Clemens Leonhard im Interview über das Sakrament der Taufe

Liturgiewissenschaftler: Warum die Taufe ein untilgbares Prägemal ist

Veröffentlicht am 08.07.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Münster ‐ Das Kirchenrecht bezeichnet sie als Eingangspforte zu den Sakramenten: die Taufe. Dabei hat sie im Lauf der Geschichte deutliche Veränderungen erfahren. Im katholisch.de-Interview spricht Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard über die theologische Bedeutung der Taufe und aktuelle Entwicklungen.

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Die Taufe ist das erste Sakrament, das Katholikinnen und Katholiken empfangen. Denn wer sie nicht empfangen hat, kann auch zu den anderen Sakramenten nicht zugelassen werden. Im katholisch.de-Interview spricht der Professor für Liturgiewissenschaft der Universität Münster, Clemens Leonhard, darüber wie das Sakrament entstanden ist und warum die Kirche seit der Liturgiewissenschaflter Eltern und Paten mit einem gewissen Misstrauen begegnet. 

Frage: Herr Leonhard, was bedeutet das Sakrament der Taufe?

Leonhard: Die Taufe ist die Eingliederung eines Menschen in die christliche Kirche und die Tilgung aller Sünden und Vergehen, die er in seinem Leben vorher begangen hat. Im Laufe der Geschichte wurde die Taufe mit unterschiedlichen Bildern verdeutlicht, beispielsweise mit dem Bild der Adoption durch Gott: Nach der Taufe sind die Menschen Adoptivkinder Gottes. Deswegen war in der Antike auch das Sprechen des Vaterunsers direkt nach der Taufe ein starkes Zeichen, jetzt voller Kraft "Vater" zu Gott sagen zu können.

Frage: Im Islam wird beispielsweise ein Gebet gesprochen, um der Gemeinschaft beizutreten. Warum ist es bei den Christen ein solches Ritual wie die Taufe?

Leonhard: Wir wissen nicht genau, wie die Taufe entstanden ist. Am Anfang steht sicher ein Ritus, der mit einer Waschung zu tun hat. Die Vorstellung, dass man durch dieses Ritual in die Kirche eingegliedert wird, kommt später hinzu. Im Römerbrief des Apostels Paulus findet sich eine sehr interessante Deutung der Taufe als ein Mitsterben mit Christus: Diejenigen, die in der Taufe mit Christus sterben, haben also die Hoffnung, dass sie auch mit ihm auferstehen werden.

Frage: Gibt es denn Parallelen zur Taufe in anderen Religionen, etwa im Judentum?

Leonhard: Im Neuen Testament haben wir Johannes den Täufer, der mit Wasser tauft und diesen Akt offenbar als einmalige Veranstaltung im Leben eines Menschen versteht. Im babylonischen Talmud finden wir eine Beschreibung dafür, wie jemand als Erwachsener zum Juden wird: Für die Männer die Beschneidung und ein Tauchbad, für die Frauen nur ein Tauchbad. Da diese Tauchbäder aber zu verschiedenen Gelegenheiten in ihrem Leben als Jüdin oder Jude wiederholt wurden, handelt es sich nur um eine oberflächliche Parallele zur Taufe.

Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard
Bild: ©Privat

Die Taufliturgie habe in der Antike ganz anders als heute ausgesehen, sagt Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard. Auch die Taufe eines kleinen Kindes könne heute feierlich und schön für die Familie sein. "Aber das Gefühl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Gottesdienst muss in der Antike ganz anders gewesen sein."

Frage: Inwiefern hat sich die Taufe im Laufe der Kirchengeschichte verändert?

Leonhard: Die sichtbarste Veränderung betrifft gerade in unseren Breiten das Alter der Täuflinge. In der Antike und auch im Neuen Testament sind Täuflinge Erwachsene, die zustimmen können, dass sie getauft werden wollen und die ein Glaubensbekenntnis ablegen können. Dadurch sieht das Ritual ganz anders aus, als wenn es Säuglinge sind. Die Taufe muss in der Antike zunächst ein relativ kleines Ritual gewesen sein. Aber sobald sich in der Kirche die Liturgien als große Veranstaltungen etablierten – zum Beispiel zu Ostern –, wurde auch die Taufe zu einem feierlichen Ritual mit vielen kleinen Elementen und viel Personal. Nach dem Tauchbad traten die Erwachsenen damals in weißen Kleidern vor den Bischof, um von ihm das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne zu empfangen, und zogen anschließend zur Eucharistie. Diese feierliche Liturgie konnte, wenn mehrere Menschen getauft wurden, auch die ganze Osternacht dauern. Das ist eine ganz andere Liturgie als heute bei der Taufe eines kleinen Kindes, wobei heute die Taufe eines kleinen Kindes auch feierlich und für die Familie sehr schön ist. Aber das Gefühl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Gottesdienst muss in der Antike ganz anders gewesen sein.

