Bistum Münster will gegen Missbrauch im "Graubereich" vorgehen
Der Münsteraner Bischof Felix Genn will sich beim Vorgehen gegen Missbrauchstäter von einer "Haltung der Nulltoleranz" leiten lassen. "Das gilt nicht nur bei sexuellem Missbrauch im engeren juristischen Sinn, sondern es gilt auch, wenn es sich um sogenannte grenzüberschreitende und unangemessene Verhaltensweisen handelt", schrieb Genn am Dienstag in einem Brief an alle hauptberuflich Beschäftigten sowie die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum. Wenn solches Verhalten nicht mit rechtlichen Maßstäben gemessen werden könne, sei es schwierig, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Das Bistum plant nach Genns Worten die Einrichtung einer Disziplinarkammer, die sich mit Disziplinarmaßnahmen gegen Kleriker im sogenannten "Graubereich" befassen werde. Dabei gehe es um ein grenzüberschreitendes Verhalten, das strafrechtlich nicht relevant ist. "Dies wäre ein wichtiges Instrument, um eine derzeit bestehende Regelungslücke zu schließen", schrieb Genn. Es gewähre zugleich Rechtssicherheit und Transparenz nach rechtsstaatlichen Standards für beide betroffenen Parteien.
Kirchenrechtler machen Vorschlag
Die Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller und Thomas Neumann sollen einen Vorschlag zur Errichtung der Kammer machen. Bis Anfang September wollen sie den Angaben zufolge auch den Entwurf einer möglichen Ordnung für eine Schiedskammer vorlegen. Sie solle Menschen die gerichtliche Überprüfung ihrer Rechte gegen einen sie betreffenden kirchlichen Verwaltungsakt ermöglichen, schrieb Genn. "Kirchliche Verwaltungsakte werden so durchschaubarer, transparenter und rechtlich überprüfbar."
"Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch ist keineswegs vorbei", so Genn in dem fünfseitigen Schreiben. "Betroffene haben neben dem Anspruch auf eine unabhängige Aufarbeitung vor allem einen Anspruch auf ein verändertes Verhalten kirchlicher Verantwortungsträger." Der Bischof zog seine Zwischenbilanz auch bei einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend in Münster. Bei der Veranstaltung ging es um die Lage im Bistum ein Jahr nach Veröffentlichung der Aufarbeitungsstudie des Hamburger Historikers Thomas Großbölting.
Genn warb zudem um Verständnis, dass die Bekanntmachung von Fällen und Namen für Irritationen und Kritik sorge. Pfarreien fühlten sich schlecht informiert, Medien wunderten sich, warum zwischen der Meldung durch Betroffene und der Veröffentlichung zuweilen Monate vergingen. Umgekehrt würden Anwälte von Beschuldigten dem Bistum äußerungsrechtliche oder kirchenrechtliche Versäumnisse vorwerfen. Auf jeden Fall erfolgten Veröffentlichungen nur in Absprache mit den jeweiligen Betroffenen.
Auch Überlegungen zu Bischofsgruft
Zum Umgang mit dem Gedenken an Bischöfe und andere Kleriker, denen Missbrauch oder Vertuschung vorgeworfen wird, hat laut Genn eine gemischte Arbeitsgruppe Vorschläge erstellt. Diese betreffen auch das Umfeld der Bischofsgruft im Dom und sollen in Kürze mit dem Domkapitel beraten werden. Pfarreien, auf deren Friedhöfen Täter beerdigt sind, erhielten verschiedene Vorschläge, wie sie damit umgehen könnten.
Als weitere zwischenzeitlich ergriffene Maßnahmen nennt der Bischof eine überdiözesane wissenschaftliche Studie über geistlichen Missbrauch in der Kirche. Zuletzt schließlich hätten die Diözesen in Nordrhein-Westfalen ein Projekt in Auftrag gegeben, das evaluieren soll, wie wirksam bisherige Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige und Schutzbefohlene sind.
Historiker der Universität Münster hatten vor einem Jahr eine Studie zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Bistum Münster vorgelegt. Danach wurden von 1945 bis 2020 mindestens 610 Minderjährige durch Kleriker sexuell missbraucht. Das Dunkelfeld sei vermutlich bis zu zehnmal größer, hieß es. Die Studie geht von rund 200 beschuldigten Klerikern aus. Aufgabe der katholischen Kirche seien Wiedergutmachung, Bestrafung der Täter und Prävention. (cph/epd/KNA)