Regisseurin im Interview über #OutInChurch, Katholizismus und Feindbilder

Liturgie und Queerness: Musical "Bare" thematisiert Glaube und Kirche

Veröffentlicht am 17.06.2023 um 00:01 Uhr – Von Benedikt Heider – Lesedauer: 

Aachen ‐ Im Musical "Bare" suchen queere Schüler eines katholischen Internats ihren Platz im Leben. Regisseurin Klara Eßer kennt diese Sorgen gut. Im katholisch.de-Interview berichtet sie von ihrer Arbeit, welche Rolle der Glaube für sie spielt und wie wichtig ihr liturgische Genauigkeit auf der Bühne ist.

  • Teilen:

Im Hintergrund läuft der Soundcheck. Es rumpelt und dröhnt. Immer wieder kommen Darstellerinnen und Darsteller durch die Umkleide – in wenigen Stunden findet die Generalprobe für das Musical "Bare" statt, das aktuell in Aachen läuft. Kurz davor hat sich Klara Eßer noch einmal Zeit genommen, um über ihr Musicalprojekt zu berichten.

Frage: Frau Eßer, in Aachen führen Sie in diesen Tagen das Musical "Bare" auf. Im Trailer ist eine Kirche zu sehen, eine Ordensschwester und zwei Schüler tanzen vor einem Kreuz. Worum geht es denn in dem Stück?

Klara Eßer: “Bare” spielt an dem katholischen Internat St. Cecilia. Unsere Hauptprotagonisten sind Peter und Jason. Die beiden Jungs sind Freunde, Zimmernachbarn und führen heimlich eine Beziehung. In dem Stück geht es um das Finden der eigenen Identität, Sexualität und damit um die eigene Rolle im Leben. Es gibt viele verschiedene Schülerinnen und Schüler, die in diesem Internat leben und versuchen, dort irgendwie erwachsen zu werden. Eine große Rolle spielt der Konflikt mit der Lebensrealität von diesen jungen Leuten und dem katholischen Setting in einem recht konservativen Kontext.

Frage: Was heißt das für die schwulen Hauptfiguren?

Eßer: Es stellt sich die Frage, wie kirchliche Lehre und ihre Sexualität zusammenpassen. Beide leben in diesen Realitäten und diese Realitäten sind existenziell mit ihnen verbunden.

Frage: Welche Rolle spielen Glaube und Kirche in dem Stück?

Eßer: Eine sehr große! Wir haben drei explizit religiöse Rollen. Das ist einerseits der Priester, der auch der Leiter dieses Internats ist. Die Ordensschwester Chantelle, die die Theater-AG leitet, und die Mutter von Peter, einem der Hauptprotagonisten. Der Priester und Schwester Chantelle repräsentieren beide unterschiedliche Strömungen in der Kirche. Der Priester hält viel von Regeln und wenig vom Hinterfragen, die Schwester dagegen ist sehr offen und sagt: "Jesus liebt dich und du bist gut so, wie du bist." Und dann sind da noch die Schüler, für die einerseits der Glaube sehr wichtig ist, die aber auch Anfragen haben.

Frage: Religion und Homosexualität sind für viele ein schwieriges Thema. Wie sind Sie an die Umsetzung der Thematik gegangen?

Eßer: Ich persönlich bin sehr katholisch aufgewachsen – meine Familie ist sehr gläubig. Meine Schwestern studieren beide katholische Theologie. Kirche und Glaube waren schon immer Teil meines Lebens. Ich bin selbst auf katholischen Schulen gewesen – und queer. Deswegen ist mir die Thematik des Stücks sehr nah. Ich habe in der Schulzeit und in Gemeinden viele Menschen kennengelernt, die die ganze queere Thematik auch irgendwie durchlebt haben. Da gibt es gute Erfahrung, aber eben auch schlechte Erfahrungen.

Regisseurin Klara Eßer
Bild: ©Jana Wetzlar

Klara Eßer ist Regisseurin des Muscials "Bare" in Aachen.

Frage: Haben Sie auch queere und gläubige Schauspieler oder Schauspielerinnen?

Eßer: Ja, einige im Team haben ihre Erfahrungen mit Queerness, Kirche und Glauben gemacht. Viele verbindet die Suche nach der eigenen Rolle im Leben, das An-Sich-Selbst-Zweifeln oder die Frage, ob man in einer Gemeinschaft willkommen ist. Ich glaube, das kann wohl jeder in einer gewissen Weise nachempfinden – egal, ob es um Glauben oder Sexualität geht. 

