Feige: Glaube nicht an absoluten paradiesischen Frieden auf Erden
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Als ostdeutscher Geistlicher kann Bischof Gerhard Feige sich gut an die Wendezeit erinnern, in der die christliche Friedensethik eine maßgebliche Rolle bei der friedlichen Revolution gespielt hat. Im Interview spricht er über den Wunsch nach Frieden, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen und sein Engagement für die Ökumene.
Frage: Wir leben seit über einem Jahr schon in Zeiten des Ukraine-Krieges. Stimmen, die zum Frieden aufrufen, werden oft nicht ernst genommen. Welche Rolle spielt derzeit der Wunsch nach Frieden für uns Christen? Sollten wir das einfach so abtun und stattdessen nur über militärische Siege nachdenken oder ist der Wunsch nach Frieden trotzdem etwas Wichtiges und Realistisches, dem wir folgen sollten?
Feige: Der Wunsch nach Frieden ist ganz wichtig. Danach sehnen sich wohl die meisten Menschen. Aber wie ein Friede erreicht werden kann, das ist das Problem. Auf jeden Fall ist Frieden nicht nur irgendein Waffenstillstand oder ein fauler Kompromiss, eine stimmungsvolle Idylle, satte Zufriedenheit oder entspannte Totenruhe, sondern das ist ein aktives Geschehen. Das muss gestaltet werden, das muss abgesichert werden. Dafür muss man etwas tun. Da kann man nicht die Hände in den Schoss legen und nur davon träumen.
Es ist also ein sehr engagiertes Thema, aber die absolute Lösung gibt es nicht. Man kann jetzt auch nicht den Ukrainern sagen, dass sie jetzt stillhalten und alles geschehen lassen müssen, damit Friede eintritt. Das ist also eine spannungsvolle Situation, aber die Sehnsucht ist stark. Ich glaube auch, dass Frieden etwas mit Gott zu tun hat. Wenn man an Gott glaubt, dass er unser aller Vater ist, der Schöpfer von allem, dann sind wir gewissermaßen ja Geschwister. Da könnten wir und dürften wir uns eigentlich nicht den Kopf einschlagen, sondern müssten friedlich miteinander leben.
Für mich ist da auch bezeichnend: In jeder Eucharistiefeier wird ja um den Frieden gebetet. Jesus hat einmal gesagt: Ich schenke euch einen Frieden, den die Welt nicht geben kann. Das heißt, Frieden ist also wesentlich auch ein Geschenk Gottes. Wenn man sich darauf einlässt und daran glaubt, dann müsste man selbst auch zum aktiven Friedensstifter werden. Das ist ein gemischtes Geschehen. Gott tut etwas, aber wir können nicht die Hände in den Schoss legen, sondern wir müssen das aktiv mitgestalten, was in unseren Kräften steht und was möglich ist.
Wir Menschen müssen auch immer wieder darum ringen, welches der richtige Weg ist – und da müssen wir im Kleinen anfangen. Denn das Thema Frieden betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen den Völkern. Es betrifft das Verhältnis innerhalb einer Gesellschaft, innerhalb der Kirche und in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Es geht auch um unser eigenes Herz. Auch da kann Krieg herrschen. Von daher ist das ein ganzheitliches Geschehen, um das wir uns bemühen müssen.
Frage: Wenn wir sagen, jetzt können wir nur noch um den Frieden beten, dann klingt das oftmals ein wenig hilflos oder machtlos. Ist das trotzdem eine realistische und eine proaktive Herangehensweise für Christen?
Feige: Beten kann stark machen und ist ein Ausdruck dafür, dass ich die Hoffnung nicht aufgebe, dass ich tatsächlich daran glaube, dass Gott auch etwas bewirken kann. Nicht nur durch mich, sondern auch durch viele andere hindurch. Es ist also nicht nichts, sondern es ist etwas, das auch Mut machen kann und wo man das Vertrauen in Gott auch massiv zum Ausdruck bringt. Es verändert einen auch selbst in seiner Haltung und macht einen vielleicht auch friedlicher, demütiger, bescheidener und nicht so aggressiv.
Frage: Sie haben sich mit dem Thema auch in Ihrem Bistum in Magdeburg auseinandergesetzt: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. In dem Kontext haben Sie im Bistum eine eigene Kommission eingesetzt. Warum genau in dieser Kombination? Gibt es keinen Frieden ohne Gerechtigkeit? Oder gibt es keinen Frieden ohne Bewahrung der Schöpfung?
