Seelsorge in luftiger Höhe: Die "Beichtgondel" von Bad Ischl
"Für Sie habe ich extra einen Anzug angezogen", begrüßt Pfarrer Christian Öhler die kleine Runde. Sonst trägt er eine Wanderhose, wenn er auf den Berg geht. Am Revers seines graugemusterten Anzugs blitzt ein Priesterkreuz. Seit 13 Jahren ist Öhler leitender Pfarrer und Dechant in der oberösterreichischen Kurstadt Bad Ischl, die zur Diözese Linz gehört.
Wir treffen uns bei der Talstation der Seilbahn "Katrin". Von dort fahren 40 Viersitzer-Gondeln auf den Gipfel des Ischler Hausberges. "Das ist die schönste Retro-Seilbahn Europas", sagt Öhler. Für Touristen, Kurgäste und Einheimische in Bad Ischl, in dem sich schon im 19. Jahrhundert und bis zum Ende der Monarchie der österreichische Kaiser und seine Frau Sisi erholten, eine willkommene Gelegenheit, dem Alltag für kurze Zeit zu entfliehen.
Die meisten Gondeln, die da hochschaukeln, sind rot. Mit ein paar Ausnahmen. Das sind "unsere Themengondeln", erklärt Johannes Aldrian. Er ist seit zehn Jahren der Geschäftsführer der Seilbahn und zeigt die "Beichtgondel", die er extra für den Besichtigungstermin vom Seil genommen hat. "Das ist die medienwirksamste", bemerkt er lachend. Die Gondel ist zartrosa gefärbt, wie die Ischler Stadtpfarrkirche auch, bemerkt Öhler. Auf der Gondel steht: "Zeit zum Reden" und "Zeit zum Zuhören". Aber gebeichtet wird hier drinnen nicht", stellt der Pfarrer klar und steigt mit Aldrian in die Gondel ein. Mit einem leichten Ruckeln geht es los. Drinnen ist es beengt, aber gemütlich.
Der Seilbahnchef und der Pfarrer sind seit längerem befreundet. Aldrian ist evangelisch, in der katholischen Pfarrei fühlt er sich beheimatet. Die Idee zu dieser Beichtgondel hatten die beiden gemeinsam, einmal nach einer verregneten Gipfelmesse, erzählen sie nicht ohne Stolz. Seit 2018 fährt die von der Kirchengemeinde finanzierte Gondel täglich den Berg hinauf und hinunter. Sie ist Teil des Seelsorgekonzepts der Pfarrei. Unterschiedliche Seelsorgerinnen und Seelsorger aus dem Dekanat Salzkammergut stehen an unterschiedlichen Orten für Gespräche über Lebensfragen zur Verfügung. Und einer dieser Gesprächsorte ist diese Gondel, erklärt der Pfarrer. Unzählige Male sei er schon damit auf den Berg hinauf.
"Herr Pfarrer, ich brauche drei Runden mit der Gondel"
Aber das Seelsorgekonzept mit der "Beichtgondel" hat leider nicht so gut funktioniert, gibt er zu. Nur wenige hätten das Angebot gezielt in Anspruch genommen. Er erinnert sich, dass einmal ein Fahrgast seine Ehefrau zum Hochzeitsjubiläum mit so einer Gondelfahrt inklusive Pfarrer überrascht hat. Die meisten Fahrgäste hätten sich aber über die "Beichtgondel" amüsiert. Da gab es schon Sprüche wie "Herr Pfarrer, ich brauche schon drei Runden, bis ich alle Sünden aufgezählt habe". Gebeichtet hätte in der Gondel niemand, es sind eher Gespräche, die auch einen ernsten Kern enthalten. Wer etwas Schweres am Herzen trägt, der komme ohnehin zur Aussprache in die Kirche, meint Öhler.
Die Gondel ist mehr eine Einladung zu einem Gespräch in luftiger Höhe. Schwindelfrei sollte man auch sein. Themengondeln schaukeln vorbei. Ein Eisladen und ein Dekoladen werden darauf beworben. Es ruckelt am Seil. "Immerhin fahren die Gondeln nah am Boden", beruhigt Aldrian. Modernisieren will er die Seilbahn nicht. "Es ist eine Retro-Seilbahn. Die Leute mögen sie so", erklärt er. Anfangs waren die Scheiben der Beichtgondel noch mit einer Folie beklebt. Damit sie aussehen wie ein Kirchenfenster, erklärt er. Doch den Fahrgästen wurde bei der Gondelfahrt übel, weil die Folie die Sicht versperrte. Daher wurde die Folie wieder entfernt. "So lernt man", stellt der Pfarrer nüchtern fest.