Frage: Die kirchliche Lehre spricht bei der Taufe von einem "untilgbaren Prägemal". Was ist damit gemeint?

Leonhard: Wir können schon ganz am Anfang der Kirche die Vorstellung erkennen, dass die Taufe nicht wiederholt wird. Stattdessen wird beispielsweise die Buße eingeführt, sodass Menschen, die in der Christenverfolgung nicht standgehalten haben, durch ein Verfahren wieder in die Kirche zurückkommen können. Augustinus vergleicht diese Unauslöschlichkeit später mit einem Prägemal. Im Mittelalter wird dieser Vergleich dann zu einer theologischen Lehre umgearbeitet. Die Taufe wird zu einem Prägemal, also einem Stempel oder einem Siegel auf der Seele des getauften Menschen. Sie verändert die Seele des Menschen dauerhaft und unauslöschlich.

Frage: Im Notfall kann laut Kirchenrecht jeder von der nötigen Intention geleitete Mensch eine gültige Taufe spenden. Warum gibt es bei der Taufe diese "Notfallregelung", anders als bei anderen Sakramenten?

Leonhard: Auch hier ein Rückblick in die Antike: Dort hat im Großen und Ganzen der Bischof getauft. Allerdings stellte sich die Frage, wie man mit Menschen umgehen sollte, die in anderen Gemeinden oder Kirchen getauft wurden, die nicht zur eigenen Kirche gehörten und die man vielleicht sogar als Häretiker und Schismatiker betrachtet hat. Im Streit darüber, ob man diese Menschen bei einem Übertritt in die eigene Kirche noch einmal taufen sollte, hat sich die Haltung durchgesetzt, dass man das nicht tut, sondern die Taufe anerkennt. Im Mittelalter hat sich diese Lehre dann weiterentwickelt: Wenn sogar Menschen gültig taufen können, die einen falschen Glauben haben, dann ist offensichtlich nur entscheidend, dass der Mensch im Sinne der Kirche taufen will. Diese Lehre wurde im Hochmittelalter festgeschrieben. Das ist in der katholischen Kirche allerdings nur ein gültiger Notfall, im Regelfall taufen weiterhin Bischöfe, Priester, Diakone oder eigens dazu beauftragte Laien.

Frage: Warum wird denn dann, wenn beispielsweise ein Kind zu sterben droht, gerade die Taufe gespendet und nicht beispielsweise die Eucharistie gefeiert?

Leonhard: Das hängt mit der Entwicklung der Lehre zur Erbschuld zusammen. Diese Vorstellung entwickelt sich um Augustinus herum in der Spätantike, also im vierten und fünften Jahrhundert. Zu dieser Zeit wurden schon gelegentlich Kinder getauft, wenn diese schwer krank waren. Daraus entwickelte sich dann die Lehre der Taufe als Tilgung der Erbschuld. Schließlich konnte ein Säugling noch keine Sünde begangen haben. Irgendeine Schuld musste es aber geben, die durch die Taufe getilgt werden kann. Aus der Vorstellung dieser Schuld entwickelte sich dann die Praxis, Säuglinge möglichst schnell nach der Geburt zu taufen, denn die Kindersterblichkeit war in der Antike hoch und man wollte vermeiden, dass die Kinder aufgrund dieser Schuld in die Hölle kommen.

Wirkmächtig und umstritten: Die Lehre von der Erbsünde

Manche Theologen wollen sie abschaffen, andere wollen sie retten: Die Lehre von der Erbsünde besagt, dass jeder Mensch in einen universalen Unheilszustand hineingeboren wird und daher erlösungsbedürftig ist. Ein Blick in die Entwicklung eines wirkmächtigen Konzepts.

