Nächstenliebe in Kriegszeiten: Warum Ratlosigkeit am ehrlichsten ist
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In der Beilage "Christ und Welt" der aktuellen Ausgabe der "Zeit" geht es um die Macht der Meditation. Ausführlich wird von den wohligen Wirkungen einer Achtsamkeitskultur erzählt, die sich an jener Art von Buddhismus orientiert, die in den 1970er Jahren in den Westen gekommen ist. Klingt einerseits wunderbar, denn etwas Watte zwischen sich und dem Alltagsärger kann doch nur willkommen sein. Problematisch daran ist allerdings das, was die Meditations-Jüngerin schließlich bei sich beobachtete: "Die Seelenschau trübt den Blick für die Außenwelt."
Wer sich diese so ungemein populären Religionsrituale ansieht, weiß wieder, was wirklich überzeugend am Christentum ist – was man bei der Debatte über sexuellen Missbrauch schon fast vergessen hatte. Es geht in der Nachfolge Jesu (zumindest dem Anspruch nach!) eben nicht um den eigenen Bauchnabel, sondern um das Du, um Kommunikation. Um die Kommunikation mit Gott in den Erfahrungen der Transzendenz, um den Austausch mit Brüdern und Schwestern im Ringen um Verbesserungen des eigenen Systems, und immer wieder geht es um Kommunikation mit den Nächsten, den Anderen in der Welt. Bei dieser Achtsamkeit steht nicht die eigene Wellness, sondern das Wohlergehen der oder des Anderen im Vordergrund – ohne dass die Sorge um das Selbst ganz schwinden müsste. Aber beim Appell, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, steht halt das Ego schon sprachlich an zweiter Stelle.
Was aber heißt das in Zeiten des Krieges? Nicht ohne Grund wird auch im "Zeit"-Artikel die Ukraine-Erfahrung zum Moment der postmeditativen Erdung. Wer ist da der Nächste? Klar, die Kamerad:innen in den Schützengräben. (Unglaublich, dass es letztere in Europa wieder gibt!) Aber niemand dürfte annehmen, dass Jesus in der Schützengrabenlogik steckengeblieben wäre. Wie gehen wir mit der Mahnung zur Feindesliebe um? Die Kriegsethik, so notwendig sie ist, bleibt oftmals im abstrakt-plausiblen Bereich von Angriff und Verteidigung. Logisch, dass man sich verteidigen können soll! Wie aber steht es mit der Kriegsalltagsethik? Manche werden in solchen Situationen zu selbstlosen Helden. Die Kriege des 20. Jahrhunderts aber haben vor allem gezeigt, wie die Kriegsdynamik die Beteiligten entmenschlicht – und wie schwer es ist, Kriege zu beenden. Jeder neue Tote macht es schlimmer.
Da ist uns nicht egal! Aber was tun? Am Ende bleiben Leid und Ratlosigkeit. Das ist zumindest ehrlicher und empathischer als wohlige Watte.
Die Autorin
Birgit Aschmann ist Professorin für Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.