Himmelklar – Der katholische Podcast

Missionar im Südsudan: Kirche noch heute in Laienhand

Veröffentlicht am 14.06.2023 um 00:30 Uhr – Von Renardo Schlegelmilch – Lesedauer: 

Köln ‐ Der Südsudan ist ein mehrheitlich christliches Land – aber nicht wegen der Arbeit westlicher Missionare, sondern aus eigenem Antrieb der Menschen dort. Im Interview berichtet der Missionar Pater Gregor Schmidt von einer besonderen Form von Kirche.

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Den Südsudan gibt es erst seit 2011, als er sich vom Sudan abspaltete. Seitdem lassen Probleme wie Menschenrechtsverletzungen und Konflikte das Land nicht los. Der Provinzial der Comboni-Missionare vom Herzen Jesu in der Provinz Südsudan, Pater Gregor Schmidt, erzählt im Interview von Herausforderungen, aber auch neuen Aufbrüchen – etwa bei der Rolle der Laien.

Frage: Sie leben seit 2009 im Südsudan, in einer der unzugänglichsten Regionen Ostafrikas. Wie reagieren denn die Menschen dort auf Sie als Außenstehender und Europäer? Das ist da wahrscheinlich auch nicht alltäglich, oder?

Pater Gregor Schmidt: Es gibt zwar Ausländer, aber die sind in der Regel aus Afrika, also aus Kenia und Uganda. Es gibt sehr wenige Weiße aus Europa oder aus Amerika. Da gibt es praktisch nur uns Comboni-Missionare und eine amerikanische Ärztin, die dort eine Klinik hat. Wenn wir dort die Dörfer besuchen, gibt es Kinder, die haben noch nie eine weiße Person gesehen.

Vor 25 Jahren haben uns die Menschen dort eingeladen. Wir feiern dieses Jahr 25-jähriges Bestehen der Pfarrei. Ein italienischer Pater ist dort angekommen im Jahre 1998. Seitdem ist das Verhältnis mit uns Comboni-Missionaren sehr gut. Die Menschen sind sehr gastfreundlich und wir passen uns an, zum Beispiel was das Essen betrifft. Wir lernen auch die Sprache.

Als unsere Gastgeber, das Volk der Nuer, Konflikte hatte mit Gruppen aus Uganda, gab es ein paar Massaker gegen Ugandesen durch die Nuer im Südsudan. Wir haben auch einen Priester aus Uganda. Wir haben gefragt: Was ist denn mit dem jetzt? Sie haben sofort gesagt: Kein Problem, ihr seid Comboni-Missionare, wir schauen da nicht nach Nationalität. Wir sind hier alle zusammen in einer Kirche und das Verhältnis vor Ort ist sehr gut.

Frage: Ungewöhnlich in Afrika ist, dass der Südsudan ein mehrheitlich katholisches Land ist. Woher kommt das denn?

P. Gregor: Es ist tatsächlich eine sehr junge Gemeinde. Die erste Generation von Katholiken lebt noch, aber die haben sich den Glauben selbst importiert. Da ist kein Missionar gekommen. Die Menschen sind im zweiten Bürgerkrieg gegen Khartum, in der alten Zeit des langen Bürgerkriegs Norden gegen Süden vertrieben worden. Die Nuer haben seit 1983 in größerer Zahl das Land verlassen, nach Äthiopien, Kenia, Uganda, aber auch nach Khartum in die Außenviertel. Da sind viele Südsudanesen in den Armenvierteln. Die Comboni-Missionare arbeiten dort in Khartum. Wir sind praktisch seit 150 Jahren in der Region durch unseren Ordensgründer Daniel Comboni.

Die Nuer haben in Khartum das Christentum kennengelernt oder in Äthiopien durch die Salesianer. Das sind Erwachsene, die sich auch als Katecheten haben ausbilden lassen. Die sind dann zurück in ihre Dörfer. Die ersten Kapellen sind im Fangak County 1990 gegründet worden. Das waren Nuer, die mit ihren Familien dort christliche Gemeinschaften aufgebaut haben.

Nachdem es dort mehrere Tausend, ich schätze mal mindestens 10.000 Katholiken gegeben hat, ist dann in den 1990er-Jahren der erste Missionar gekommen, um die Pfarrei zu eröffnen, weil die dem Bischof gesagt haben: Wir haben hier mehrere Tausend Katholiken, wir brauchen jetzt auch einen Priester. Es ist aber eigentlich eine Laien-Gründung von Einheimischen. Heute ist es immer noch eine Laienkirche. Wir sind dort nur Besucher. Die Nuer haben ihre Gemeindearbeit selbst in der Hand – und wir sind sozusagen die Moderatoren oder Animatoren, wie man es nennen mag – als außenstehende Priester.