Feige: Diese Kommission habe ich schon 2010 gegründet. 2015 kam erst die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus. Das heißt, das war uns auch schon vorher ein Anliegen. Unsere große Bistumswallfahrt im Jahr 2010 hatte auch das Thema "Gottes Schöpfung – uns anvertraut!". Das stand also im Zusammenhang. Sowohl diese Kommission als auch die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus machen deutlich, dass das zusammenhängt.
Es kann keinen wirklichen Frieden geben ohne Gerechtigkeit. Wenn die Schöpfung nicht bewahrt wird, sondern sinnlos ausgenutzt wird, dann schafft das neue Ungerechtigkeit. Dann bewirkt das auch Kriege. Soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung – das hängt also alles miteinander zusammen.
Warum wir das in einer Kommission zusammengefasst haben: Einmal sind wir ein sehr kleines Bistum. Wir können nicht so viele Kommissionen gründen. Die engagierten und qualifizierten Leute, die darin arbeiten, bereichern sich aber auch gegenseitig.
Außerdem steht das in einer großen kirchlichen ökumenischen Tradition, dem sogenannten "konziliaren Prozess", den es weltweit seit 1983 gibt, später dann auch in Deutschland. Wir in der DDR hatten 1988/89, also in den letzten Jahren auch solche ökumenischen Versammlungen mit diesem Thema "Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung." Das waren drei Versammlungen: eine in Dresden, die zweite in Magdeburg – das ist besonders interessant – und die dritte wieder in Dresden.
Die Texte und die Überlegungen, die da erarbeitet worden sind, haben dann wesentlich in den ersten Jahren nach 1989 auch verschiedene politische Gruppierungen bestimmt. Die Texte finden sich in deren Grundlagenpapieren wieder, sodass diese christlichen Impulse wesentlich auch zur anfänglichen Gestaltung der neuen Verhältnisse in unserem Land hier im Osten mit beigetragen haben.
Bistum Magdeburg: Vom Machtzentrum zur "schöpferischen Minderheit"
Im Mittelalter eines der großen deutschen Erzbistümer, gehört Magdeburg nach einer bewegten Geschichte heute zur Gruppe der kleinen Diasporabistümer. Die geringe Zahl an Katholiken, der Mangel an Priestern und die klammen Kassen stellen die Diözese in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen.
Frage: Den Friedenswunsch hören wir in jeder Messfeier. Trotzdem scheint es auf unserem Planeten ein frommer Wunsch, der eigentlich relativ wenig mit der Realität zu tun hat. Wie sehen Sie das? Ist der Frieden irgendwann wirklich zu erreichen? Die Realität sieht ja anders aus.
Feige: An einen absoluten paradiesischen Frieden auf Erden glaube ich nicht. Dafür sind wir Menschen zu unterschiedlich und zu gespalten und auch innerlich zu zerrissen. Es wird also immer Probleme geben. Von daher erhoffe ich einen wirklich wahren Frieden erst am Ende der Zeiten von Gott her. Im Bild gesprochen, wenn das himmlische Jerusalem gewissermaßen auf uns zukommt und hereinbricht.
Trotzdem meine ich, dass wir da nicht nachlassen dürfen. Es gab und gibt Situationen, wo ein solcher Friede schon zu spüren ist in kleinen Verhältnissen, aber manchmal auch in großen. Zum Beispiel die Phase nach 1989/90 hier im Osten, in Deutschland, in Europa, das war ja eigentlich wie eine Verheißung, dass es friedlich weitergehen könnte. Es war ein Wunder. So würde ich das bezeichnen. Die Konstellation der Großmächte hatte mit dazu beigetragen. Es sah hoffnungsvoll aus.
Dass jetzt in letzter Zeit wieder massive Rückschläge gekommen sind, das war da nicht zu ahnen. Es zeigt aber, dass es durchaus möglich ist, solche Phasen zu erreichen.
