Tradition zeige, dass es großen Spielraum gebe, die Lehre fortzuschreiben

Hilberath: Kirche ist mehr als Folklore mit Gloria von Thurn und Taxis

Veröffentlicht am 29.06.2023 um 00:01 Uhr – Von Michael Jacquemain (KNA) – Lesedauer: 

Tübingen ‐ Kirche dürfe nicht "zum Folkloreverein mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis" werden, sagt der emeritierte Tübinger Dogmatiker Bernd Jochen Hilberath. Im Interview spricht er über sein Verhältnis zur Amtskirche und wirft einen Blick auf aktuelle Diskussionen.

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Der emeritierte Tübinger Theologe Bernd Jochen Hilberath wird heute 75 Jahre alt. Der gebürtige Bingener lehrte zunächst in Mainz und danach mehr als zwei Jahrzehnte in Tübingen Dogmatik. Nach dem Ausscheiden von Hans Küng leitete er auch dessen Institut für Ökumenische Theologie. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert er sich zu aktuellen kirchenpolitischen Fragen. Seine Fakultät will ihn am 17. November mit einer wissenschaftlichen Veranstaltung ehren.

Frage: Herr Professor Hilberath, sorgen Sie sich um Ihre Kirche?

Hilberath: Ja, sehr. Als Alt-68er spreche ich oft mit Menschen darüber, wie unsere Pläne und Utopien vor 60 Jahren waren. Mir war immer wichtig: Das Christentum muss authentisch und biblisch-jesuanisch sein. Eine Zeit lang haben wir geglaubt, wir bekommen das hin, haben aber schnell gesehen, dass das nicht der Fall ist.

Mich belastet, dass theologische Argumente bei den kirchlich Mächtigen bis heute letztlich nicht zählen. Zu den aktuellen Reizthemen gibt es seit Jahrzehnten Argumente zuhauf, aber es heißt immer wieder: Wir müssen noch mal schauen, wir müssen Rücksicht auf die Weltkirche nehmen. Damals war ich voller Hoffnung, heute kratze ich die letzten Hoffnungskörner zusammen. Die Institution liegt mir immer ferner.

Frage: An den Dogmatiker die Frage: Liegen nicht sehr viele Probleme in der Amtszeit von Pius IX. (1846-1878) begründet, der unter anderem die päpstliche Unfehlbarkeit zur verbindlichen Lehre erklärt hat?

Hilberath: Völlig richtig. Der Widerstand gegen Aufklärung und Französische Revolution und die Zuspitzung der Wahrheits- und Rechtskonzeption, wonach letztlich allein der Papst entscheidet, was wahr und Gesetz ist, belasten bis heute. Wir Dogmenhistoriker würden uns freuen, wenn es das Erste Vatikanische Konzil nie gegeben hätte. Früher war die Vormachtstellung des Papstes noch in den Konsens der ganzen Kirche eingebunden.

Frage: Kirchenrechtler wie Norbert Lüdecke sagen, viele hätten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil an Änderungen geglaubt, gekommen sei aber unter Johannes Paul II. das wenig reformorientierte Kirchenrecht von 1983

Hilberath: Diese Einschätzung ist zum großen Teil richtig, das Kirchenrecht hat das Konzil bestenfalls halb umgesetzt. Kirchenrechtler sagen, die im Recht festgehaltene Lehre sei der Maßstab. Dogmatiker sagen, die Lehre muss weiterentwickelt werden, das Recht hat dem Leben zu folgen. Die Tradition zeigt, dass es einen großen Spielraum gab und gibt, die Lehre fortzuschreiben. Die Professorenschaft hat zwar die Macht des Wortes, aber sie erreicht sehr wenig.

Peter Hünermann und Bernd Jochen Hilberath überreichen Papst Benedikt ihr Buch
Bild: ©KNA

Papst Benedikt XVI., Manuel Herder und die beiden Professoren Peter Hünermann sowie Bernd Jochen Hilberath überreichen dem Papst am 22. Februar 2006 den Theologischen Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

Frage: Sie haben immer wieder das aktuelle Reformvorhaben Synodaler Weg verteidigt. Fürchten Sie nicht, dass es endet wie bei der Würzburger Synode vor einem halben Jahrhundert, als nichts geschah?

Hilberath: Doch. Ich habe den Synodalen Weg verteidigt, um dem Projekt Rückenwind zu geben. Ich hatte aber nie die große Hoffnung, dass die Entscheidungen getroffen werden, die die große Mehrheit der Christen erwartet. Dafür ist die Angst der Bischöfe zu groß. Ein Pluspunkt ist, dass jetzt wenigstens deutlich wird, dass sich die Bischöfe nicht einig ist.

Frage: Welche grundlegenden Debatten müssen nach Ihrer Vorstellung heute geführt werden?

Hilberath: Die Zukunft der Kirche liegt in den Gemeinden, die sich selbstständig entwickeln und im Sinne Jesu lebendig ihren Weg gehen. Ansonsten entwickelt sich die Kirche zum Folkloreverein mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zur Pflege irgendwelcher Traditionen.

Theologisch bearbeitet werden muss die Frage von Macht und Glaube, von Demokratie und Kirchenverfassung. Die innerkirchliche Abwehr von Demokratie beruht auf einem Zerrbild.

Frage: Die katholische wissenschaftliche Theologie gerät von vielen Seiten unter Druck. Die Zahl der Studierenden sinkt, es mangelt an qualifiziertem Nachwuchs für die Lehrstühle, und es gibt die Pläne der Bischöfe zur Zentralisierung der Ausbildungsorte für die wenigen verbliebenen angehenden Priester. Welche Perspektive sehen Sie?

Hilberath: Die Akzeptanz der Kirchen kann so weit sinken, dass konfessionsgebundener Religionsunterricht und konfessionsgebundene Fakultäten kaum noch vertretbar sind. Bislang wollten sich die politischen Parteien nicht mit den Kirchen anlegen, aber diese Rücksicht dürfte schwinden.

Die Fakultäten müssen umdenken und zeigen, dass sie Fragen behandeln, die es verdienen, im Forum der Vernunft verhandelt zu werden. Dafür werden einige vollausgestattete Fakultäten reichen. Auch die Professorenschaft muss sich ändern und offensiver agieren: Aktuell sieht sie entweder nicht die wirklich wichtigen Fragen, oder sie verpasst es, ihre Themen öffentlich wahrnehmbar zu vertreten.

Frage: Sie selbst stehen für den Ansatz einer kommunikativen Theologie. Was genau heißt das?

Hilberath: Ähnlich wie bei der Befreiungstheologie geht es darum, die ganze Wirklichkeit menschlichen Lebens in den Blick zu nehmen. Mit den Biografien und mit der Zeit ändert sich das theologische Nachdenken. Menschen müssen eingeladen werden, über ihr Leben, ihre Erfahrungen zu sprechen, Theologie muss immer persönlich sein.

Von Michael Jacquemain (KNA)