Barockaktivist und Influencer: Mit Corpus bringt ein Kreuz keine Likes
"Die Sonne steht jetzt perfekt", sagt Constantin Pelka. Er kennt sich aus, ist regelmäßig hier. Durch eine schwere Holztür betritt er den dunklen Vorraum der Münchener Asamkirche. Hier ist vom Gewühl der Einkaufsmeile Sendlinger Straße nur noch Rauschen zu hören. Es riecht nach Wachs, Weihrauch und Schweiß. Schon mit sechs Besuchern ist der kleine Vorraum gut gefüllt, in den Bänken sitzen ein paar Beter. In wenigen Minuten schließt die Kirche. Es ist Sommer in der bayerischen Landeshauptstadt – kurz vor 19 Uhr.
Pelka bezeichnet sich als Barockaktivist. Er schaut durch das Eisengitter des Vorraums Richtung Hochaltar – vorbei an rot-orangenen Säulen mit goldenen Ornamenten, kleinen, dicken Putten mit Blumengirlanden. Hin zu aufsteigendem Weihrauch und wallenden Stoffen. Das Gitter zwischen Vorraum und Kirchenschiff ist eine Art Bilderrahmen, sagt er. Das ist seine Lieblingsperspektive. Von diesem Punkt könne man die schönsten Fotos machen. Diese Bilder postet er auf Instagram. Dort folgen dem 33-jährigen Bayer fast 200.000 Nutzer. Seit rund drei Jahren erklärt er dort barocke Kirchen, Schlösser und Kunstwerke. In seiner Freizeit ist er Kulturblogger, hauptberuflich arbeitet er in der Kommunikationsberatung.
"Von links kommt ganz zart ein bisschen Licht", sagt Pelka. Er weiß, zu welcher Zeit welche Stimmung in der Kirche herrscht. Dafür hat er eine App, die ihm den Sonnenstand verrät, viel Erfahrung und eine Liste mit Daten seiner Beobachtungen. "Ich dachte lange, dass es zur Mittagszeit hier besonders schön ist", sagt er, "aber jetzt am Abend wirkt die Kirche noch mehr". Die Komposition des Baus beeindruckt ihn: "Man kommt von der Straße in den dunklen Vorraum und schaut auf die Helligkeit im wichtigsten Bereich der Kirche", erklärt Pelka. "Wie so ein Escape-Room." Barock ist für den Kulturblogger "Emotion pur". Gold, Glanz und Prunk machen ihm gute Laune: "Die Asamkirche ist schon ein besonders krasses Teil."
"Barockes Coming Out"
Pelka hat Kunstgeschichte, Theologie und Philosophie studiert. Im Rahmen seines Kunststudiums hat er angefangen, sich mit dem Barock zu beschäftigen. Nach und nach arbeitete er sich dann in die Thematik ein – dabei habe er "ganz viele Orte abgeklappert". Mehr als 800 sind es wohl, sagt er. Irgendwann habe er gemerkt, dass es im Internet viele Barock Begeisterte gibt. "Das war mein barockes Coming Out." In dieser Zeit schrieb Pelka "quasi kunsthistorische Abrisse auf Instagram" und nutzte die Plattform als eine Art Studienarchiv. Irgendwann sei ihm bewusst geworden, dass die Bildgewalt "eigentlich ausreicht" – seitdem versucht er die Bilder für sich sprechen zu lassen.
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Rund 20 Prozent seiner Leserinnen und Leser im Internet kommen aus Deutschland, 30 Prozent aus Amerika und viele aus dem spanischsprachigen Raum. Mit seinen Ausflügen durch die glänzend-schillernde Welt voller Putten und Vorhänge erreicht er vor allem 25- bis 35-Jährige. Nicht alle sind religiös. Nach einer Pride-Aktion habe er mal ziemlich viele Religiöse verloren, erinnert er sich.
"Regenbögen wollen die Frommen wohl nur sehen, wenn Jesus drauf sitzt", sagt Pelka und wundert sich über Engstirnigkeit und fundamentalistische Hybris. Doch das Internet hat seine eigenen Dynamiken. "Ein Kreuz mit Corpus bringt keine Likes, aber Mariendarstellungen gefallen den Usern", analysiert er und fügt hinzu: "Mutti geht immer!". Marienbilder gehören zu den beliebtesten Motiven seines Accounts. Religion und Glaube sind ihm wichtig, er nimmt sie aber nicht ernster als notwendig. Das gilt auch für kunsthistorische Fakten und Hintergründe, die er geschickt und mit Witz in seine Erzählungen einfließen lässt. In seinem Hobby verbindet er produktiv seine Spiritualität und seine kunsthistorische Kenntnis.
Mit seiner Arbeit möchte er die Stilrichtung bekannter machen. "Du musst keine Ahnung von Kunst, Religion oder Geschichte haben – ich nehme Dich mit auf eine Reise", verspricht er. Er will einen ersten Einstieg in die Welt des Barocks vermitteln und Interesse wecken, schließlich könne man auch "Spaß in der Kirche haben, ohne die ganze Symbolik zu verstehen." Obwohl ein bisschen Vorwissen sicherlich helfe, gibt er zu.
