Pfarrer: Sehe mich nicht als Bestimmer, sondern als Seelsorger
André Lemmer ist Pfarrer und leitet seit einem Jahr die Kirchengemeinde Sankt Elisabeth in Kassel, das zum Bistum Fulda gehört. Für den Seelsoger ist das gemeinsame Essen auch eine Begegnung mit Gott. Wenn der 40-Jährige kocht oder Wurst herstellt, lädt er dazu gerne Gäste ein. Im Interview mit katholisch.de spricht Lemmer über seinen Weg zum Priesterberuf und seine Kochleidenschaft.
Frage: Herr Pfarrer Lemmer, Sie sind erst mit 36 Jahren zum Priester geweiht worden. Man könnte sagen spät?
Lemmer: Eigentlich verspürte ich schon als Jugendlicher, also mit 16 Jahren, dass ich Priester werden will. Aber meine Eltern meinten damals, dass es doch gut wäre, diese Entscheidung später zu treffen. Diesen Rat habe ich gerne angenommen. Ich war schon immer naturwissenschaftlich interessiert, daher habe ich Biologielaborant gelernt. Der Beruf machte mir Spass, es passte so vieles. Ich wusste aber innerlich, dass ich eigentlich etwas ganz anderes wollte. Dann habe ich den Schritt gewagt und habe, nach einer Zeit in der Forschung- und Entwicklungsabteilung eines Pharmaunternehmens, mein Abitur nachgeholt und mit dem Theologiestudium angefangen. Dieser Weg fühlte sich mit jedem Schritt richtiger und richtiger an. Dabei war ich mir auch der bedingungslosen Unterstützung meiner Eltern und Familie sicher. Ich bin außerdem meiner Mutter besonders dankbar dafür, dass sie mich mit ihrer Kochleidenschaft angesteckt hat.
Frage: Sie kochen gerne? Was denn zum Beispiel?
Lemmer: Ich koche meist ein 3-Gänge-Menü, das aus Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch besteht. Da gibt es dann schon mal ein Entrecôte mit Rosmarinkartoffel, davor eine schöne Vorspeise, Antipasti oder eine Suppe und als Nachtisch zum Beispiel Obst. Ich backe auch gern mein Brot selbst und stelle selbst Wurst her. Das Zubereiten der Speisen ist für mich wie eine Meditation und eine Zeit zum Entspannen.
Frage: Sie machen selbst Wurst?
Lemmer: Ja, ich mache selbst Leberwurst, Rohwurst, Bratwurst, Sülze oder auch mal eine besondere Form der Dauerwurst, die hier in Kassel "Ahle Wurst" oder "Stracke" heißt. Ich esse aber auch gerne Fisch und gehe öfters mal angeln.
Frage: Sollte man sich der Bibel nach nicht eher vegetarisch ernähren?
Lemmer: Nein, da bin ich nicht so streng mit mir. (Lacht.) Der liebe Gott hätte das Fleisch nicht so lecker machen dürfen. Ich esse Fleisch, aber sehr bewusst und achte auch auf Regionalität und Tierwohl. Das Fleisch für die selbstgemachte Wurst kaufe ich auch beim Metzger in der Nähe bei einem Bauernhof. Das ist mir wichtig, dass das Fleisch hochwertig ist und die Tiere artgerecht gehalten werden.
Frage: Finden es die Menschen in Ihrer Kirchengemeinde gut, dass Sie so gut kochen können?
Lemmer: Ja, ich denke schon. Wir essen im Team gerne zusammen, jeder trägt mal etwas dazu bei. Ich finde diese gemeinsamen Essenpausen sehr angenehm. Wir tauschen uns dabei aus, haben eine gute Zeit zusammen. Auch für das Ehrenamtsfest der Gemeinde habe ich die Bratwürstchen selbst gemacht, fast 200 Stück. Die Gemeindemitglieder haben sich sehr darüber gefreut. Und wenn ich mit unserer Jugendgruppe jeden Sonntag nach der Messe zusammen bin, frühstücken wir erst einmal miteinander, bevor wir uns besprechen. Auch Jesus hat mit seinen Freundinnen und Freunden gerne zusammen Mahl gehalten. Ich finde, dass das Miteinander Essen meist eine konfliktfreie Art des Zusammenseins ist, es stillt den Hunger, auch nach Gemeinschaft.