15 Minuten braucht die Gondel nach oben. "Das ist eine gute Zeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen und Sorgen loszuwerden", findet Aldrian. Er selbst habe einmal die heilsame Wirkung eines guten Gesprächs erlebt. Als Student litt er zeitweilig unter einer Art Perspektivlosigkeit, erinnert er sich. Damals habe ihm das Gespräch mit einer evangelischen Pfarrerin sehr geholfen, wieder Kraft zu finden und durchzuatmen. Er öffnet die kleine Luke der Gondel. Die Umgebung ist berauschend schön. Nur noch wenige Höhenmeter bis zum Gipfel.
Jetzt fällt das Thema sexueller Missbrauch. Die Amtskirche stelle sich dem Zusammenhang von Macht und Sexualität in der Kirche noch immer nicht ehrlich und radikal genug, beschwert sich der Pfarrer. Er kenne keinen Fall persönlich, Gott sei Dank, denn das habe schreckliches Unheil über betroffene Menschen gebracht. Und es sei auch eine Anfrage an die kirchliche Sexualmoral. Bei der Idee zu dieser "Beichtgondel" sei er sich darüber bewusst gewesen, dass ein isolierter, abgeschlossener Gesprächsort auch Unbehagen bei manchen Fahrgästen auslösen könnte. Letztlich sei die Gondel ein Angebot zur Versöhnung, meint er. Viele schleppen einen großen Ballast mit sich herum. Sich freireden zu können, auch in so einer Gondel, sei wichtig und gesund, schaltet sich Aldrian ein. Er sei keiner, "der sich in der Kirche einsperrt", sagt der Pfarrer. "Ich gehe auf den Marktplatz, ich bin in der Stadt unterwegs und auch in den Bergen, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen."
"Auf dem Berg kann man alles loswerden, was einen im Tal drückt"
Die Gondel fährt in der Bergstation ein. Ein paar Wolken trüben die Aussicht. Es gibt eine Erfrischung in der Almwirtschaft. "Auf dem Berg kann man alles loswerden, was einen im Tal drückt", meint der Seilbahnchef. Es ist still da oben. Immer wieder kommen neue Bergtouristen an. Der Pfarrer grüßt freundlich. "Mich kennen da eh alle", freut er sich. Talar oder Kollar trägt Öhler selten.
Eine Kapelle gibt es hier oben nicht, aber einen Altar. Der wird für die Gipfelmessen gebraucht. "Solange wir in der Kirche unten noch voll sind", schmunzelt der Pfarrer und erzählt, dass an den vier Sonntagsmessen in der Stadtpfarrkirche St. Nikolaus bis zu 500 Gläubige mitfeiern. Seit Jahren engagiert sich Öhler in der österreichischen Pfarrerinitiative. In der kirchlichen Reformbewegung, der etwa 400 katholische Priester und Diakone aus Österreich angehören, wird auch um die Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester und die Zulassung von Frauen zu Weiheämtern geworben. Er sei auch solidarisch mit Kollegen, die trotz einer Beziehung weiterhin ihren Dienst als Priester ausüben, erklärt der Pfarrer und grüßt Vorbeigehende. Ob er sich Gott da oben am Gipfel näher fühle? Für ihn ist Gott wie Beziehung, wie ein Gespräch mit einem großem Du, sinniert er. "Bei über 1.000 Metern Seehöhe duzen sich hier sowieso alle", ergänzt Aldrian und verabschiedet sich, weil er noch etwas zu erledigen hat.
Mit der rosa Gondel geht es wieder zurück ins Tal. Im nächsten Jahr wird Bad Ischl europäische Kulturhauptstadt sein. Die katholische Pfarrei hat dazu einiges geplant wie etwa die Kunstinstallation "Großer Weltraumweg" in den Bergen, die die Pastoralassistentin aus dem Team vorbereitet, berichtet der Pfarrer. Ihm liege die alte Kirchenorgel am Herzen, die er bis dahin auch frisch renovieren lassen möchte. Den Klang dieser Orgel habe schon der Kaiser damals genossen, meint er. Aber jetzt gehe es erst einmal in den Urlaub, er verabschiedet sich und winkt ein herzliches "Pfiat Gott". Die Beichtgondel fährt wieder den Berg hinauf.