Manchmal arbeitet er Jahre daraufhin, einen bestimmten Ort zu besuchen. Er hat eine digitale Deutschland-Karte auf dem Handy, übersäht mit blauen Markierungen. "Das ist mein Archiv und meine To-Do-Liste", sagt er nicht ohne Stolz. "Kurzurlaub vor der Haustür" nennt er das. "Eigentlich ist der Barock hier in München nochmal geiler als in Rom, weil hier alles nochmal gesteigert wurde." Irgendwie wäre es einfacher gewesen, die Orte aufzuschreiben, an denen es nichts Barockes gibt, sinniert er.
Besucht Pelka einen neuen Ort, hat er immer sein Handy in der Hand. "Den ersten Blick bekommt man nie wieder", sagt er. Dann macht er sich auf die Suche nach Perspektiven. "Im Barock öffnen sich Vorhänge, gibt es Rahmen und Sichtachsen. Diese Stilmittel muss ich auf Bildern und Videos einsammeln, damit es zuhause erlebbar wird", sagt er. Dabei ist er immer in Bewegung. "Nicht ich mache etwas mit dem Raum, sondern der Raum möchte etwas mit mir machen", ist er überzeugt. Was der Raum vorhabe, das lasse sich aber nur in Bewegung herausfinden. Er nennt das "experimentelles Gucken". Das habe er schon als kleiner Messdiener in seiner barocken Heimatkirche gelernt: "Da sitzt man ja auch nie still."
„Nicht ich mache etwas mit dem Raum, sondern der Raum möchte etwas mit mir machen“
Auf seinen Touren klettert er auch mal über Balustraden oder balanciert im Halbdunkeln auf Balken. Die schlimmsten Verrenkungen bleiben ihm aber seit ein paar Wochen erspart, denn mittlerweile hat er eine Drohne, die manch eine waghalsige Aktion überflüssig macht. Viel größere Hürden sind aber oft Pfarrgemeinden und Bistümer, die wenig Verständnis für seine Arbeit hätten. Ruft er in Gemeinden oder bei Kunstverantwortlichen an, stößt er oft auf Widerstand. Viele Gemeinden seien blind für die Schätze, die sie in ihren Kirchen hätten. Andere reagieren skeptisch auf seine Arbeit und würden nicht verstehen, welche immense Reichweite Social Media biete. "Wenn ich eine Sendung im Bayerischen Rundfunk hätte, wären die wahrscheinlich beeindruckt. Aber 200.000 Leute im Internet – damit können sie nichts anfangen", erzählt er.
Pelka: Kirche verschenkt Potential
"Die Kirche verschenkt unheimlich Potential, wenn sie es nicht schafft, ihre Ressourcen in Szene zu setzen", ist er sich sicher. Während viele meinten, dass es sich nicht lohne, die Schönheit in den Pfarrgemeinden zu präsentieren, ist Pelka vom Gegenteil überzeugt: "Gerade die Fremdheit und die damit verbundene inhaltliche Offenheit und Anschlussfähigkeit religiöser Symbole würde es ermöglichen, Menschen neu zu erreichen." Stattdessen habe man sich an vielen Orten aber wohl entschieden, den Niedergang zu verwalten, fügt er lakonisch hinzu. Er schaffe es tagtäglich, durch die Kirchenkunst tausende Menschen zu berühren. Dazu gehöre auch die Interaktion mit seinen Followern, für ihn fast eine Art Seelsorge. "Ich nehme meine Leute ernst, antworte auf ihre Fragen und begleite sie." Sein Account sei manchmal "so eine Art Online-Beichtstuhl".
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Auch fernab des Community-Managements nimmt Pelka für sein Hobby einiges in Kauf. Am Vortag ging es noch vor Sonnenaufgang von München in die bayerische Provinz. "Ich muss oft raus aus der Stadt", sagt er. Der Zweite Weltkrieg habe viele barocke Schätze in den Städten zerstört, aber auf dem Land gebe es noch einige "Hidden Gems". Damit meint Pelka Barockbauten, die in der Netzgemeinde noch unbekannt sind. Sein Ehrgeiz: Orte aufzuspüren, an denen noch kein anderer Kulturblogger war und sie als erstes zu posten. "Einen unbekannten Ort bekannt zu machen, ist dann schon so ein bisschen mein Kick", gibt er zu. Wenn er dann ein paar Tage und Wochen später sieht, dass Nutzer aus seiner Community diesen Ort posten, merkt er, welche Wirkung seine Arbeit hat – und ist ein bisschen stolz.
Baroqueblockbuster auf Instagram
Auf Instagram nimmt Constantin Pelka seine Leserinnen und Leser mit in die Welt des Barock.