Frage: Welche Punkte sprechen Sie besonders an dem Stück an?

Eßer: Die Konfliktpunkte, die im Stück besprochen werden, erkenne ich auch in meiner Biografie wieder. Gerade das Zweifeln und dieses sich nicht ganz zugehörig fühlen. Wir haben in dem Stück zum Beispiel auch Albtraummomente. Peter, einer der beiden Hauptdarsteller, hat Albträume, die mit seiner Homosexualität und der Kirche zu tun haben. Auch ich hatte schon Situationen in der Kirchenbank, wo ich etwas gehört habe und mir dachte: "Ich fühle mich nicht wohl und möchte jetzt eigentlich weg." Gerade in der Kirche sind ja irgendwie alle willkommen und dann wird in der Predigt etwas gesagt, das dich als queere Person aber ausschließt. Aber auf der anderen Seite gibt es dann auch den Wunsch, dass Glaube und Kirche Teil meines Lebens sein sollen. Wie soll das aber klappen, wenn ich mich da unwohl fühle? Diese Probleme kann ich auf jeden Fall nachvollziehen.

Frage: Geht das allen im Cast so?

Eßer: Nein, gerade Menschen, die vielleicht nicht in einem Dorf gläubig aufgewachsen sind oder etwas mit der Kirche zu tun haben, können das oft nicht nachvollziehen und sagen: "Dann tritt doch einfach aus." Aber so einfach ist es nicht.  Zugehörigkeitsgefühl, innere Bindung und Identität lassen sich eben nicht so einfach ablegen. Das sollte man nicht unterschätzen. Das gilt übrigens auch für die eigene Sexualität – die kann man ja auch nicht einfach abschütteln. 

Frage: Konnten Sie in der Vorbereitung über diese Ungleichzeitigkeiten sprechen und Verständnis füreinander finden?

Eßer: Ja, wir haben kurz nach #OutInChurch mit der Arbeit angefangen. Das war super, so konnten wir uns in der Doku anschauen, wie existenziell das Problem unseres Stücks ist. Ich habe einigen geraten: "Guckt euch mal an, wie das vielleicht für Menschen in der Kirche ist, auch wenn das nicht direkt Teil deines Lebens ist."

Frage: Und welche Reaktionen gab es darauf?

Eßer: Die Doku hat sich sehr positiv auf das das Spielen und das Verständnis für die Grundproblematik ausgewirkt. Wir haben alle Rollen doppelt besetzt. Einer unserer Priester ist queer und kann die Queerproblematik nachvollziehen, aber beide Darsteller kennen die Kirchenthematik nicht. Da war dann schon viel Betroffenheit dabei.

„Machen Sie mal mit 30 Leuten gleichzeitig ein Kreuzzeichen, von denen manche noch nie eins gemacht haben…“

—  Zitat: Klara Eßer, Regisseurin von "Bare" in Aachen

Frage: Jetzt spielt das Stück ja im Kirchenkontext. Wie ist das, wenn man den Kontext selbst nicht wirklich kennt?

Eßer: Das war eine größere Herausforderung als die Queerproblematik. Wir haben zum Beispiel eine Szene, in der ein Ave Maria gebetet wird. Einer, der den Peter spielt, konnte das auswendig, der andere gar nicht. Bei so einem Gebet sollte man aber nicht über den Text nachdenken müssen, denn auf der Bühne muss das andächtig fließen. Sowas haben wir dann ausgiebig geprobt und uns auch mit den religiösen Hintergründen beschäftigt. Wir haben am Anfang des Stücks ein Schuldbekenntnis, das alle gemeinsam sprechen. Und: Machen Sie mal mit 30 Leuten gleichzeitig ein Kreuzzeichen, von denen manche noch nie eins gemacht haben…

Frage: Und wie haben Sie die Probleme gelöst?

Eßer: Wir haben uns intensiv mit den Grundlagen beschäftigt und auch angeschaut, woher die Riten kommen, an welcher Stelle sie in der Liturgie vorkommen und welche Funktion sie haben. Mir ist es sehr wichtig, dass wir Kirche und Liturgie korrekt darstellen.

Frage: Funktioniert das denn immer?

