Kirche und Priesterschaft seien gelähmt

Pfarrer: In Großpfarreien verheizen sich Priester schnell

Veröffentlicht am 31.07.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Neunkirchen ‐ Wie sollen Priester wohnen, wie eine Pfarrei mit mehreren zehntausend Gläubigen leiten? Der Vorsitzende der Trierer Priestervertretung "Plattform P", Clemens Kiefer, spricht im katholisch.de-Interview über eine Lähmung der Kirche.

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Seit zehn Jahren gibt es mit der "Plattform P" im Bistum Trier eine Berufsvertretung für Priester. In diesem Zusammenschluss der Geistlichen zeigen sich Entwicklungen und gesamtkirchliche Fragen. Im Interview spricht der Vorsitzende, Pfarrer Clemenskiefer aus dem saarländischen Neunkirchen, über alte und neue Herausforderungen und die Lähmung der Kirche.

Frage: Die Plattform P gibt es jetzt seit zehn Jahren. Wie ist die Idee dazu damals entstanden?

Kiefer: Es gab damals eine für alle Priester im Bistum Trier verpflichtende Fortbildung. Dabei haben wir als Priester gemerkt, dass wir uns stärker vernetzen wollen. Gleichzeitig begann damals auch die Bistumssynode und es gab eine Aufbruchstimmung. Es ist viel geredet und diskutiert worden, es gab Gesprächsbedarf. Das hat die Gründung befördert. Jetzt sind wir ein loser Verbund von etwas mehr als 100 Priestern. Einmal im Jahr treffen wir uns zur Vollversammlung und veranstalten dazu einen Workshop. Wir machen aber auch Umfragen unter unseren Mitgliedern und bringen dieses Stimmungsbild im Bistum ein.

Frage: Um welche Themen geht es da?

Kiefer: Bei unserer letzten Vollversammlung im Juni haben wir etwa mit dem Münsteraner Bischof Felix Genn über das Priesterpapier des Synodalen Wegs gesprochen. Bei einer Umfrage haben wir nach dem priesterlichen Wohnen gefragt. Es kam dabei heraus, dass zwei Drittel der Priester im Pfarrhaus wohnen wollten, der Rest woanders. Deshalb hält das Bistum mittlerweile nur noch ein paar Häuser vor und nur der jeweilige Pfarrer muss dort wohnen, die anderen Priester dürfen selbst entscheiden. Es geht aber auch darum, wer uns in Konfliktfällen mit dem Bischof vertritt oder dass es Ansprechpartner etwa bei psychischen Problemen gibt. Burnout und Einsamkeit sind ja bekannte Priesterphänomene.

Frage: Viele Priester klagen über Einsamkeit. Welchen Nutzen hat da die Vernetzung?

Kiefer: Ich spüre ganz persönlich die Möglichkeit zum Austausch als Vorteil. So haben wir uns während der Corona-Lockdowns digital getroffen und über Erfahrungen bei Online-Gottesdiensten und Möglichkeiten der Pastoral gesprochen. Das hat sehr geholfen.

Bild: ©Privat/Adobe-Stock/artrachen Montage: katholisch.de

Clemens Kiefer ist Pfarrer im saarländischen Neunkirchen.

Frage: Haben sich die Themen in den vergangenen zehn Jahren geändert?

Kiefer: Das nicht, aber es ist eine Lähmung eingetreten. Die Pfarreireform, die nach der Trierer Bistumssynode aufgesetzt wurde, ist von Rom gestoppt worden. Gleiches gilt für viele Beschlüsse des Synodalen Wegs. Wo früher Aufbruchstimmung herrschte, gibt es die heute nicht mehr. Man merkt auch unter den Priestern, dass es eine Grüppchenbildung gibt. Konservative, Progressive, Gegner und Befürworter des Synodalen Weges. Es ist eine große Herausforderung, das aufzufangen, da müssen wir uns auch neue Konzepte überlegen. Wie kann man gemeinsam arbeiten? Wie kann man gemeinsame Themen voranbringen, die uns alle angehen? Eine bleibende Aufgabe ist die Sorge um die Arbeitszufriedenheit, die Beziehung zum Bischof und dem Generalvikariat. Das sind die Fragen, die uns derzeit beschäftigen und wo wir ein Motor sein wollen. Da sind wir im Bistum unabhängig von Arbeitspapieren oder Treffen mittlerweile ein bedeutender Akteur.

