Kritik am Evangelischen Kirchentag

Landesbischof: Evangelische Freiheit begünstigte auch Übergriffe

Veröffentlicht am 17.06.2023 um 17:30 Uhr – Lesedauer: 

Osnabrück ‐ Kein Zölibat und keine zentralisierte Macht: Die evangelische Kirche ist stolz auf ihre Freiheiten. Doch genau diese Freiheit berge auch Gefahren, betont Hannovers Landesbischof Ralf Meister – und kritisierte zudem den Evangelischen Kirchentag.

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Im Umgang mit sexualisierter Gewalt hat die evangelische Kirche nach Aussage von Hannovers Landesbischof Ralf Meister eigene spezifische Schwachpunkte aufzuarbeiten. Anders als in der katholischen Kirche mit Zölibat und zentralisierter Macht sei die evangelische stolz auf ihre Freiheit, so Meister am Samstag in Osnabrück beim regionalen Ökumenischen Kirchentag. "Vor rund 40 Jahren bestand bei uns Freiheit auch darin zu tun, was nicht erlaubt war." Diese "groß herausgekehrte" Freiheit habe eine Übergriffskultur begünstigt, die derzeit aufgearbeitet werden müsse, so der Landesbischof bei einem Forum über Missbrauch und Kirchen.

Leider sei das Thema auch beim jüngsten Kirchentag im Nürnberg kaum vorgekommen, auch wenn fast alle Landeskirchen inzwischen Etliches auf den Weg gebracht hätten. Der Kirchentag selber habe etwa aufzuarbeiten, dass in seinem Umfeld früher Gruppen zu Wort kommen konnten, die Pädosexualität als Befreiung propagiert hätten. "Ich selber habe das beim Kirchentag 1979 erlebt; und als 16-Jähriger fand ich das damals schon schräg", so Meister.

"Hören Sie auf mit Ihrer Überheblichkeit"

Der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen forderte die Kirchen auf, endlich informelle und strukturelle Macht als Kernfrage zu thematisieren. "Die dunklen, überhöht sakralisierten Seiten des Priesterbildes" müssten korrigiert werden. "Sonst nützt alle Prävention nichts", so Rixen bei der vom Betroffenenrat Nord organisierten Veranstaltung. Gleichzeitig forderte Rixen eine andere Auslegung des Staatskirchenrechts. Dessen traditionell konservative Auslegung beim Äußerungsrecht und Datenschutz nutze immer noch mehr der Kirche als Institution als Betroffenen. Zuvor hatte Karl Haucke, Betroffener sexuellen Missbrauchs und ehemaliges Mitglied des Betroffenenrats im Erzbistum Köln, vor gut 70 Zuhörern noch einmal seine Leidensgeschichte als elfjähriger Schüler in einem katholischen Internat geschildert. Trotz vieler Studien und langjähriger Diskussionen habe sich bisher viel zu wenig getan.

Als Forderungen, vor allem an die katholische Kirche, nannte Haucke unter anderem: "Hören Sie auf mit Ihrer Überheblichkeit". Die sakrale Überhöhung von Geistlichen müsse beendet werden. Über Wesen und Funktion des Priesterbilds sowie nötige Reformen daran könnten nicht allein Theologen befinden. Des Weiteren verbat Haucke sich weiteres "Schamgetöse nach jedem Gutachten". Ebenso forderte er mehr Sensibilisierung in Gemeinden und Gesellschaft.

Nicole Sacha vom Betroffenenrat Nord forderte Kirchenleitungen auf, den heutigen Gemeinden und ihre Verantwortlichen müsse gesagt werden: "Ihr hattet einen Täter!" Für Betroffene und ihre Angehörigen sei wichtig, solche Sprachräume zu öffnen. (KNA)