Staatsministerin Roth: Verantwortung der Kirchen ist unglaublich groß
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) musste zuletzt viel Kritik einstecken. Im Interview nimmt sie zu aktuellen Debatten Stellung – und erklärt, warum sie trotz ihres Austritts immer noch mit der katholischen Kirche hadert.
Frage: Frau Staatsministerin Roth, im Juni stimmte der Bundestag einem Antrag darüber zu, dass es ein Mahnmal für die in der NS-Zeit verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas geben soll. Dabei war es um zwei Vorhaben, die sich mit Ereignissen aus der jüngeren Geschichte befassen, zuletzt eher still: Zum einen das Einheitsdenkmal, mit dessen Bau bereits begonnen wurde, dann das Denkmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Dabei hat der Bundestag längst über die entsprechenden Anträge entschieden. Wie ist da der Stand?
Roth: Beim Freiheits- und Einheitsdenkmal gab es seit dem Bundestagsbeschluss 2007 viel Hin und Her: Beim Wettbewerb, bei der Planung, dann kamen bei der Umsetzung auch noch die Fledermäuse, dann Bauverzögerungen im Rahmen von Corona. Ziel aller Beteiligten ist es, dass wir das Freiheits- und Einheitsdenkmal zeitnah fertigstellen und einweihen können.
Frage: Und bei dem zweiten Erinnerungsort?
Roth: Für das Denkmal zur Mahnung und Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland gestaltete sich die Standortsuche lange schwierig. Inzwischen sind wir aber auf einem guten Weg. Wir sind mit dem Bezirk Mitte in letzten Gesprächen für ein Grundstück. Dann käme das Mahnmal hier direkt in das politische Zentrum Berlins in den Spreebogenpark. Für mich ist das ein sehr wichtiges Vorhaben, denn nach wie vor gibt es in Deutschland noch kein kollektives Erinnern an das SED-Unrecht. Wenn der Ort dann feststeht, kommt als nächstes die Ausschreibung für das Mahnmal, wir hoffen, dass das zügig geht.
Frage: Ein anderes großes Aufgabenfeld ist die Rückgabe von Kulturgütern. Zuletzt standen Sie wegen der Benin-Bronzen in der Kritik, weil der damalige nigerianische Präsident die Bronzen an die Nachfahren der Königsfamilie von Benin übereignete, sie also erst mal nicht öffentlich zugänglich sind.
Roth: Die Rückgabe der Benin-Bronzen finde ich nach wie vor absolut richtig. Wir haben die Eigentumstitel bedingungslos zurückgegeben. Denn: Seit wann bestimmt ein Hehler, was mit der gestohlenen Ware passiert? Die Debatten darüber finde ich völlig unverständlich.
Frage: Trotzdem, haben Sie Signale aus Nigeria, das sich etwas am Umgang mit den Objekten ändert?
Roth: In Nigeria gab es Neuwahlen und sobald der neue Kulturminister feststeht, werden wir sofort Kontakt mit ihm aufnehmen. Ich bin zuversichtlich, dass die Kunstwerke öffentlich zugänglich gemacht werden. Es gibt schon jetzt eine lebhafte Debatte in dem Land darüber. Die Beteiligung der Bundesregierung am Bau eines Museumskomplexes in Benin City soll zudem der Startpunkt für eine neue Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Nigeria auf Augenhöhe sein.
Frage: In der Geschichte spielte vor allem die katholische Kirche für die Kultur lange Zeit eine sehr entscheidende Rolle, sei es als Förderer für Künstler, Sammler von Kunstwerken oder als Bauherr für wichtige Bauten. Wie beurteilen Sie ihre gesellschaftliche Rolle heute?
Roth: Die Rolle hat sich natürlich sehr verändert und die Stellung der Kirchen ist heute eine andere als noch vor einigen Jahrzehnten. Nur noch weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung gehören einer der beiden großen Kirchen an.
Frage: Aber?
Roth: Trotzdem haben die Kirchen natürlich vor allem auf dem Land eine große Bindewirkung – wenn diese auch hier zurückgeht. Auch die Kirchengebäude selbst haben jenseits der religiösen Bedeutung eine wichtige soziale und kulturelle Funktion. Das wird etwa bei Gebäuden sichtbar, in denen keine Gottesdienste mehr stattfinden und die etwa für Kulturveranstaltungen genutzt werden. An der Instandhaltung beteiligt sich deshalb auch die Bundesregierung mit einem Denkmalschutz-Sonderprogramm, das in diesem Jahr mit insgesamt bis zu 50 Millionen Euro ausgestattet war. Davon konnte in der Vergangenheit etwa die Martinskirche in Landshut profitieren, deren Fassade saniert werden konnte, oder aktuell die Fassade der Stiftskirche St. Johann in Regensburg.
Frage: Sie selbst sind katholisch getauft, aber vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten. Wie blicken Sie heute auf die Kirchen?
Roth: Ich bin nach wie vor in Kontakt mit vielen kirchlichen Sozial- und Frauenverbänden. Und ich weiß, dass gerade in Bayern christliche Kirchengemeinden Unfassbares bei der Aufnahme geflüchteter Menschen geleistet haben. Eigentlich sind die Chancen und die Verantwortung der Kirchen unglaublich groß. Deswegen bereitet es mir große Sorgen, dass die Bindekraft der Kirchen schwindet. Die Austrittszahlen sind drastisch angestiegen – was mit Blick auf das Bekanntwerden der schrecklichen Missbrauchsfälle und ausbleibende Reformen nicht verwundert.
„Ich selbst kann nicht verstehen, dass dringend nötige Reformen von einigen wenigen Bischöfen in der katholischen Kirche blockiert werden.“
Frage: Immerhin wird seit längerem über Veränderungen in der Kirche diskutiert.
Roth: Ich selbst kann nicht verstehen, dass dringend nötige Reformen von einigen wenigen Bischöfen in der katholischen Kirche blockiert werden. Ein Grund für mich aus der Kirche auszutreten war es, dass die Frauen in der katholischen Kirche schweigen sollen. "Mulier taceat in ecclesia" heißt es in einem Korintherbrief und daran hat sich bis heute nichts Entscheidendes geändert. Das hat keine Zukunft, das zeigen ja auch die Austritte von Christen, die kirchlich sehr engagiert waren und inzwischen an ihrer Kirche verzweifeln.
Frage: Sie tragen den zweiten Vornamen "Benedicta" – das klingt sehr fromm...
Roth: Das stimmt. Als Kardinal Ratzinger 2005 den Namen Papst Benedikt gewählt hat, rief mich meine Mutter an und sagte: "Jetzt kannst du dich nicht mehr beklagen!" Dabei hatten meine Eltern mit dem Namen eine ganz andere Intention: Sie haben mich Claudia Benedicta nach einer Prager Opernsängerin im 18 Jahrhundert genannt, die als schwarzes Schaf der Familie galt. Das fanden sie offenbar passend für mich.
Frage: Gibt es positive Dinge, die Sie mit der Kirche verbinden?
Roth: Ich war in meiner Kindheit oft bei meinen Großeltern, mein Großvater war Protestant, meine Großmutter eine tiefgläubige Katholikin. Mit ihr bin ich sonntags ins Franziskanerklösterle in Ulm gegangen. Tief beeindruckt hat mich dort eine große Franziskusgestalt. Franziskus trug nur Sandalen und keine Socken und war von Tieren und Pflanzen umgeben. Sein Sonnengesang hat sich tief bei mir eingegraben.