrenamtlich. Sie macht ihren Dienst aus vollem Herzen. "Ich erlebe es jeden Tag, dass Gott mich schickt", sagt sie.
Claudia Köring ist eine der 14 Teilnehmerinnen des Diakonatskurses, der 2020 gestartet ist. Organisiert werden die Kurse vom Netzwerk Diakonat der Frau. "Wir sind ein freier Träger", erklärt Irmentraud Kobusch, "und als gemeinnütziger Verein können wir solche Kurse für Frauen anbieten und zertifizieren". Offiziell heißt der Kurs: "Fortbildung: Diakonische Leitungsdienste für Frauen in der Kirche". Es ist schon der dritte Kurs in Folge, der erste fand 1999 statt. "Fast alle Teilnehmerinnen stehen mitten im Berufsleben, zum Teil in leitenden Positionen", berichtet die Theologin Jutta Mader-Schömer, die im vierköpfigen Leitungsteam ist.
Die Fortbildungen finden in Waldbreitbach statt, in den Räumlichkeiten des Klosters der Franziskanerinnen. In der von der Ordensgemeinschaft gegründeten Marienhaus GmbH ist Mader-Schömer auch als Präventionsbeauftragte tätig. Sie berichtet, dass sich die Frauen beim Netzwerk für die diakonische Fortbildung bewerben und dann zu Gesprächen eingeladen werden. Dann werde geprüft, ob die Bewerberinnen psychisch stabil, intellektuell fähig und auch alle anderen notwendigen Voraussetzungen für die Ausbildung vorhanden seien. "Das Netzwerk prüft die Frauen so, wie auch die Männer für ihren Weg in den Ständigen Diakonat geprüft werden", sagt Mader-Schömer. Mindestens der theologische Würzburger Fernkurs wird dabei vorausgesetzt. Allen Kursteilnehmerinnen gemeinsam sei es, dass sie eine starke innere Berufung zur Diakonin verspüren. "Alle diese Frauen haben ihr Leben der Nachfolge Jesu Christi geweiht", betont die Theologin Mader-Schömer. Es stärke die Frauen auch zu wissen, dass sie nicht allein auf dem Weg sind und dass sie sich ihre Berufung nicht einbilden. Qualifiziert werden die Kursteilnehmerinnen dann über drei Jahre lang in den Bereichen Diakonie, Liturgie und Verkündigung. Insgesamt sind mit den drei Kursen bis heute 37 Frauen ausgebildet und zertifiziert.
Gespräche mit Bischöfen
Mit dem Zertifikat in der Hand gelangen diese Frauen dann allerdings in eine Warteschleife. Manche der Kursteilnehmerinnen hätten sogar schon Gespräche mit Bischöfen gehabt, um sich und ihre Berufung vorzustellen, weiß Irmentraud Kobusch. "Die meisten dieser Frauen leben ihre Berufung ohnehin jeden Tag", meint sie. Seit 2007 ist Kobusch die Vorsitzende des "Netzwerkes Diakonat der Frau" und sieht sich als Anwältin für Frauen, die die Berufung in sich spüren, Diakonin in der katholischen Kirche zu werden. Denn bislang gibt es diesen Beruf für Frauen dort nicht.
Auslöser für die Idee zu den Diakonatskursen und der Gründung des Netzwerkes war eine lehramtliche Entscheidung aus Rom. Damals hieß es, dass sich die Kirche nicht in der Lage sieht, Frauen zu Priesterinnen zu weihen. "Darüber haben wir lange nachgedacht", erinnert sich Kobusch, "und haben festgestellt, dass der Diakonat für die Frau von dieser Absage nicht betroffen war", sagt sie. "Das sahen wir als Spielraum und Chance und gründeten das Netzwerk", weiß sie noch. Ob der Diakonat für die Frau tatsächlich eines Tages kommen wird? "Ich bin Historikerin und weiß, dass Veränderungen in der Kirche Zeit brauchen", antwortet Kobusch.
Schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil habe es gemeinsame Gruppen von Frauen und Männern gegeben, die sich auf den Ständigen Diakonat vorbereitet haben, erklärt Mader-Schömer. Doch die Frauen hätten damals verzichtet, damit wenigstens die Männer eine Chance haben, meint sie. Seit mehr als 50 Jahren gibt es nun schon den Ständigen Diakonat für Männer in der Kirche. Doch nicht weltweit, ergänzt Irmentraud Kobusch. In Indien oder Afrika nur teilweise, auch in Irland ist der "Männerdiakonat" erst kürzlich eingeführt worden. Dieses Amt des Ständigen Diakonats müsse auch für Frauen geöffnet werden, so Kobusch. Doch Rom muss es wollen. Eine Änderung im Kirchenrecht könnte dies ermöglichen, etwa durch eine pastoral notwendige Ausnahmeregelung im Einzelfall. Einfach nur ein Experiment auf regionaler Ebene sei ihr zu wenig. "Wir wollen kein Sonderamt, sondern eine offizielle kirchliche Weihe für Frauen und für Männer weltweit", so Kobusch.
Die Vision einer Kirche, die diakonisch und geschlechtergerecht ist, treibe die Vorsitzende des Netzwerks Diakonat der Frau bis heute an. "Wir können die Wege nur gemeinsam gehen. Wir brauchen auch die Männer, die sich nicht gegen den Frauendiakonat sperren und für uns Frauen werben, so dass es in Rom ankommt", sagt Kobusch. Eine Hoffnung, dass sich unter Papst Franziskus daran etwas ändern wird, habe Kobusch aber schon. Er bringe Bewegung in das Thema. Außerdem haben das auch die Abstimmungsergebnisse des Synodalen Weges in Frankfurt gezeigt, erklärt Kobusch weiter. Die Vorlage wurde mit großer Mehrheit der Synodalen und auch der Bischöfe angenommen. In dem konkreten Text wird eine Vernetzung mit dem Ständigen Diakonat auf regionaler Ebene angeregt, vielleicht auch, um eine gemeinsame Ausbildung vorzubereiten. "Wir sind als Netzwerk bereits im Austausch mit dem Arbeitskreis Ständiger Diakonat", sagt Kobusch nicht ohne Stolz. Ein gemeinsames Amt für Männer und Frauen, das wäre für sie das ideale Modell für die Zukunft der Kirche.
Wie es weitergeht, weiß sie nicht
Claudia Köring wird im nächsten Jahr im April ihren Diakonatskurs abschließen und ihr Zertifikat erhalten. Sie hat dann offiziell eine diakonische Zusatzqualifikation. Wie es dann weitergeht, weiß sie noch nicht. Vorerst will sie weiterhin in ihrer Gemeinde tätig sein, ehrenamtlich. Um eine "Diakonin" zu sein, fehle ihr dann nur noch die sakramentale Weihe. "Doch diese verwalten bislang nur Männer", sagt sie. Aber, fügt sie hinzu, "Gott weiht mich schon jeden Tag". Sie ist überzeugt, "wenn ich am Sterbebett einer Frau wache und sie den Atem aushaucht, dann weiht mich Gott für diesen Dienst. Wenn Jugendliche nach einem Gottesdienst sagen, lass uns das noch einmal zusammen gestalten, dann bin ich schon geweiht." Köring erzählt auch davon, dass in ihrer Kirchengemeinde wegen eines Brandfalls die Gottesdienste im Saal gefeiert werden. Dort gab es vorerst keinen Tabernakel. Doch weil es Körings tiefster Wunsch war, durfte sie "den Herrn da hineintragen". In diesem Moment fühlte sie sich Gott besonders nah und geweiht. Aus solchen heiligen Momenten schöpfe sie täglich ihre Kraft. Das sei die Bestätigung für ihre Berufung, ist sich Köring sicher. "Ich lebe weiterhin das, wozu ich berufen bin", sagt die Theologin.
Auch Irmentraud Kobusch ist überzeugt, dass es eines Tages katholische Diakoninnen geben wird, ganz offiziell. "Wir werden dran bleiben, bis in Deutschland die erste Frau zur Diakonin geweiht worden ist", sagt sie. Es werde noch etwas dauern. Aber dann werde es Frauen auf der ganzen Welt geben, "die uns heute dafür dankbar sein werden, was wir dafür getan haben", ist Kobusch zuversichtlich.