Ordensfrau: Sehe mich nicht als Braut Christi
"Dass ich in genau dieses Kloster möchte, das war klar für mich, doch zuerst musste ich mich innerlich sortieren", erklärt Schwester Evamaria Eisele am Telefon. Die 36-jährige Ordensfrau hat im Juli ihre Erstprofess im Franziskanerinnenkloster in Reute abgelegt. Mit diesem Versprechen bindet sie sich für drei Jahren an die Gemeinschaft. Auf den Fotos von der Feier strahlt die Franziskanerin. "Ich bin einfach happy", sagt sie. Auch wenn der Weg dahin nicht einfach für sie war.
Sonja Eisele, so hieß die Ordensfrau vor ihrem Eintritt ins Kloster, wird im schwäbischen Bad Saulgau geboren. Ein kleiner Ort, der in der Diözese Rottenburg-Stuttgart liegt. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester verbringt sie dort ihre Kindheit. Die Familie ist katholisch sozialisiert. Der Gottesdienstbesuch am Sonntag gehörte für sie wie selbstverständlich dazu, genauso wie der Dienst als Ministrantin am Altar. Als sie acht Jahre alt ist, trennen sich ihre Eltern. Für Eisele bricht innerlich eine Welt zusammen. "Das war ein unglaublicher Schmerz", sagt die Ordensfrau im Rückblick. "Auf einmal war ich ein Scheidungskind". Doch ihr Glaube und ihre Großmutter geben ihr Halt. 2007 legt sie das Abitur ab und beginnt eine Ausbildung zur Europasekretärin, also einer Sekretärin mit unterschiedlichen Fremdsprachenkenntnissen.
"Geh doch mal in ein Kloster und spann dich aus"
Später arbeitet Eisele in einem Pharmazieunternehmen als Übersetzerin. Immer wieder fühlt sie sich wie in einem Hamsterrad, beschreibt sie ihr damaliges Leben. Ihre Großmutter gibt ihr einen entscheidenden Tipp: "Geh doch mal in ein Kloster und spann dich aus." Das macht die erst 20-Jährige dann auch und geht für eine Woche in ein Kloster in der Nähe ihres Wohnortes. Es ist das Kloster der Franziskanerinnen in Reute.
Dort in der Gemeinschaft erlebt sie eine besondere Form von Regelmäßigkeit und Struktur im Alltag, die ihr wohltut. Sie hilft beispielsweise beim Putzen und genießt die täglichen Gebetszeiten und Gottesdienste. Vom Leistungsdenken keine Spur mehr. "Ich hatte wieder Boden unter den Füßen", blickt die 36-Jährige zurück. 2008 stirbt überraschend ihre Großmutter. "Meine innere Welt kam dadurch komplett durcheinander", sagt Eisele im Rückblick. Damals versucht sie im Kloster Halt zu finden und wird dort Kandidatin. Doch diese erste Kandidatur wird in beiderseitigem Einverständnis abgebrochen. Zu sehr sei sie noch mit den eigenen familiären Themen belastet, hieß es damals. "Ich musste erst noch die Baustellen in meinem Leben in Ordnung bringen", sagt Eisele, "um gemeinschaftsfähig zu sein und nicht die Mitschwestern mit meinen Themen zu belagern".
Eisele steigt wieder in den Beruf ein, startet eine Therapie und führt ein selbständiges Leben mit eigener Wohnung, eigenem Auto und Hobbies. Trotzdem fehlt ihr irgendetwas. Bei der Hochzeit einer Freundin spürt sie es deutlich. "Ich saß bei der Trauung und hörte das Eheversprechen. Auf einmal wusste ich, mein Leben ist woanders." Sie entscheidet sich für ein Leben im Kloster, ziemlich genau sieben Jahre nach ihrem Weggang. "Ich bin zur Oberin und habe ihr gesagt: Jetzt bin ich da." An diesen Entschluss damals denkt sie heute noch gerne. "Ich wollte meine Liebe zu Gott gemeinsam mit diesen Schwestern leben", erklärt sie.
Eisele beginnt erneut ihre Kandidatur und dann das Postulat im Kloster und zieht in eine Art klösterliche Wohngemeinschaft in einen Konvent nach Ulm. Die Zeit dort genießt sie und erlebt gleichzeitig das Ringen einer der Ordensfrauen um ihre Berufung mit. Als diese Mitschwester schließlich aus der Gemeinschaft austritt und den Orden verlässt, spürt Eisele, dass die franziskanische Verbundenheit stärker ist als eine Lebensentscheidung. "Bis heute sind wir miteinander befreundet", erzählt sie. Sie erlebt auch, dass die ausgetretene Mitschwester die Klostergemeinschaft nicht im Unfrieden verlässt und die Gemeinschaft weiterhin gut mit ihr unterwegs sein kann. So etwas mitzuerleben, stärkt ihren eigenen Weg, sagt sie, auch wenn es eine Herausforderung bleibt.
