Nuntius Eterovic und die "leise Macht" des Vatikan
Der Vatikan ist der kleinste Staat der Welt und gleichzeitig Sitz der Zentrale einer der größten Organisationen dieser Erde: Zur katholischen Kirche gehören rund 1,37 Milliarden Menschen, das entspricht etwa 18 Prozent der Weltbevölkerung. "Es gibt kein Land ohne Katholiken", bringt es der Botschafter des Papstes in Berlin, Erzbischof Nikola Eterovic, in seinem vor Kurzem erschienenen Buch "Die leise Macht. Die Diplomatie des Heiligen Stuhls" auf den Punkt.
Seit beinahe zehn Jahren ist der gebürtige Kroate als Nuntius, also Botschafter des Papstes, in Deutschland tätig. Er vertritt das Völkerrechtssubjekt "Heiliger Stuhl", dessen weltweiter Einfluss oft unterschätzt wird. Seine diplomatische Karriere mit Stationen in der Elfenbeinküste, Spanien, Nicaragua, der Ukraine sowie im Staatssekretariat des Vatikans begann Eterovic 1980. Die Erfahrungen, die der heute 72-Jährige gesammelt hat, spiegeln sich in seinem Buch wider, das Eterovic mit allgemeiner Vatikan-Kunde beginnt. Hauptthema ist aber die Außenpolitik des Heiligen Stuhls, der heute diplomatische Beziehungen zu 186 Staaten unterhält.
Zwei Beispiele aus der jüngeren Geschichte
Ausführlich beschäftigt sich der studierte Missionswissenschaftler und Kirchenrechtler mit zwei Beispielen aus der jüngeren Geschichte: Mit der Rolle von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) beim Fall der Berliner Mauer 1989 sowie mit der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens im Zug der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren. So zeichnet Eterovic die erste Reise von Johannes Paul II. in sein Heimatland Polen 1979, dessen Haltung zur antikommunistischen Gewerkschaft Solidarnosc und die Osteuropa-Politik des Heiligen Stuhls nach. Unermüdlich habe sich das Kirchenoberhaupt für die Achtung der Menschenrechte, insbesondere der Religionsfreiheit, eingesetzt.
Der Nuntius zitiert mehrere Zeitzeugen aus Politik und Gesellschaft, die den Anteil des Papstes am Zerfall der kommunistischen Systeme in Europa würdigen. Der letzte Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, etwa sagte, "dass alles, was in Osteuropa in diesen letzten Jahren geschehen ist, nicht möglich gewesen wäre ohne die Gegenwart dieses Papstes".
Eterovics zweites Beispiel ist in Deutschland weniger bekannt: Die Rolle des Heiligen Stuhls bei der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens im Zuge der Balkankriege. Immer wieder kommt der Erzbischof, der 1951 in Pucisca in der damaligen sozialistischen Republik Jugoslawien geboren wurde, auf sein Heimatland Kroatien zu sprechen. Nach dem Fall der Mauer und den daraus folgenden politischen Bewegungen in den Teilrepubliken Jugoslawiens hoffte der Heilige Stuhl zunächst auf die friedliche Bildung eines Staatenbundes, wie Eterovic ausführt. Das Eingreifen der Jugoslawischen Volksarmee verhinderte diese Möglichkeit jedoch. Johannes Paul II. verurteilte das Blutvergießen und rief zum Frieden auf.
Im Juni 1991 erklärten Kroatien und Slowenien ihre Unabhängigkeit. Der Vatikan ist in der Regel zurückhaltend, "abtrünnige" Regionen anzuerkennen. Im Fall der überwiegend katholischen Republiken Kroatien und Slowenien ergriff er jedoch die Initiative. Angesichts der dramatischen Lage in den Ländern sei der Gedanke gereift, dass eine Anerkennung zu einer Beschleunigung des Friedensprozesses beitragen könnte, schreibt Eterovic.
"Die leise Macht" ist ein hilfreiches Einsteigerwerk
Der Heilige Stuhl setzte sich für einen "internationalen Konsens" zur Anerkennung der beiden Staaten ein – und knüpfte diese an Bedingungen. Im November 1991 legte der damalige Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano den Ländern der Konferenz für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ein Memorandum vor, wonach sich die neuen Republiken zu Menschenrechten, Minderheitenrechten und demokratischen Grundsätzen bekennen sollten. Wie sehr das Vorgehen des Heiligen Stuhls die folgenden Entscheidungen auf internationaler Bühne beeinflusste, ist schwer zu sagen. Jedenfalls erkannte die Europäische Gemeinschaft die Republiken Kroatien und Slowenien am 15. Januar 1992 an – zwei Tage nach dem Vatikan. Am 22. Mai 1992 folgten die Vereinten Nationen.
Vor allem die konkreten Beispiele machen aus "Die leise Macht" ein hilfreiches Einsteigerwerk für Menschen, die mehr über den Heiligen Stuhl und dessen Außenpolitik erfahren wollen. Interessant wäre sicherlich auch ein ausführlicher Exkurs über die Ukraine gewesen. Eterovic war von 1999 bis 2004 Papst-Botschafter in dem Land, in dem heute ein Krieg tobt.