Umstrittene Krippenfiguren werden an Stifterfamilie zurückgegeben

Das Ulmer Münster und der Streit um König Melchior

Veröffentlicht am 10.06.2023 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Ulm ‐ Seit Herbst 2020 schwelte ein Konflikt um die stark klischeehaft dargestellte Figur des Mechior in der Weihnachtskrippe des Ulmer Münsters. Jetzt hat die Gemeinde final entschieden, die Krippe nie mehr in der Kirche aufzustellen. Katholisch.de blickt auf den Konflikt zurück, der weit über Ulm hinausging.

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Gut zweieinhalb Jahre nach dem Streit um die Weihnachtskrippe im Ulmer Münster hat der Kirchengemeinderat der Münstergemeinde in dieser Woche einen wohl endgültigen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung gezogen: Einstimmig beschloss das Gremium jetzt, die vom Ulmer Bildhauer Martin Scheible in den 1920er-Jahren geschaffene Krippe an die Stifterfamilie zurückzugeben. "Nachdem wir ja nicht mehr die Krippe ausstellen können und wollen, ist es, glaube ich, eine gute Lösung", kommentierte Münsterpfarrer Peter Schaal-Ahlers die Entscheidung im SWR. Damit ist klar: Die Scheible-Figuren, die 1992 mit der Vorgabe an die Gemeinde übergeben worden waren, sie jedes Jahr im Advent im Münster aufzustellen, werden nie mehr in dem bekannten Gotteshaus zu sehen sein.

Entzündet hatte sich der Konflikt um die Krippe im Oktober 2020 an der Figur des dunkelhäutigen Königs Melchior. Um die mit wulstigen Lippen, übergroßen Ohrringen und einem Goldreifen an einem nackten Fußknöchel stark klischeehaft dargestellte Figur aus einer möglichen Rassismusdebatte zu nehmen, entschied der Kirchengemeinderat damals, die Krippe erstmals ohne die Heiligen Drei Könige aufzustellen. Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl begründete die Entscheidung damit, dass Scheibles Darstellung des Melchior rassistisch geprägte Stereotype reproduziere. Zugleich erklärte er, dass es der Gemeinde nicht darum gegangen sei, den schwarzen König in der Krippe zu unterschlagen, sondern, die Art der Darstellung in Frage zu stellen.

Aufgeregte und hasserfüllte Debatte im Internet

Es folgte, was in solchen Fällen heute meistens folgt: eine vor allem im Internet geführte aufgeregte und teils hasserfüllte Debatte, die in Form von wütenden Anrufen und E-Mails schließlich auch die Münstergemeinde erreichte. Wenige Tage nach der Entscheidung des Kirchengemeinderats berichtete Gohl in einem Interview von zahlreichen wütenden E-Mails, von denen manche "wirklich extrem unterirdisch" seien. "Mails aus Österreich habe ich bekommen, wir würden Krippen verbieten, Weihnachtskrippen, und was denn da los wäre? Ich wundere mich, welche Aggressivität in unserer Gesellschaft herrscht, dass man nicht mal aushält, wenn einer eine andere Position hat und man sich damit vertraut macht", so der Dekan. Warum sich seine Gemeinde für den Verzicht auf die Figuren der drei Könige entschieden habe – diese Frage stelle überhaupt niemand. "Wenn man mal auf diesem Wutgleis ist, dann hat man echt schlechte Karten mit Argumenten", konstatierte Gohl.

„Die Krippe soll zur Andacht führen. Diese Andacht wird natürlich verhindert, wenn da eine Figur drin ist, die schwarze Menschen als verletzend empfinden.“

—  Zitat: Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl

Eine Krippe in der Weihnachtszeit habe vor allem eine liturgische Funktion, erläuterte der Dekan in dem Interview: "Die soll zur Andacht führen. Diese Andacht wird natürlich verhindert, wenn da eine Figur drin ist, die man im Jahr 1920 lustig gefunden hatte, die aber heute schwarze Menschen als verletzend empfinden." Im Museum könne man eine Figur wie den Melchior ausstellen und auch erklären. "Aber hier soll die Figur einladen zur Andacht, das ist mit so einer Figur schlecht möglich" so Gohl. Durch die Darstellung der Heiligen Drei Könige, die die zur Zeit Jesu bekannten Kontinente Afrika, Asien und Europa repräsentierten und in Weihnachtskrippen teilweise entsprechend dargestellt würden, solle verdeutlicht werden, dass Gott zwischen den Menschen keinen Unterschied mache: "Aber wenn das konterkariert wird dadurch, dass Menschen, für die dieser schwarze König steht, sich durch ihn lächerlich gemacht fühlen, das können wir nicht einfach ignorieren."

