Queere Theologin: Bis heute fehlt mir Schuldeingeständnis der Kirche
Die Theologin Marie Kortenbusch gehört gemeinsam mit ihrer Frau Monika Schmelter zu den Protagonisten der Initiative #OutinChurch. Dort haben sich vor einem Jahr 125 Menschen im kirchlichen Dienst öffentlich zu ihrer sexuellen Identität bekannt. Die frühere Religionslehrerin Kortenbusch musste die Liebe zu ihrer Frau 40 Jahre lang verstecken. Heute ist sie im Ruhestand und spricht im Interview mit katholisch.de über diese Zeit, ihren Schmerz und das, was ihr heute in der Kirche Mut macht.
Frage: Wann haben Sie und Ihre Frau geheiratet?
Kortenbusch: Das ist etwas speziell, bei uns gab es zwei Heiraten im Abstand von 30 Jahren. 1990 haben wir uns in den Niederlanden kirchlich das Ja-Wort gegeben. In einer katholischen Basisgemeinschaft hat uns ein befreundeter Jesuitenpater getraut. Das war damals inoffiziell. Die Feier hat uns sehr gestärkt und uns viel bedeutet. Auch wenn manche unserer Freunde und auch Familienmitglieder der Feier ferngeblieben sind. Genau 30 Jahre später haben wir dann in Deutschland standesamtlich geheiratet. Dies war uns erst im Ruhestand möglich. Während des Berufslebens mussten wir unsere Beziehung geheimhalten und eine gleichgeschlechtliche Eheschließung war ja für Menschen im kirchlichen Dienst definitiv ein Kündigungsgrund.
Frage: Würden Sie den kirchlichen Segen heute nachholen wollen, wenn es einmal offiziell ginge?
Kortenbusch: Nein, das wäre absurd. Warum sollen wir uns jetzt noch einmal offiziell kirchlich segnen lassen? Wir haben unsere, inoffizielle Trauung 1990 erlebt. Dort wurde uns Gottes Segen zugesprochen. Dieser Segen ist unüberbietbar.
Frage: Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Wie Gott mich schuf". Was hat Sie dazu bewogen?
Kortenbusch: Im Anschluss an das große öffentliche Coming-Out wurden meine Frau und ich als zwei der Gesichter unserer Initiative zu vielen Veranstaltungen eingeladen, bei denen es um die Forderungen von #OutInChurch ging. Es ging uns um ein notwendiges Umdenken in der Kirche. Die Menschen waren auch sehr an unseren persönlichen Lebensgeschichten interessiert. Sie stellten weitergehende Fragen zu unseren belastenden und unseren befreienden Erfahrungen wie etwa: Wie fühlt es sich an, in einer Kirche, in der man glaubt und sich engagiert, geängstigt zu werden? Seine Beziehung verbergen zu müssen? Wie konnte Ihre Liebe dem standhalten? Wie haben Sie schließlich Ihre Angst besiegt? Diese Begegnungen gaben mir den Anstoß zum Buch. Es ging darum, im Erzählen meiner Geschichte mein Coming-Out zu vertiefen. Längst bevor die Frage nach meiner lesbischen Identität überhaupt aufkam, prägte diese Erfahrung bereits meine Kindheit: "So, wie Du bist, darfst Du nicht sein". Eine solche Entwertung sollte ich später als lesbische Frau ja ebenfalls in der Kirche erleben, ganz besonders durch ihre lehramtlichen Aussagen. Von diesen Entwertungserfahrungen ausgehend war es ein anspruchsvoller Weg zum Ja zu mir selbst.
Frage: War das Schreiben für Sie wie eine Aufarbeitung Ihres Lebens?
Kortenbusch: Nein, diese innere Arbeit war bereits geleistet, ansonsten hätte ich meine Lebens-, Liebes-, Glaubens- und Kirchengeschichte nicht so verdichtet schildern können. Ich verstehe mein Leben von Gott her, daher gefällt es mir, dass das auch so im Titel des Buches steht. Natürlich ist der Titel auch ein Anklang an die TV-Dokumentation "Wie Gott mich schuf". Ich habe das Buch "coram deo" geschrieben, also als Teil meines Lebensgespräches mit Gott. Es waren für mich Exerzitien am Schreibtisch.
Frage: Ich finde es mutig, dass Sie Ihre Geschichte aufgeschrieben haben. Bereuen Sie es manchmal auch?
Kortenbusch: Ich habe Mut dazu gebraucht, mein persönliches Erleben offenzulegen, das trifft zu. Zugleich bin ich überzeugt davon, dass es gut ist, aus Tabuisierung, Sprachlosigkeit und destruktivem Schweigen herauszukommen. Was wäre biblischer, als seine Wunden zu zeigen? Außerdem: Das Buch gewährt nicht nur Einblicke in leidvolle Erfahrungen, sondern auch in die Quellen meiner Kraft und in meine Schritte zur Heilung und Befreiung. Vielleicht kann meine Geschichte eine der Überzeugungen von #OutInChurch veranschaulichen: "Lebensentwürfe und Lebenserfahrungen queerer Menschen sind Erkenntnisorte des Glaubens und Fundstellen göttlichen Wirkens." Ich vertraue darauf, dass mein Buch einige seiner Leser und Leserinnen auf ihren persönlichen Wegen bestärken und ermutigen kann. Das zeigen mir auch Rückmeldungen, die ich erhalten habe.
Frage: Sie erzählen in Ihrem Buch auch sehr persönlich von Zurückweisungen und Demütigungen, die Sie und Ihre Frau erfahren haben. Was hat Sie besonders gekränkt?
