Münchner Missbrauchsbetroffene trafen Franziskus im Vatikan

Kick: Nehme dem Papst ab, dass es ihm ernst ist mit der Aufarbeitung

Veröffentlicht am 18.05.2023 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Rom ‐ Missbrauchsbetroffene aus dem Erzbistum München und Freising haben Papst Franziskus getroffen. Elf Tage lang waren sie zuvor mit dem Fahrrad von München nach Rom gefahren. Richard Kick vom Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising berichtet im Interview von der Begegnung mit dem Papst.

  • Teilen:

Anfang Mai war eine Gruppe von neun Missbrauchsbetroffenen in München zu einer Radpilgerreise unter dem Motto "Wir brechen auf! Kirche, bist du dabei?" nach Rom gestartet. Am Mittwoch kamen sie in der italienischen Hauptstadt an und trafen dort auch Papst Franziskus. Wie Richard Kick vom Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising die Pilgertour erlebt hat und wie die Begegnung mit dem Papst war, davon berichtet er im Interview mit katholisch.de.

Frage: Herr Kick, wie war Ihre Begegnung am Petersplatz mit dem Papst?

Kick: Es war unerwartet, unerwartet positiv. Weil keiner von uns neun Betroffenen, die an der Pilgertour teilgenommen haben, es erwartet hätte, dass der Papst so nahbar ist. Es war so ein starkes Zeichen, dass er vom Rollstuhl aufgestanden ist, um auf uns zuzukommen. Er hatte auch gesagt, dass Kardinal Reinhard Marx uns schon vorab angekündigt hatte. Das ist uns sehr positiv aufgefallen.

Frage: Hat Papst Franziskus auf Deutsch mit Ihnen gesprochen?

Kick: Ja. Nur ein paar wenige Sachen sind auf Italienisch übersetzt worden. Ich habe den Papst dann einfach angesprochen und ihm erzählt, dass wir uns von München aus auf dem Weg nach Rom gemacht haben. Ich habe ihm erzählt, wie die Fahrt abgelaufen ist, dass es anstrengend war, es gab viel Regen, unebene Straßen und so weiter. Wir waren insgesamt elf Tage unterwegs. Er hat sich viel Zeit genommen, um uns zuzuhören. Ich habe den Papst in dem Moment als sehr menschlich und zugewandt erlebt. Es war etwa eine Viertelstunde, die er bei uns war. Ich hatte den Eindruck, dass er sehr klar und offen uns gegenüber war und das er die Dinge wahrgenommen hat, um die es uns geht. Und dann hat er laut geseufzt.

Frage: Was war denn der Auslöser für sein Seufzen?

Kick: Ich habe dem Papst erzählt, dass manche der Täter, die wegen sexuellen Missbrauchs beschuldigt sind, noch im Amt sind. Dass man da in der Vergangenheit viel zu wenig getan hat. Dann hat er einen tiefen Seufzer getan. Ich habe gemerkt, dass er in diesem Moment sehr in sich gekehrt war und lange überlegt hat, was er nun antworten könnte. Er hat versucht, eine Antwort zu finden. Er wurde aber nicht konkret und hat dann zwei, drei Mal den Satz wiederholt: "Es ist schwierig, es ist schwierig". Das hat er auf Deutsch gesagt.

„Dass es sexuellen Missbrauch gab und gibt, wissen Priester, wissen Kirchenobere bis hin zum Papst. Sie wissen, was war und was weiterhin ist. Aber sie sind nicht in der Lage, darüber zu sprechen.“

—  Zitat: Richard Kick

Frage: Hat dann jemand nachgefragt, was er damit meint, also warum es schwierig sei?

Kick: Nein, das mussten wir nicht. Er hat dann auf seine linke Körperseite gegriffen, also dorthin, wo sein Herz ist. Und dann hat er zu uns gesagt: "Beten Sie für mich, ich bete auch für Sie."

Frage: Wie haben Sie diese Antwort des Papstes empfunden?

Kick: Das war sehr authentisch. Ich kann es ihm abnehmen, dass es ihm ernst ist mit der Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche und dass es schwierig ist. Ich erlebe Kirche als nicht sprechfähig bei diesem Thema. Das haben wir auch auf unserer Reise erlebt. Mit fällt eine Begegnung in Assisi ein. Dort hat uns ein Ordensmann empfangen. Er hat uns die Kirchen gezeigt und all die schönen Orte dort. Aber er ist nicht auf uns und das Thema sexueller Missbrauch in der Kirche eingegangen. Er wusste, welche Gruppe wir sind, doch er hat sich nicht dazu geäußert. Erst beim Abendessen haben wir ihn damit konfrontiert, warum er nicht in der Lage war, uns anzunehmen. Dafür hat er sich dann später entschuldigt. Er wusste einfach nicht, was er dazu sagen sollte, er hat keine Worte gefunden.

