Hochschulwochen-Leiter: Müssen in der Theologie auch mal hinfallen
Und, darf es noch etwas weniger sein? Auf den Salzburger Hochschulwochen dreht sich in dieser Woche alles um das Thema Reduktion. Im Interview spricht der Obmann der nach eigenen Angaben ältesten Sommeruniversität Europas, der Theologe Martin Dürnberger, darüber, warum im Weniger auch Chancen liegen können, wo er große gesellschaftliche Herausforderungen sieht – und warum Kirche und Theologie sich ihr Schrumpfen nicht schönreden dürfen, sondern es Lösungen gegen die Resignation braucht.
Frage: Herr Professor Dürnberger, seit Montag beschäftigt die Salzburger Hochschulwochen die Frage "Warum wir mehr Weniger brauchen". Aber wollen wir nicht eigentlich alle lieber mehr als weniger?
Dürnberger: Ja. Wir Menschen sind unglaublich gut darin, Geschichten von Wachstum, Fortschritt und Innovation zu erzählen. Doch der Gedanke, dass Wachstum Grenzen hat, rückt immer näher. Wir müssen zum Beispiel den Wasserverbrauch reduzieren, den CO2-Austoß, den Fleischkonsum. Das irritiert unsere Gesellschaft, aber auch die Kirchen und uns ganz individuell.
Frage: Der Soziologe Andreas Reckwitz hat jüngst in einem Interview mit dem "Stern" betont, dass liberale Demokratien angesichts der Krisen unserer Zeit lernen müssen, mit Verlusten umzugehen.
Dürnberger: In der Soziologie gibt es das Bild von modernen Gesellschaften als Fahrrad – wenn es nach vorne geht, sind sie stabil und dynamisch. Wenn die Fahrt langsamer wird oder gar Stillstand droht, fangen sie an zu wackeln. Und genau dieses Wackeln steht aktuell im Raum. Die Frage ist, wie wir damit umgehen.
Frage: Haben Sie darauf eine Antwort?
Dürnberger: Offen gesagt: Nein. Ich denke, dass der Umgang mit Reduktion auf individueller Ebene gut funktionieren kann. Die Idee eines minimalistischen Lebensstils liegt durchaus im Trend, das kann für einen selbst ideal sein. Aber wenn Menschen das Gefühl haben, das sei plötzlich eine neue Maxime, die ihnen von außen aufgenötigt wird, dann kommt es zu Konflikten. Da stehen riesige Transformationen an. Die große Frage wird sein, ob und wie wir die verbreitete Überzeugung ändern können, dass Reduktion immer primär die Einschränkung meiner Freiheit bedeuten muss.
„Es war auch früher nicht alles so gut, heiter und groß, wie man sich das mitunter vorgestellt hat.“
Frage: Reckwitz sagt, dass moderne Gesellschaften eine neue große Erzählung brauchen, weil das Versprechen, dass es immer weiter nach vorne geht, nicht mehr einzuhalten ist. Wie könnte diese Erzählung aussehen?
Dürnberger: Vielleicht braucht es viele kleine Erzählungen und Beispiele, wo und wie Reduktion einen Zuwachs an Freiheit bedeuten kann. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir Räume brauchen, in denen wir gemeinsam genau darüber diskutieren. Deswegen wollen wir auf den Hochschulwochen ein kleines Labor sein, in dem wir Dinge ansprechen und ausprobieren können, ohne gleich Lösungen parat zu haben. Vielleicht liegen im Weniger ja auch Chancen, die wir bisher nicht sehen.
Frage: Wie meinen Sie das?
Dürnberger: Aus dem Hamsterrad des Höher, Schneller, Weiter zu entkommen, kann zum Beispiel zur Folge haben, dass wir mehr auf die Work-Life-Balance schauen. Dass wir mehr darauf achten, dass unser Leben nicht nur durchgetaktet ist, sondern Freiräume hat. Auch weniger Konsum oder weniger Zeit in sozialen Medien empfinden viele als echtes Mehr an Freiheit.
Frage: Werfen wir einen Blick auf die Kirchen! Die Zeit der großen Volkskirchen ist vorbei, die Austrittszahlen steigen rasant. Mit welchen Verlusten müssen die Kirchen umgehen lernen?