Kortenbusch: Vieles kommt mir in den Sinn. Ein Kommentar zu unserer Einladung zur Segensfeier: "Wenn man schon so ist, muss man es doch nicht noch feiern." Die Ordensschwester, die in dem plötzlichen Tod des Jesuiten, der uns traute, eine göttliche Strafe sah oder auch das Eucharistieverbot, das unserer Queergemeinde erteilt wurde. Dass ich auf der Beerdigung meines Schwiegervaters nicht an Monikas Seite sein konnte, weil ihr Chef, der aus Anteilnahme gekommen war, uns nicht als Paar hätte wahrnehmen dürfen. Dass später an Monikas Arbeitsstelle offiziell geprüft wurde, ob ihre Beziehung mit mir ein "öffentliches Ärgernis" darstelle, wobei ausdrücklich ein weiteres Verschweigen unserer Partnerschaft verlangt wurde. Nicht zuletzt auch, von Rom zu vernehmen, dass homosexuelle Menschen keine tragfähigen Beziehungen aufbauen können. Daran denke ich.
Frage: Nun hat sich kirchlicherseits im letzten Jahr einiges verändert und das kirchliche Arbeitsrecht wurde zugunsten von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geändert. Sind Sie zufrieden?
Kortenbusch: Ich bin sehr froh, dass wir mit der Kampagne #OutInChurch zu einer treibenden Kraft für das neue kirchliche Arbeitsrecht wurden. Übrigens geht es ja nicht nur um gleichgeschlechtliche Partnerschaften, sondern beispielsweise auch um trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTIQA*+-Personen), das zu betonen, ist uns sehr wichtig. Auch beim Synodalen Weg fand ich es sehr gut, dass man sich mit dem Thema der sexuellen Vielfalt beschäftigt hat. Es hat mich sehr bewegt, wie persönlich und auch wie konfrontativ sich die jungen Synodal:innen eingebracht haben. Sie haben bei vielen Beteiligten Lernwege angestoßen. Gleichzeitig habe ich auch das zähe Ringen um die Themen mitbekommen. Letztlich hat es mich sehr erschüttert, dass der Grundlagentext zu gelingenden Beziehungen abgelehnt wurde.
„Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle haben in Gemeinden und Einrichtungen der EKHN Diskriminierung erfahren. Dem haben wir als Kirche nicht gewehrt. Schlimmer noch: Wir haben die Würde von Gottes Geschöpfen verletzt. Viel zu lange hat auch die EKHN die Vielfalt der Geschlechter, unterschiedlicher sexueller Orientierungen, Lebensweisen und Familienmodelle nicht geachtet, sondern zu begrenzen versucht. Als Kirchenleitung und Kirchensynode bitten wir vor Gott und den Menschen dafür um Vergebung.“
Frage: Auf dem Synodalen Weg wurde auch für die Ermöglichung von kirchlichen Segnungen gestimmt. Das war doch ein großer Schritt, oder?
Kortenbusch: Ja, der war überfällig. Solche Segnungen gab es de facto vorher schon. Die blieben aber immer im Dunkelfeld, so, dass die Priester, die gleichgeschlechtliche Paare gesegnet haben, nicht belangt werden konnten. Aber bis homosexuelle Paare offiziell kirchlich gesegnet werden können, wird es bestimmt noch eine Weile dauern und darüber hinaus schaue ich beeindruckt zur altkatholischen und zur evangelischen Kirche, denn dort sind nicht nur Segnungen, sondern kirchliche Trauungen für homosexuelle Paare möglich.
Frage: Was wünschen Sie sich von der katholischen Kirche?
Kortenbusch: Erst kürzlich habe ich ein Schuldbekenntnis gelesen, das von der Landessynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gegenüber queeren Menschen herausgegeben wurde und auf dem Evangelischen Kirchentag vorgetragen wurde. Dieser Text hat mich sehr berührt. Darin bittet die Kirchenleitung ganz offiziell um Vergebung und gesteht Schuld ein. Mir kamen die Tränen, als ich das gelesen habe. Da habe ich erneut gespürt, wie sehr mir ein Schuldeingeständnis in meiner Kirche fehlt. Zwar wurden damals, nach dem öffentlichen Outing vieler kirchlicher Mitarbeiter, Regenbogenfahnen aufgehängt und es haben sich katholische Institutionen und deren Vertreter als queerfreundlich zu erkennen gegeben, auch etliche Bischöfe. Aber das ging mir zu schnell, zu glatt, hier wird etwas Essenzielles übersprungen; die Kirche muss ihre Schuldgeschichte aufarbeiten. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Nicht nur das kirchliche Arbeitsrecht, sondern auch lehramtlichen Sichtweisen auf LGBTIQA*+-Personen müssen sich ändern.
Frage: Was ist Ihre Botschaft an junge Menschen, die queer sind und Ihren Weg weiterhin mit der Kirche gehen wollen?
Kortenbusch: Ich möchte dazu ermutigen, auf sein Inneres zu hören, zu dem zu stehen, was einem kostbar ist. Jede queere Person, die in der Kirche offen lebt und sich authentisch einbringt, trägt dazu bei, "dass unsere Vielfalt die Kirche reicher, schöpferischer, menschenfreundlicher und lebendiger macht", so haben wir es bei #OutInChurch formuliert. Ja, es geht um Lebendigkeit, um die Fülle des Lebens, von der das Evangelium spricht. Unsere Identität, unsere Liebe ist zutiefst ein Geschenk Gottes.
Buch: "Wie Gott mich schuf" von Marie Kortenbusch
Das Buch "Wie Gott mich schuf – katholisch queer #OutinChurch" von Marie Kortenbusch umfasst 120 Seiten. Es erschien im Patmos Verlag und kostet 16 Euro.