Prägte Generationen katholischer Publizisten: Wolfgang Seibel wird 95
Die katholische Kirche in Deutschland leistet sich seit 55 Jahren eine eigene Journalistenschule. Doch ein vernünftiger Name wollte ihr 1968 nicht einfallen. Und so wurde aus dem gewählten sperrigen Begriff "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses" (ifp) umgangssprachlich bald das "Seibel-Institut" – in respektvoller Anerkennung für Gründungsdirektor Wolfgang Seibel. Am 3. Mai wird der Jesuit 95 Jahre alt.
Der Ordensmann leidet seit Jahren an einer Augenkrankheit. Eine Sehfähigkeit von nurmehr acht Prozent lässt etwa Zeitungslektüre nicht mehr zu. Auch mit dem Hören klappt es nicht mehr sonderlich gut. Diese Umstände erschweren es, auf der Höhe einer immer schnelllebigeren Zeit zu bleiben. Dennoch saugt er Neuigkeiten, die ihm bei Besuchen hinterbracht werden, weiterhin mit großem Interesse auf. Bisweilen versieht er sie mit einem scharfzüngigen Kommentar wie früher.
Vor fünf Jahren hatte der schmächtige, kleine Mann noch einmal einen großen Auftritt. Bei der 50-Jahrfeier des ifp in München stahl er dessen bekanntestem Absolventen Thomas Gottschalk die Show. Seibel bekam den längsten Applaus, mehr als der TV-Entertainer, auch mehr als der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Das zeigt die Wertschätzung, die ihm bis heute Generationen katholischer Journalistinnen und Journalisten entgegengebringen, die durch seine Schule gingen.
Der Pfälzer ist durch und durch ein Mann des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Über dessen Reformbeschlüsse berichtete er unter anderem für die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) aus Rom. Das Konzil überwand die in der katholischen Kirche bis damals vorherrschende Abwehrhaltung gegenüber der Moderne. Statt zu verurteilen und sich abzugrenzen, propagierte die Bischofsversammlung den Dialog mit allen Menschen guten Willens, mit Anders- und Nichtgläubigen.
Seibel, der im Zweiten Weltkrieg noch als Luftwaffenhelfer herangezogen worden war, machte daraus ein Programm für die Journalistenausbildung. Deren Absolventinnen und Absolventen sollten "im offenen Dialog nach der Wahrheit suchen", "nie in der Pose des allwissenden Lehrmeisters auftreten", sondern "gemeinsam mit allen anderen um die Lösung der Probleme ringen". So lautete das Vermächtnis des Paters bei seiner Verabschiedung nach 23 Jahren im Oktober 1991.
Vorbehalte von innen und außen
Als ifp-Direktor hatte Seibel stets mit zwei Vorbehalten zu kämpfen: So galt es dem Eindruck entgegenzuwirken, die Kirche wolle mit ihrer Journalistenausbildung gleichsam eine "fünfte Kolonne" in die bundesdeutschen Medien einschmuggeln, um so Einfluss zu nehmen. Nach innen musste er sich des wiederholt von Bischöfen erhobenen Vorwurfs erwehren, die Kirche züchte mit dem ifp ihre eigenen Kritiker heran. Diesen konterte der Jesuit mit einem Hinweis auf das Konzil, in dem sich die Kirche als anhaltend erneuerungsbedürftig bezeichnet habe. Daher sollten die Bischöfe lieber dankbar sein für kritische Journalisten.
Als Herausgeber und Chefredakteur der Jesuiten-Monatszeitschrift "Stimmen der Zeit" setzte Seibel von 1966 bis 1998 auch mit eigener Feder Akzente in kirchenpolitischen Debatten. In seinen Leitartikeln zu Themen wie "Bischofsernennungen", "Die Stellung der Frau in der Kirche" oder "Pluralismus in der Kirche" griff er schon vor mehr als 40 Jahren Reformvorschläge auf, wie sie zuletzt beim Synodalen Weg verhandelt wurden. Dabei befürwortete er durchaus radikale Neuerungen und fing sich dafür manchen bösen Brief aus Rom ein.
Ein Deutscher als Papst? Niemals
So sehr Seibels treffsichere Analysen von vielen geschätzt wurden, beim Konklave 2005 lag er falsch. Zwei Wochen vor der Wahl von Benedikt XVI. sagte der Jesuit in einem KNA-Interview, er könne sich nicht vorstellen, "dass ein Deutscher zum Papst gewählt wird, ganz gleich welcher Richtung und Mentalität. Irgendwo hängen uns Deutschen international immer noch der Nationalsozialismus und die Judenvernichtung nach."
Nun hat er sogar den deutschen Papst überlebt – wie auch sein gleichaltriger Klassenkamerad aus dem Gymnasium in Landau, Friedrich Wetter. Der spätere Erzbischof von München und Freising war sein Schwimmlehrer.