Frage: Ist es etwas Typisches, dass kirchliche Vertreter so tun, als wüssten sie nichts von dem Thema sexueller Missbrauch in der Kirche?

Kick: Nein, Stopp. Nicht, dass die Kirche das nicht wüsste. Dass es sexuellen Missbrauch gab und gibt, wissen Priester, wissen Kirchenobere bis hin zum Papst. Sie wissen, was war und was weiterhin ist. Aber sie sind nicht in der Lage, darüber zu sprechen. Ich sage immer, die Kirche hat keinen Plan. Das haben wir auch vor zwei Jahren im Betroffenenbeirat festgestellt: Hier hat niemand einen Plan. Jetzt aber haben wir Betroffene uns, acht Männer und eine Frau, in Begleitung von tollen Menschen, auf den Weg gemacht, um zu zeigen, was nötig ist, was wichtig ist und wie es weitergehen soll. Aber das haben wir auch ganz klar in der Begegnung mit Papst Franziskus erkannt. Er konnte auch nicht mehr sagen als: "Es ist schwierig".

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Frage: Was haben Sie dem Papst denn bei der Begegnung noch gesagt?

Kick: Ich habe ihm gesagt: Wir sind da und wir sind mit einem Herzen gekommen. Damit habe ich das Geschenk an ihn gemeint, ein Kunstwerk von Michael Pendry, das symbolisch für unser Engagement für ein neues Bewusstsein im Umgang mit sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche steht. Ich finde, es ist wichtig, dass wir uns mit dem Herzen begegnen, also nicht mit Gewalt oder mit Aggressionen. Das Herz steht im Mittelpunkt, es ist der Mittelpunkt des Lebens und wir sollten uns mit Liebe begegnen. Da fällt mir noch eine positive Begegnung mit dem Bischof von Bozen ein. Anfangs war dieser sehr aufgeregt, als er uns in seinem Bischofshaus empfangen hat. Er dachte vielleicht, wir kommen mit der Keule und wollen ihn beschimpfen. Aber es war ein gutes Miteinander. Er zeigte sich im Gespräch danach sehr dankbar, dass er sich uns über Empathie und Menschlichkeit annähern konnte. In Südtirol gibt es auch eine starke Herz-Jesu-Verehrung. Er hat verstanden, worum es uns geht. Da hat unsere Botschaft genau reingepasst.

Frage: Sie waren elf Tage mit dem Fahrrad unterwegs. Sie hätten auch einfach mit dem Flugzeug nach Rom fliegen können. Aber das wollten Sie nicht?

Kick: Nein, wir wollten mit dem Fahrrad nach Rom fahren, weil wir Menschen treffen und ansprechbar sein wollten. Wir wollten zeigen, uns gibt es und wir sind da. Nicht jeder konnte mit dem Thema sexueller Missbrauch in der Kirche umgehen oder wusste, was er uns sagen sollte. Aber das haben wir in den letzten Jahren häufig erlebt. Dennoch gab es so viele schöne Begegnungen auf unserer Tour. Es haben uns viele unterwegs angesprochen: "Ah ihr seid die Gruppe, die von München nach Rom zum Papst fährt." Ein Restaurantleiter hat sich sogar in einer Rede bei uns bedankt und uns für unser Engagement gelobt. Das sind Begegnungen, die uns stärken. Es ist ein Bewusstsein für das Thema in der Gesellschaft da. Die Botschaft ist angekommen.

Frage: Sie sind also zufrieden mit der Reise?

Kick: Ja, ich bin sehr ermutigt, vor allem durch die letzte Station der Reise, das Treffen mit Papst Franziskus. Ich habe gespürt: Er hat sich mit uns verbunden und mit unserem Wunsch, dass wir einander in Liebe begegnen sollten. Er wird für uns beten. Diese Aussage ist für mich das Go, dass er verstanden hat, worum es uns geht und dass wir so weitermachen können und sollen. Auch der Weg nach Rom, war der richtige. Die Gespräche zu führen, den Papst zu erleben, keiner hätte erwartet, dass wir so lange mit ihm reden können. Wir vom Betroffenenbeirat machen jetzt weiter, wir gestalten weiter und wir bringen weiterhin unsere Ideen in die Kirche und die Gesellschaft ein. Mein Wunsch wäre nun, dass der Papst auch den Brief liest, den wir ihn überreicht haben. Denn dieser Brief hat schon eine große Bedeutung für uns. Wir beten, dass dieser Brief auch weiterwirkt. Es ist eine Mahnung. Darin fordern wir den Papst auf, alles dafür zu tun, dass sexueller und spiritueller Missbrauch ein Ende hat in der Kirche. Er soll ein Zeichen setzen gegenüber Tätern und Bischöfen, ihrer Verantwortung in diesem Prozess der Aufarbeitung nachzukommen.

Von Madeleine Spendier