Die einschlägigen Bibelstellen sprechen eine deutliche Sprache – oder?

Predigtverbot für Frauen – bis heute?

Veröffentlicht am 02.07.2023 um 12:20 Uhr – Von Barbara Lumesberger-Loisl – Lesedauer: 
Kommentar

Stuttgart ‐ Frauen sollen in der Kirche schweigen, steht bei Paulus. Gibt es da noch Interpretationsspielraum? Die Neutestamentlerin Barbara Lumesberger-Loisl ist davon überzeugt: In der Bibel gibt es genug Freiraum, um die biblische Botschaft für heute freizusetzen, schreibt sie in ihrem Kommentar

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Die einschlägigen Stellen sprechen eine deutliche Sprache: Nach 1 Kor 14,33b-36 haben Frauen in der Gemeindeversammlung zu schweigen und sich (ihren) Männern unterzuordnen. In 1 Tim 2,8-15 wird dies unterstrichen und noch um ein explizites Lehrverbot für Frauen ergänzt.

Man könnte die im Titel aufgeworfene Frage damit für erledigt betrachten, stünden die Stellen nicht in augenfälligem Widerspruch zu völlig entgegengesetzten Aussagen innerhalb des Corpus Paulinum. Einmal davon abgesehen, dass Paulus immer wieder mit Hochschätzung vom (auch lehrenden und verkündigenden) Wirken von Frauen schreibt (vgl. nur Röm 16) – er hätte sich, wenn ihm tatsächlich an einem Redeverbot für Frauen gelegen wäre, die mühevolle Argumentation in 1 Kor 11,4-16 sparen können, dass Frauen beim öffentlichen prophetischen Reden ihr Haupt verhüllen sollen.

Selbst-Widersprüchlichkeit des Paulus

Auf verschiedenen Wegen wurde versucht, diese Selbst-Widersprüchlichkeit des Paulus zu erklären. Das scheint im Fall von 1 Tim 2 aufgrund des deuteropaulinischen Charakters der Pastoralbriefe relativ einfach. Schwieriger ist es in Bezug auf 1 Kor 14,33b-36. Zitiert Paulus hier bloß eine andere Meinung, um sich in V. 36 davon zu distanzieren? – so fragen die einen. Ist vielleicht kein generelles, sondern ein auf einen konkreten Anlass begrenztes Redeverbot gemeint? – so rätseln die anderen.

Die Statue des Heiligen Paulus auf dem Petersplatz im Vatikan.
Bild: ©User:AngMoKio/Creative Commons

Der Heilige Paulus gehörte zu den ersten Missionaren des Christentums.

Die größte Plausibilität (und die meisten Befürwort:innen) hat die Ansicht, dass die problematischen Verse 34-35 gar nicht aus der Feder des Paulus stammen, sondern eine nachträgliche Einfügung aus späterer Zeit darstellen – aus der Zeit der Pastoralbriefe. Im Vergleich mit den authentischen Paulusbriefen illustrieren sie eine Verschiebung in der Bewertung weiblichen Wirkens in der Gemeinde, die mit der Übernahme gängiger Rollenvorstellungen der griechisch-römischen Mehrheitsgesellschaft und der patriarchalen "Haus"-Struktur für die christliche Gemeindeordnung zusammenhängt.

Wer "gewinnt" im Match Protopaulinen gegen Deuteropaulinen?

So bezeugt das Corpus Paulinum beides: aktives Wirken von Frauen in Verkündigung und Gemeindeleitung hier, die Forderung nach Schweigen und Unterordnung da. Fragt sich nur: Wer "gewinnt" im Match Protopaulinen gegen Deuteropaulinen? Welcher der divergierenden Aussagen über das Reden oder Schweigen von Frauen kommt normatives Gewicht zu – auch für die heutige kirchliche Praxis? Sind die Aussagen des Paulus durch ihre aktualisierende Auslegung in den deuteropaulinischen Briefen etwa überholt? Oder gilt im Gegenteil, dass nur dem "authentisch Paulinischen" bindende Geltung zukommt?

Beide Alternativen werden dem Charakter des biblischen Kanons nicht gerecht. Die in der Bibel bezeugte Wahrheit ist nicht auf einzelne Textabschnitte beschränkt, sondern im ganzen Kanon mit all seiner Vielfalt, ja Widersprüchlichkeit, enthalten. Sie ist auch kein statisches Museumsstück, das isoliert in der Vitrine bestaunt werden könnte. Vielmehr spiegelt der Kanon Rezeptionsprozesse, die das in der Bibel bezeugte Gotteswort in je neue Kontexte hineinsprechen lassen. Er vereint unterschiedliche Perspektiven – nicht nur in Bezug auf die Rolle von Frauen. Ein einfaches Rezept, einen Bauplan für die Gestaltung von kirchlichen Strukturen sucht man in der Bibel vergebens. Was man aber findet, sind Spielräume, die zur Aktualisierung der biblischen Botschaft für ein je neues Heute freisetzen. Nur wo diese Freiheitsräume genutzt werden, bleibt die Bibel, was sie ist: lebendiges Gotteswort.

Von Barbara Lumesberger-Loisl

Die Autorin

Dr. Barbara Lumesberger-Loisl ist Mitarbeiterin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und Religionslehrerin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem biblische Hermeneutik, neutestamentliche Prophetie und Pneumatologie.