Dürnberger: Sie verlieren zum einen das Bild einer heilen Vergangenheit. Das machen etwa die Missbrauchsskandale klar. Es war auch früher nicht alles so gut, heiter und groß, wie man sich das mitunter vorgestellt hat. Die Kirchen verlieren zum anderen aber auch die Zuversicht, dass es schon irgendwie gut weitergehen wird. Wenn wir uns nur genügend einsetzen, ausreichend kluge, smarte Pastoralpläne machen, dann wird das schon wieder. Auch diese Logik wird brüchig.
Frage: Können Sie dem als Theologe etwas entgegensetzen?
Dürnberger: Ich habe leider kein Patentrezept – ich habe nicht mal eine steile These. Die Frage ist: Wie können wir das Kleinerwerden gestalten, ohne im Glauben und Denken enger zu werden oder gar zu resignieren? Wenn ich ins Fitnessstudio gehe, heißt es: Hard work pays off. Wenn ich mich nur genügend anstrenge, kommen die Muskeln. Menschen im kirchlichen Dienst machen die gegenteilige Erfahrung. Selbst die beste Arbeit hat dort nicht immer einen positiven Effekt.
Frage: Das klingt nicht nach sonnigen Aussichten. Wie kann es weitergehen?
Dürnberger: Lösungen können nur dort entstehen, wo wir Prozesse des Nachdenkens und Ausprobierens anstoßen. Auf den Hochschulwochen machen wir zum Beispiel ein Laboratorium zur Liturgie. Wie kann die aussehen, wenn schlicht kein Priester mehr da ist? Welche Bedürfnisse haben die Menschen vor Ort? Welche Rituale und welche Kompetenzen braucht es? Wir werden künftig viele Dinge aus der Not heraus ausprobieren müssen. Nicht alle werden funktionieren, manche aber schon. Ich selbst halte mich an Ignatius von Loyola: In Ruhe das tun, was ich kann – den Rest habe ich ohnehin nicht in der Hand.
Frage: Eine weitere düstere Prognose bringt der Blick auf die akademische Theologie mit sich: stark sinkende Studierendenzahlen, zu wenig Qualifikationsarbeiten. Das wirkt schon fast apokalyptisch.
Dürnberger: Auch hier gilt: Es bringt nichts, sich Dinge schönzureden. Ich habe manchmal den Eindruck, man jongliert mit Studierendenzahlen, um zu sagen: Ach, so schlimm ist es doch gar nicht.
Frage: Bedeutet das auch das Ende der Theologie mit ihrem großen Fächerkanon?
Dürnberger: Die Fachtheologie ist der Goldstandard und die müssen wir auch erhalten. Aber zugleich müssen wir viel mehr zu anderen Disziplinen schauen. An der Salzburger Fakultät haben wir zum Beispiel einen neuen Bachelorstudiengang. Dort geht es darum, theologische Inhalte mit Betriebswirtschaftslehre und Kommunikationswissenschaften zu verbinden. Das zieht andere Leute an als die klassische Theologie. Die können dann vielleicht kein Hebräisch und Griechisch mehr, lernen aber, wie sie Religion auf Instagram kommunizieren. In der akademischen Theologie müssen wir viel mehr ausprobieren, auch mal hinfallen, aufstehen und dann wieder ausprobieren.
Frage: Die Salzburger Hochschulwochen wurden 1931 in politisch turbulenten Zeiten ins Leben gerufen. Sehen Sie heute Parallelen zur damaligen Gründung?
Dürnberger: 1810 wurde die Salzburger Universität von den Bayern aufgehoben. Die Hochschulwochen sollten der Auftakt für eine neue Universität sein. Damals wie heute sind Gründung und Erhalt einer Uni ein Großprojekt. Ich muss plausibel machen, warum es sie braucht. Ich muss exzellente Wissenschaft betreiben, die ich dann aber auch exzellent kommuniziere – nicht nur für eine kleine Elite, sondern in die Breite hinein. Das bewegt uns auch heute noch. Deswegen sind wir keine Fachtagung, sondern betreiben Wissenschaftskommunikation.
Frage: Sie sind seit acht Jahren Obmann, also Leiter der Hochschulwochen. Was ist ihr persönlicher Gewinn, den sie aus dieser Aufgabe ziehen?
Dürnberger: Die Kommunikation nach außen. Während der Doktorarbeit orientiert man sich stark am Fachdiskurs. Das ist wichtig, keine Frage. Allerdings nimmt man da oft nicht mehr wahr, ob die eigene Forschung außerhalb des eigenen Büros verstanden wird. Aber an der Uni geht es eben darum, nicht nur gute Argumente zu entwickeln, sondern sie auch nach außen zu tragen.