Frage: Was bedeutet das heute für die Patinnen und Paten? Säuglinge können sich nicht selbst dazu entscheiden, sich taufen zu lassen …

Leonhard: Die Patinnen und Paten haben seit der Antike eine doppelte Funktion: Sie haben gewissermaßen die Aufgabe eines Reiseführers für einen neuen Gast in der himmlischen Stadt Jerusalem. Denn durch die Taufe wird ein Mensch Bürgerin oder Bürger dieser himmlischen Stadt – kennt sich dort aber nicht aus und braucht jemanden, der ihm die Wege zeigt. Auf der anderen Seite waren Paten auch Bürgen vor der Kirche, denn sie garantieren der Kirche, dass der Mensch, den sie auf dem Weg zur Taufe begleitet haben, ein anständiger Mensch ist und dass es sich lohnt, dass dieser getauft wird.

Frage: Inwiefern hat sich das geändert?

Leonhard: Vom Mittelalter bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil und der Liturgiereform lief die Taufliturgie bei Säuglingstaufen so ab, dass der Priester beim Glaubensbekenntnis das Kind fragt aber die Patin oder der Pate stellvertretend antwortet, da das Kind das selbst ja nicht kann. Das wurde im Zuge der Liturgiereform nach dem Konzil geändert: Jetzt fragt der Priester die Eltern und Paten, ob sie glauben – und die können natürlich ihren Glauben bekennen. Der Vorteil ist, dass nun das Ritual stimmig ist. Der Nachteil ist allerdings, dass nun an dem Kind gehandelt wird und es nicht mehr so im Zentrum des Rituals steht, wie vorher. Die Folge davon ist außerdem, dass das Bekenntnis der Eltern und Paten jetzt mehr in das Interesse der Kirche gerückt ist, denn die Kirche möchte, dass das Bekenntnis wahrhaftig und nachvollziehbar ist. Das hat ein gewisses Misstrauen den Eltern und Paten gegenüber zur Folge.

Frage: Wie äußert sich dieses Misstrauen?

Leonhard: In Deutschland hat sich ein eigener Ritualvorschlag entwickelt, nämlich die sogenannte Taufe in zwei Stufen: In einem ersten Schritt wird dann das Kind in der Gemeinde begrüßt und die Eltern leben einige Zeit in dieser Gemeinde mit – gerade dann, wenn sie vorher noch nicht so richtig Teil der Gemeinde waren. Nach einigen Monaten findet dann die richtige Taufe des Kindes statt. Das ist ein Ausdruck der Sorge der Kirche darum, was Eltern und Paten versprechen, nämlich, dass sie das Kind christlich erziehen wollen.

Frage: Welche weiteren Entwicklungen beobachten Sie derzeit in der Praxis?

Leonhard: Gerade in Deutschland wird auch die Frage nach den Vorsteherinnen und Vorstehern der Taufe diskutiert. Diese Regel wird in manchen Diözesen gerade dadurch erweitert, dass zwischen der Nottaufe, die jeder spenden kann, und der Taufe durch Bischof, Priester oder Diakon die Taufe durch beauftragte Laien tritt. Das sind natürlich Christinnen und Christen, die gelernt haben, wie man diese Liturgie feiert. Es wird in Zukunft darauf ankommen, die Vorstellung zu vermeiden, dass es Taufen erster und zweiter Klasse gibt. Die Taufe durch beauftragte Laien ist eine genauso wirksame und vollständige Taufe, wie die Taufe durch einen Priester. Eine weitere Beobachtung ist, dass wir schon seit Jahrzehnten ein Steigen des Taufalters sehen. Heute wird ein Kind nicht mehr unmittelbar nach der Geburt getauft – was neben der besseren medizinischen Versorgung auch damit zusammenhängt, dass wir die Vorstellung aufgegeben haben, dass ein ungetauft verstorbenes Kind in die Hölle kommt. Ein letzter Punkt: Die Taufe ist das am wenigsten ökumenetaugliche Sakrament, obwohl es allen Christinnen und Christen gemeinsam ist. Denn die Taufe ist de facto immer eine Taufe in eine spezielle Kirche. Die Frage ist, welche Auswirkungen es auf die Taufe haben wird, wenn im Zuge der zunehmenden Säkularisierung auch das Verständnis für die Differenzen zwischen den Konfessionen in der Öffentlichkeit verschwindet. Das ist aber ein Thema, das in der Liturgie derzeit nicht abgebildet wird.

Von Christoph Brüwer