Frage: Sie sind in Magdeburg gar nicht mal so weit weg von Polen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die katholische Friedensarbeit der Bischöfe zwischen Deutschland und Polen wegweisend gewesen. Dabei ist das Verhältnis im Moment zwischen den beiden Ländern ja auch nicht unangespannt. Ein Stichwort sind da zum Beispiel die Reparationsforderungen, die immer wieder aufkommen. Hat denn die Kirche, haben die Christen, haben die Bischöfe da die nötige Kraft, weiterhin Schritte der Versöhnung einzuleiten? Wie könnte das Ihrer Meinung nach aussehen, da heute etwas zu bewegen?
Feige: Es gibt Möglichkeiten, beispielsweise im Rahmen der Deutschen Bischofskonferenz. Es gibt eine Arbeitsgruppe zwischen polnischen Bischöfen und Deutschen. Ich gehöre dieser Arbeitsgruppe nicht an, aber ich weiß um deren Bemühungen.
Wenn ich aber in die Vergangenheit zurückblicke – und das möchte ich noch einmal an der Stelle tun, hat Magdeburg dabei auch eine besondere Rolle gespielt. In Magdeburg ist nämlich gewissermaßen die "Aktion Sühnezeichen" gegründet worden durch den evangelischen Christen Lothar Kreyssig. Und wir hatten von katholischer Seite dann bald den Günter Särchen, der sehr engagiert da mitgearbeitet hat und eigene Initiativen entfaltet hat.
Man sagt sogar, dass er vor dem polnisch-deutschen Briefwechsel der Bischöfe schon entscheidend mit dazu beigetragen hat, dass das zustande kommt. Hier wurde dann auch noch eine literarische Gesellschaft, die Anna-Morawska-Gesellschaft, gegründet. Von daher hat Magdeburg da auch eine besondere Rolle gespielt.
Jetzt haben wir auch noch gute Kontakte nach Gnesen (Gniezno) und nach Posen (Poznan) kirchlicherseits, und zwar über den heiligen Adalbert – Wojciech in Polnisch. Der kam aus Böhmen, war dann in Magdeburg hier an der Magdeburger Domschule und ist dann Bischof in Prag geworden. Die Reliquien werden hauptsächlich in Gnesen verehrt.
Dieser Heilige verbindet uns. Wir haben gute Kontakte und sind auch im Gespräch. Ich war auch schon ein paar Mal dort in Poznan, sodass wir uns auch bemühen, die Irritationen, die in letzter Zeit manchmal ausgebrochen sind, anzugehen und wieder zu einer besseren Verständigung zu kommen.
„Ich glaube, dass das Engagement in der Ökumene auch ein wesentlicher Friedensdienst ist.“
Frage: Wie sieht es mit Ihnen persönlich aus? Was tun Sie persönlich, um sich für den Frieden zu engagieren?
Feige: Das ist eine schwierige Frage, wenn es ganz konkret werden soll. Ich könnte jetzt viele einzelne Dinge nennen, aber ich möchte mal eines besonders herausgreifen. Ich glaube, dass das Engagement in der Ökumene auch ein wesentlicher Friedensdienst ist. Die Fronten zwischen den Konfessionen waren ja in der Vergangenheit enorm verhärtet. Es hat ja selbst Konfessionskriege gegeben. Polemik gibt es hin und wieder auch mal wieder. Das bewegt mich seit Jugendzeiten. Da endete damals das Zweite Vatikanische Konzil, da ist die katholische Kirche der ökumenischen Bewegung beigetreten.
Das hat mich von Anfang an in vielen Bereichen geprägt, sowohl zur evangelischen Kirche hier in unserer Gegend, zu der wir ein sehr gutes Verhältnis haben, als auch mein Interesse für den christlichen Osten, die Orthodoxie. Da möchte ich ein Beispiel nennen: Ich bin seit 2004 in einem inoffiziellen orthodox-katholischen Arbeitskreis, der den Namen Sankt Irenäus trägt. Irenäus ist ein Heiliger, der um 200 verstarb, der aus Kleinasien kam, dann Bischof von Lyon war und sich in verschiedenen Konflikten in der Kirche um Versöhnung und Frieden eingesetzt hat.
Dieser Name ist auch bezeichnend für unser Engagement in diesem Kreis. Dort habe ich seit fast 20 Jahren sehr positive Erfahrungen gemacht. Da hat sich etwas entwickelt, da ist Vertrauen gewachsen und das sehe ich als einen Dienst, vielleicht einen kleinen Dienst, aber zum Frieden und zur Verständigung und Versöhnung mit beizutragen.