Verfahrensdauer zu lang und belastend

Betroffene Ordensfrau: Kirchliche Missbrauchsprozesse dauern zu lang

Veröffentlicht am 10.05.2023 um 13:36 Uhr – Lesedauer: 

Zürich ‐ Kirchenrechtliche Missbrauchsverfahren sind lang und belastend – und oft ohne Erfolg. Das bedauert die Vinzentinerin Sophia Weixler, die ein solches Verfahren selbst durchmacht. Sie fordert Reformen zugunsten von Betroffenen.

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Die Ordensfrau Sophia Weixler hält kirchliche Missbrauchsverfahren für zu lang. In einem Interview mit dem Schweizer Portal "kath.ch" (Mittwoch) bedauert die Vinzentinerin, die selbst Betroffene spiritualisierter und sexualisierter Gewalt ist, die belastende Gestaltung kirchlicher Prozesse. Aussagen müssten wiederholt vorgetragen werden, obwohl sie schon schriftlich vorlägen: "Vor Priestern etwa – wobei Betroffene oftmals das Leid durch eine Person dieser Berufsgruppe erlebt haben." Die jahrelangen Verfahren verhinderten, "dass Betroffene sich wenigstens prozessual beruhigen können".

Auch die Stellung der römischen Behörden in kirchlichen Missbrauchsverfahren kritisiert Weixler: "Es dürfte nicht mehr möglich sein, dass ein kirchenrechtlich ergangenes, diözesanes Urteil bei den Dikasterien in Rom einfach wieder aufgehoben wird. Die Dikasterien sollten nicht wie ein Supreme-Court agieren dürfen, sondern formelle Verfahrensfehler prüfen können." Die Identität und das Rollenverständnis von Priestern müssten in den Blick genommen werden, da sie nach Weixlers Ansicht eine Rolle beim kirchlichen Umgang mit Missbrauch spielen. Das kirchliche Strafprozessrecht sieht anders als das staatliche keine aktive Verfahrensbeteiligung von Betroffenen als Nebenkläger vor. Sie werden lediglich als Zeugen gehört. Betroffenenvertreter und Juristen kritisieren diese Regelung seit Jahren.

Ausnutzen von Seelsorgebeziehungen unter Strafe stellen

Mit Blick auf staatliche Verfahren fordert die Ordensfrau, die Kirchen in Prozessen nicht mehr bevorzugt zu behandeln. Es dürfe nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft Akten nur auf Bitte erhielte. "Wie bei anderen grossen Unternehmen müssen Beschlagnahmungen möglich sein", so Weixler. Überlegungen zu einer Reform des § 174c StGB dahingehend, dass er auch Missbrauch in Seelsorgeverhältnissen erfasst, begrüßte sie, ebenso eine Reform des Sexualstrafrechts nach spanischem Vorbild unter dem Grundsatz "Ja heißt ja". Oft bekäme sie den Satz zu hören, dass Gottes Gerechtigkeit größer sei und auf Erden seine ganze Gerechtigkeit nicht erfahren werden könne. "Dem stimme ich zu und kann ihn als Trost annehmen. Zunächst erhofft man sich aber als Betroffene die Anerkennung des erfahrenen Leids."

Die Marchtaler Vinzentinerin Sophia Weixler hat im Februar "Psalmen jenseits von Gewalt und Missbrauch" unter dem Titel "Ich atme Hoffnung" veröffentlicht. "Ohne die Fortschreibung und Bekanntmachung der Erlebnisse von jenen Menschen, die sexualisierte und spiritualisierte Gewalt erleben mussten, können Transformationsprozesse nicht beginnen", schreibt sie in dem Buch. Ihre Gebete habe sie geschrieben, "damit ich die Anhörungen, die Eidablegung auf den Namen des allmächtigen Gottes, die Vernehmungen der staatlichen und kirchlichen Institutionen überleben konnte". (fxn)