Frage: Wie gut klappt es denn, Priester verschiedener Couleur ins Gespräch zu bringen?

Kiefer: Das ist eine bleibende Herausforderung. Wir können nur Angebote machen, ob die auch angenommen werden, darauf haben wir keinen Einfluss. Da gibt es auch durchaus Versuche für neue Themen, neue Formate, für die sich dann aber keiner interessiert. Es ist manchmal wirklich schwer. Ich finde es auch schade, dass die verschiedenen Gruppen so unbeweglich sind. Aber das gilt von der Bischofskonferenz bis hinunter in jede Pfarrei.

Frage: Auch im Hinblick auf die von Ihnen beschriebene Lähmung?

Kiefer: Die lässt sich in der ganzen Kirche feststellen. Ich hoffe immer noch auf eine neue Aufbruchstimmung hier bei uns. Aber Vieles, was angestoßen wurde, hat der Vatikan gestoppt. Weil er meint, in jede Ortskirche hineinregieren zu müssen. Aber das halte ich nicht für einen sinnvollen Weg. Jede Ortskirche sollte schauen, was für die Gläubigen vor Ort wichtig ist. Das muss ich als Pfarrer oder Dekan in meinem Pastoralen Raum auch: Schauen, was an jedem Ort die Bedürfnisse sind und wie man mit den jeweiligen Gegebenheiten gut arbeiten kann. Das wird vor allem in Zeiten wichtig, in denen die Pfarreien immer größer werden. Als Priester werden wir dabei immer mehr verheizt. Viele überlegen schon, ob sie in den Ruhestand gehen oder ziehen sich völlig zurück. Dieser Effekt wird sich verschlimmern, wenn wir in zehn Jahren Pfarreien mit 40.000 oder 50.000 Gläubigen haben. Wer solche Gebilde gut leiten will, verheizt sich schnell.

„Die Leitung einer Pfarrei muss ganz neu gedacht werden, denn mehr Priester werden es ja nicht.“

—  Zitat: Clemens Kiefer

Frage: Was muss passieren?

Kiefer: Es muss neue Führungsstile geben, darüber wird ja schon diskutiert. Die Leitung einer Pfarrei muss ganz neu gedacht werden, denn mehr Priester werden es ja nicht. Und wenn ein Bischof die vorhandenen Geistlichen einfach nur verheizt, hat daran auch niemand Freude. Dann wollen junge Männer noch viel weniger Priester werden als sowieso schon. Ich bin jetzt 60. Als ich Priester wurde, war klar, dass man in einer Pfarrei mit 3.000 Gläubigen arbeitet und nicht mit mehr als dem Zehnfachen. Da müssen wir uns auch als Priester überlegen, wie das funktionieren kann. Welche der existierenden Leitungsmodelle wir ausprobieren wollen. Wir brauchen in Zukunft einen größeren Fokus auf die Berufszufriedenheit. Sonst verlieren wir unsere Priester.

Frage: Merken Sie das auch in der Arbeit für die Plattform P?

Kiefer: Es ist sehr schwer, die Jungen dafür zu begeistern. Unsere Mails kriegen zwar viele Priester, aber die Aktiven bei uns sind etwa in meinem Alter. Die Jungen vernetzen sich anders. Ich höre, dass sich einige Kapläne untereinander vernetzen. Die haben dann nicht so viel Lust, zu uns Älteren zu kommen, da gibt es einfach eine Generationenlücke. Das kann ich verstehen, es ist aber trotzdem schade. Denn die Perspektive von jungen Priestern brauchen wir. Das gleiche gilt für die ausländischen Kollegen, in Trier vor allem aus Indien. Die bleiben leider auch eher außen vor.

Frage: Haben Sie Hoffnung, dass sich das ändert?

Kiefer: Vielleicht brauchen die jungen Kollegen einfach noch etwas Zeit, bis sie merken, dass es gut ist, sich zu vernetzen. Diese Vernetzung hilft nicht nur der Priesterschaft als solcher, sondern auch dem Individuum. Aber diese Frage, ob man sich auch auf Bistumsebene engagieren möchte, muss sich jeder selbst stellen. Ich werfe es niemandem vor, wenn er bei uns nicht mitmachen will. Eingeladen sind aber immer alle.

Von Christoph Paul Hartmann