Bild: ©KNA/CNS photo/Paul Haring

Im Februar war Papst Franziskus in Juba und traf dort binnenvertriebene Menschen.

Frage: Dann ist es ja eigentlich noch eine viel extremere Situation als beispielsweise im Amazonas. Bei der Amazonas-Synode ging es auch darum, dass es da große Entfernungen gibt, aber nur sehr wenige Priester. Das ist bei Ihnen quasi noch viel extremer.

P. Gregor: Das ist eine Fläche von 7.600 Quadratkilometern, in Deutschland wäre das achtmal so groß wie Berlin etwa. Da gibt es 80 Kapellen. Und Kapelle bedeutet, da wird am Sonntag gebetet. Das heißt aber nicht, dass es ein Gebäude gibt. In der Regel beten sie unter einem Baum im Schatten. Jede Kapelle, jedes Dorf, das ein Sonntagsgebet organisiert, hat einen Katecheten. Wir Priester machen die Runde dort.

Das heißt, bei 80 Kapellen und zwei Priestern können Sie sich ausrechnen, wie oft wir da vorbeikommen. Ein- oder zweimal im Jahr sehen die einen Priester im Dorf. Es gibt natürlich auch Treffen im Pfarrzentrum, da kommen dann die Hauptkatecheten, die Jugendleiter, die Frauenleitung. Jedes Dorf hat ihre eigene Leitung. Da gibt es dann Treffen und Ausbildung im Pfarrzentrum. Wir sind zwar viel unterwegs, aber durch die Anzahl der Kapellen kommen wir selten an einer Kapelle vorbei.

Frage: Der Südsudan hat sich 2011 vom Sudan abgespalten, weil die christliche Minderheit im Konflikt mit der muslimischen Mehrheit stand. Welche Rolle spielen dabei die Katholiken?

P. Gregor: Ungefähr 50 Prozent der Christen im Südsudan sind Katholiken, mindestens ein Drittel, wenn nicht gar 50 Prozent im Süden. Die Abspaltung von Khartum ist ein Religionskonflikt geworden. Grundsätzlich kämpfen die schon seit 1955 für Unabhängigkeit, und die Mehrheit der Südsudanesen war damals im Jahre 1956 nicht christlich. Das Christentum haben sie während ihres Unabhängigkeitskampfes in der Mehrheit angenommen. Da gab es Hunderttausende von Erwachsenenbekehrungen in den letzten 50 Jahren – in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends.

Gerade die beiden größten Gruppen, die Dinka und die Nuer, waren vor einem halben Jahrhundert nicht christlich. Sie haben sich gewehrt als Schwarze Bevölkerung, weil sie unterdrückt worden sind. Da gibt es eine ganz lange Geschichte von Rassismus, Araber gegen Schwarze Bevölkerung, Sklaverei. Das war ein Befreiungskampf für Würde und für die Ehre der Menschen. Die sagten, sie sterben lieber, als dass sie geknechtet werden.

Im Zuge dieser Emanzipation von dem islamistischen Regime haben die Südsudanesen das Christentum kennengelernt als die Religion, die einen Gott hat, der sich um die Armen kümmert. Die ganze Erfahrung im Alten Testament, die Exodus-Geschichte: Das Volk, das in Sklaverei lebt und dann von Gott ins verheißene Land geführt worden ist. Das ist eine Erzählung, die Anklang findet bei den Südsudanesen, sodass sie gesagt haben: Der Gott der Bibel ist der, der auf das Schreien der Armen hört. Deswegen ist die Botschaft so attraktiv gewesen und sie ist es immer noch im Südsudan.

Frage: Zudem gibt es jetzt seit ein paar Monaten noch die zusätzliche Belastung, dass durch den Konflikt im Sudan eine große Anzahl von Flüchtlingen zu Ihnen ins Land kommt. Und das, wo das Land ohnehin schon arm und belastet ist.

P. Gregor: Die Flüchtlinge gehen sicherlich in die Hunderttausende. Ich kenne selber Leute, die geflüchtet und hier in Juba angekommen sind. Wir haben sogar einen prominenten Gast hier im Comboni-Haus selbst: Einen Kardinal aus dem Norden. Der Sudan hat, glaube ich, bisher nur einen Kardinal gehabt. Kardinal Zubeir Wako lebt noch hier, er ist emeritiert und jetzt Gast bei uns. Aus dem Norden musste er fliehen.

Und was die erzählen, haben sie ihm auch alle Kirchen zerstört und ausgeraubt. Es geht also auch nebenbei ganz gezielt gegen die Christen. Also wenn man schon brandschatzt, dann natürlich die Gruppe, die man nicht mag. Die Christen waren dort schon immer ein Dorn im Auge der Islamisten. Und da wird jetzt gnadenlos einfach durch alle Häuser und Institutionen gegangen und alles zerstört oder geklaut.

Von Renardo Schlegelmilch