"Aus Sonja wird nun Schwester Evamaria"
2020 tritt Eisele in die Gemeinschaft der Reuter Franziskanerinnen ein und wird Novizin. Sie trägt nun das Ordenskleid, einen weißen Schleier und ein Taukreuz um den Hals. Und sie nimmt einen neuen Namen an. "Aus Sonja wird nun Schwester Evamaria", lacht die Ordensfrau. Zwar hätte sie gerne ihren Taufnamen behalten, aber weil es schon eine Sonja in der Gemeinschaft gab, und es in ihrer Gemeinschaft die Regel ist, musste sie sich drei mögliche neue Ordensnamen überlegen und einer davon wurde es dann. Ende Juli hat Schwester Evamaria nun ihre Erstprofess abgelegt. "Ich habe versprochen arm, keusch und gehorsam nach dem Evangelium zu leben", erzählt sie. Für sie klinge das nicht verstaubt. Ein Leben in Gehorsam meint kein blindes Befolgen von Regeln, sondern hörend aufmerksam sein für andere und Gott, erklärt Eisele. "Wer Gott ernsthaft liebt, will das auch ohne Hintertürchen". Vor der Professfeier hat sie mit der Generaloberin der Gemeinschaft, Schwester Maria Hanna Löhlein, vereinbart, dass sie sich für das Aussprechen der Formel genügend Zeit nehmen möchte. Sie hat lange innegehalten, weiß sie noch. "Ich habe die Professformel erst gesagt, als ich wirklich ganz bei mir und bei Gott war". Auch in der Kirche sei es dann sehr still gewesen. "Da ist etwas geschehen zwischen Gott und mir", so die Franziskanerin. Und dann habe sie "Ja" gesagt.
Ihr Versprechen, ins Kloster einzutreten, ist für die Gemeinschaft der Franziskanerinnen in Reute wie ein Zeichen der Hoffnung. Die Gemeinschaft besteht seit 175 Jahren. 130 Ordensfrauen gehören derzeit dazu. Die meisten von ihnen sind älter als 75 Jahre. Nur acht Schwestern sind jünger als 50. "Die Meinungen und Lebensvorstellungen gehen oft sehr weit auseinander zwischen den einzelnen Schwestern", erklärt Eisele, dennoch werde offen über alles diskutiert. "Wir jungen gehen viele Kompromisse ein, aber wir werden gehört". Diese Atmosphäre im Haus sei herzlich, bodenständig und ehrlich. Während der Professfeier hat Schwester Evamaria oft an ihre Oma im Himmel gedacht. "Sie hat mich ja auf diesen Weg geschickt", erklärt die Ordensfrau nicht ohne Stolz.
"Ich sehe mich nicht direkt als Braut Christi"
Beim feierlichen Ritus in der Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Peter und Paul in Reute waren neben vielen Mitschwestern und Freunden auch ihr Vater und ihre Schwester, sowie andere Ordensleute dabei. Ihre Mutter ist vor wenigen Jahren verstorben. Auf den Fotos, die Schwester Evamaria Eisele als Neuprofesse zeigen, trägt sie über ihren neuen schwarzen Schleier, einen Blütenkranz auf dem Kopf. "Es wirkt etwas aus der Zeit gefallen", meint sie, "denn ich sehe mich nicht direkt als Braut Christi". Aber der Kranz sei auch ein Symbol für Gerechtigkeit. Diese Erklärung habe ihr gefallen. So gut, dass sie sich, anders als ihre Vorgängerinnen, dazu entschieden hat, diesen Kranz bei der Feier zu tragen. "Ich wünsche mir, dass wir in der Kirche gerechter miteinander umgehen, ich wünsche mir eine Kirche in der alle Menschen Platz finden", sagt sie deutlich. "Dieser Kranz mit den Blumen aus unserem Klostergarten wird mich immer daran erinnern", meint sie.
Demnächst zieht Schwester Evamaria Eisele wieder in den Konvent nach Ulm. Dieses Mal mit drei älteren Mitschwestern. Dort wird sie ein Studium der Sozialen Arbeit beginnen und im Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe "Guter Hirte e. V." in Ulm arbeiten. In fünf Jahren will sie sich lebenslang an die Gemeinschaft binden und ihre Ewige Profess feiern. Dann wird ihr die Generaloberin einen goldenen Ring an den Finger stecken, mit einem schlichten Taukreuz darauf. "Dann würde ich für immer dazugehören", sagt Eisele. Doch bis dahin will sich die 36-jährige Ordensfrau noch prüfen. "Ich habe meinen Freunden gesagt, wenn ich komisch werde, nicht mehr ich selbst bin, sagt es mir bitte." Denn dann müsste sie nochmals überlegen, ob das Leben im Orden wirklich zu ihr passe. Doch bislang ist sie sich sicher: "Es passt."