Frage: Ist das gemeinsame Kochen und Essen mit anderen auch eine Reaktion auf das einsame Leben im Pfarrhaus?
Lemmer: Es hat auch Vorteile, dass ich erst spät in meinem Leben Priester geworden bin. So bin ich nicht direkt vom "Hotel Mama" im "Hotel Priesterseminar" gelandet. Ich habe also gelernt, mich selbst zu versorgen, meinen eigenen Haushalt zu führen und auch für mich selbst zu kochen. Momentan wohne ich nicht im Pfarrhaus, sondern in einer Mietwohnung außerhalb des Gemeindegebietes. Ins bisherige Pfarrhaus St. Bonifatius sind drei Ordensschwestern eingezogen, worüber ich sehr dankbar bin. Daher habe ich mir eine Wohnung gesucht. Es ist zwar nur eine Übergangslösung für mich. An meiner vorigen Stelle hatte ich mit dem dortigen Pfarrer zusammen eine WG im Pfarrhaus, also eine "vita communis". Da war immer was los bei uns, weil die Tür zum Haus immer offen stand. Das kann schön, aber auch anstrengend sein. Ich genieße es daher heute sehr, auch stille Zeiten für mich und das Gebet zu haben.
„Ich hatte früher auch eine Freundin. Ich sehe es aber so, dass ich wirklich frei sein kann, um für andere ganz da zu sein und ganz bei Gott zu sein. Auch die Menschen in der Kirchengemeinde sind für mich zu einer Familie geworden.“
Frage: War es schwer für Sie, sich für ein Leben als Priester mit Zölibat zu entscheiden?
Lemmer: Anfangs habe ich damit gerungen. Ich hatte früher auch eine Freundin. Als ich begonnen habe, Theologie zu studieren, habe ich überlegt, ob das der richtige Weg für mich ist. Ich sehe es aber so, dass ich wirklich frei sein kann, um für andere da zu sein und ganz bei Gott zu sein. Auch die Menschen in der Kirchengemeinde Sankt Elisabeth sind für mich zu einer Familie geworden. Außerdem habe ich vier Geschwister und viele Neffen und Nichten. Diese große Familie ist für mich ein wichtiges Netz, das mich auffängt, genauso wie ehrliche Freundschaften. Meine Eltern sind beide schon verstorben. Mein Vater starb am Anfang meines Studiums und meine Mutter kurz vor meiner Priesterweihe. Das war schlimm für mich. Ich war froh, dass mir damals viele Menschen beigestanden sind. Hier habe ich erlebt, wie wichtig es ist, eine Gemeinschaft zu haben, die einen trägt.
Frage: Was hat Ihnen damals Kraft gegeben?
Lemmer: Ich habe mich damals von vielen Menschen und vor allem von Gott getragen gefühlt. Diese Beziehung stärkt und tröstet mich sehr. Und die Liebe meiner Eltern bleibt.
Frage: Haben Sie das Gefühl, als Pfarrer nun endlich angekommen zu sein?
Lemmer: Ja, ich bin angekommen. Wir sind in der Pfarrei ein größeres Team. Wir sind drei Priester, ein Diakon, eine Gemeindereferentin, eine Pastoralreferentin sowie zwei Pfarramtssekretärinnen für fast 7.000 Katholiken. Auf dem Gebiet meiner Pfarrei leben insgesamt elf Ordensschwestern, die in Schule, Seniorenheim, Krankenhaus und in der Seelsorge aktiv sind. Das macht mich sehr dankbar. Ich feiere sonntags zwei Messen, habe aber noch Kapazitäten frei, weil wir drei Priester im Team sind. Es ist bei uns alles Teamarbeit, gemeinsam mit den Gremien und Gemeindemitgliedern, denn die Menschen in unserer Pfarrei unterstützen mich durch ihr Ehrenamt. Die Leitung der Pfarrei Sankt Elisabeth Kassel mit ihren spannenden Herausforderungen würde ich ohne all diese Menschen tatsächlich nicht bewältigen können. Das macht mich nicht nur dankbar, sondern auch demütig. Ich sehe mich in meiner Funktion als Leitender Pfarrer nicht als Bestimmer, sondern als Seelsorger. Ich will einfach für die Leute da sein, so wie ich es mir schon als Jugendlicher erträumt habe.