Eßer: Leider nicht. Wegen der Beleuchtung und Reflektion trägt unser Pfarrer-Darsteller an Epiphanie beispielsweise ein violettes statt ein weißes Gewand und durch die Übersetzung der Lieder aus dem Englischen gibt es eine Änderung im Agnus Dei: Wir haben die deutschen Texte, die man normalerweise in der Kirche betet, auf die Melodie des englischen Wortlauts gepackt – leider fehlen da aber Silben und schon mussten wir den Text abändern. Anders ging es leider nicht. Das wird sicher den ein oder anderen auffallen.  

Frage: Wie frei sind Sie denn in der Ausgestaltung des Stücks?

Eßer: Die Grundlage für die Produktion ist natürlich das Skript des Musicals. Wir haben uns also durch das Material gearbeitet und geschaut, wie wir die Materie umsetzen wollen. Da habe ich mich gefragt: "Welche Geschichte möchte ich erzählen?"; "Was möchte ich hervorheben?" Das Stück ist schon gut zwanzig Jahre alt. Das heißt, es ist auch nicht klischeefrei. Da stand die Frage im Raum ob wir diese Klischees zeigen, weil es zum Stück gehört, oder versuchen wir, sie aufzubrechen?

Frage: Was würden Sie als Ihre Handschrift in dem Stück bezeichnen?

Eßer: Mir ist wichtig, dass die Inszenierung kein Feindbild hat. Wie im Leben geht es um verschiedene Blickwinkel. Deswegen haben wir auch ein besonderes Bühnenbild. Wir haben eine sehr große Hauptbühne, mit einem acht Meter langen Steg und dahinter nochmal eine kleine Bühne, die das Zimmer der beiden Jungs ist. Drumherum sitzt das Publikum. Das heißt: je nachdem wo man sitzt, sieht man andere Sachen und muss sich vielleicht auch irgendwie drehen. Vielleicht kann auch nicht jeder jede Szene sehen. Wir haben auch viele Szenen, die gleichzeitig passieren. Dann muss ich mich als Zuschauer entscheiden: Gucke ich jetzt nach links und sehe einer Sache zu oder gucke ich nach rechts und schaue der anderen Sache zu? So möchte ich verschiedene Perspektiven schaffen und zeigen, dass es gar nicht möglich, alles gleichzeitig zu sehen und alles gleichzeitig zu verstehen.

Frage: Welche Relevanz hat das Stück heute in Deutschland?

Eßer: In Deutschland, aber auch in der Welt gibt es sehr viel Ausgrenzung queerer Menschen. Die Gleichberechtigung ist noch nicht da und es fehlt an Akzeptanz und Toleranz. In den vergangenen Tagen wurde in München das Vorlesen von Drag-Queens als Kindesmissbrauch bezeichnet. Es gibt sehr viel Homophobie im Alltag, die Suizidrate queerer Jugendlicher ist beispielsweise dreimal so hoch wie bei anderen Jugendlichen. Wir müssen in der Gesellschaft mehr über dieses Thema reden. Als queere Menschen wollen wir einfach die gleichen Rechte. Wir wollen nur gleich sein. Für uns ist das tagtäglich ein Kampf. Deswegen müssen wir in einer gewissen Weise auch laut sein.

Frage: Und welche Relevanz hat das Stück für die Kirche?

Eßer: Ich glaube, auch hier braucht es noch mehr Repräsentation. Queere Menschen sind Teil der Kirche. Das kann man nicht ändern und auch nicht totschweigen. Die Kirche muss versuchen, die Menschen zu verstehen. Eigentlich dürfte das nicht das große Problem sein, denn die Kirche lehrt ja, dass wir einander zuhören und unseren Nächsten lieben sollen.

Von Benedikt Heider

Der Verein und das Stück

Floodlight Musicals ist ein 2016 gegründeter, gemeinnütziger Verein aus Aachen. Die Gruppe besteht aus mehr als 70 Mitgliedern. Zurzeit spielen sie die Pop-Oper "Bare". Uraufgeführt wurde das Stück im Jahr 2000 von Jon Hartmere (Text) und Damon Intrabartolo (Musik) in Los Angeles. Die Geschichte konzentriert sich auf zwei homosexuelle High-School-Schüler und ihre Probleme an ihrem katholischen Internat. In Deutschland kam das Stück erstmals 2018 auf die Bühne.