Dass es in der Diskussion um weit mehr ging, als um die alleinige Entscheidung einer einzelnen evangelischen Kirchengemeinde, wurde schon daran deutlich, dass sich auch die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in der Sache zu Wort meldete. Klischeehafte oder diskriminierende Darstellungen der Heiligen Drei Könige in Weihnachtskrippen sollten ihrer Einschätzung nach ersetzt werden, erklärte die DBK. Sinnvoll seien Darstellungen, "in denen dunkelhäutige Menschen sich wiedererkennen können", so ein Sprecher. Die drei Weisen oder Könige stünden dafür, "dass Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und aus unterschiedlichen Völkern Christus verehren". Deshalb gebe es in vielen Krippen mit Melchior eine schwarze Figur: "Eine Krippe ohne Melchior würde dagegen suggerieren, dass Christus nur für weiße Menschen zur Welt gekommen ist. Das wäre grundfalsch und würde zu Recht als rassistisch bezeichnet."

Debatten um rassistische Darstellungen im Kontext der Heiligen Drei Könige hat es in den vergangenen Jahren ohnehin auch in der katholischen Kirche gegeben – konkret bei den Sternsingern. Dort war es jahrzehntelang Tradition, einem der – in der Regel von weißen Kindern dargestellten – Könige das Gesicht zum Beispiel mit Schuhcreme schwarz anzumalen. Kritiker verglichen diese Form des Schminkens mit dem aus dem angelsächsischen Raum stammenden Brauch des "Blackfacing". Bei varietéartigen Vorführungen im 19. Jahrhundert mimten Weiße durch ein schwarz gemaltes Gesicht den dummen Schwarzen – und machten sich damit unter dem Gejohle des Publikums über schwarze Menschen lustig. In Großbritannien hielten sich solche Shows zum Teil bis in die 1980er Jahre, ehe sie auch dort von der Bildfläche verschwanden.

Sternsinger in Bühlertann (BW)
Bild: ©dpa/Jan-Philipp Strobel

Auch in der katholischen Kirche gab es in den vergangenen Jahren Diskussionen um rassistische Darstellungen – vor allem bei den Sternsingern und mit Blick auf den alten Brauch, einem der – in der Regel von weißen Kindern dargestellten – Könige das Gesicht zum Beispiel mit Schuhcreme schwarz anzumalen.

Beim Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und dem Bund der Deutsche Katholischen Jugend (BDKJ), die das Dreikönigssingen gemeinsam ausrichten, empfiehlt man den Teilnehmern seit einigen Jahren, auf das Schminken von Gesichtern zu verzichten. "Wir sprechen uns dafür aus, die Kinder und Jugendlichen, die beim Sternsingen mitmachen, nicht zu schminken. Wir sagen: Kommt so, wie ihr seid", heißt es auf der Internetseite der Sternsinger. Begründet wird die Empfehlung unter anderem mit Gesprächen, die man mit schwarzen Menschen geführt habe und die dabei berichtet hätten, wie sie es erlebten, wenn weiße Menschen sich schwarz schminkten.

Ist der Konflikt in Ulm nun endgültig gelöst?

Die Empfehlung wird in der Kirche allerdings durchaus kontrovers diskutiert. Anfang vergangenen Jahres meldete sich der damalige Bamberger Erzbischof Ludwig Schick mit einem Plädoyer für das Schminken zu Wort. Die Praxis, Kinder beim Sternsingen schwarz und gelb zu schminken, sei eine "Lehrstunde für Gleichheit und Einheit aller Menschen", schrieb Schick auf seiner Facebook-Seite. Er bedauerte, "dass es diese Lehrstunde bei der Sternsingeraktion so anschaulich nicht mehr geben soll". Und weiter: "Der MOHR darf nicht mehr sein, weil das angeblich rassistisch ist." Und der damalige Pressesprecher des Bistums Regensburg, Clemens Neck, erklärte im Zusammenhang mit dem Streit um die Ulmer Krippenfiguren, dass die Darstellung des Königs Melchior als Mensch schwarzer Hautfarbe nichts gemein habe mit rassistischem Denken. "Das Dreikönigssingen unter diesem Gesichtspunkt zu debattieren, ist Unfug", so Neck.

In Ulm hofft man derweil, den Konflikt um die Krippenfigur des Melchior endgültig gelöst zu haben. Die Figuren der Scheible-Krippe wandern nach dem Beschluss des Kirchengemeinderates wieder in der Obhut der Stifterfamilie. Ein Vertreter der Erbengemeinschaft erklärte nach der Entscheidung lapidar: "Für uns war es eine Freude und ein besonderes Geschenk, jedes Jahr am 1. Advent unsere Krippe im Ulmer Münster sehen zu können und uns dann zu einem Familientreffen zusammenzufinden. Dafür danken wir der Münstergemeinde."

Von Steffen Zimmermann