Caritas: Weniger Geld für Migrationsarbeit stärkt die AfD
Für die Beratung von Migrantinnen und Migranten will die Bundesregierung weniger Geld ausgeben, das kam vor Kurzem an die Öffentlichkeit. Das ist der falsche Weg, findet die Caritas. Steffen Feldmann ist der Vorstand für Finanzen und Internationales beim Deutschen Caritasverband. Im katholisch.de-Interview spricht er über eine in seinen Augen kurzsichtige Politik und gesellschaftliche Herausforderungen in der Zukunft.
Frage: Herr Feldmann, vor Kurzem mache die Meldung von Kürzungen im Sozialbereich die Runde: Unter anderem bei der Migrationsberatung, der unabhängigen Asylverfahrensberatung und den psychosozialen Zentren soll gespart werden, bei Letzteren gehen die Zuschüsse um zwei Drittel zurück. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Feldmann: Der Haushaltsplan 2024 sieht enorme Kürzungen für die gesamte freie Wohlfahrtspflege vor, auch in vielen anderen Bereichen. In Sachen Migrationsarbeit ist es völlig unverständlich, dass gerade zur Zeit der höchsten Einwanderung und steigender Zuzugszahlen an allen Ecken und Enden das Geld für Geflüchtete und Migration drastisch reduziert wird. Wir können Menschen nur begleiten, wenn wir die entsprechenden Ressourcen dafür haben. Wir haben dafür professionelle Strukturen aufgebaut, die jetzt in Frage gestellt werden. Unsere Träger stehen vor großen Herausforderungen. Bei allem Verständnis für die Sparzwänge der Bundesregierung: Diese Größenordnung an Kürzungen schießt über das Ziel hinaus! Zusätzlich zahlt eine solche Maßnahme auf die Zustimmungswerte der AfD ein. Für jeden Geflüchteten, den wir nicht gut begleiten können, entstehen der Gesellschaft Folgekosten – und das zahlt auf das Konto der AfD ein. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis und ich sehe auch keine Logik oder Strategie dahinter.
Frage: Was würden die Mittelkürzungen denn konkret bedeuten?
Feldmann: Unsere Migrationsberatung ist ein großes, in manchen Bundesländern sogar das einzige themenübergreifende Beratungsangebot für Migranten vor Ort. Es wurde in Absprache mit der Bundesregierung entwickelt und es vernetzt weitere Angebote vor Ort. Ohne diese Beratungsstellen würde Migranten die Teilhabe an Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt deutlich erschwert. Der Jugendmigrationsdienst unterstützt junge Migranten in Sachen Schule, Praktika, Ausbildungsplätze oder bei Freizeitangeboten, aber auch der Vernetzung der Gesellschaft. Damit bekommen Jugendliche einen Raum und das Gefühl, dazuzugehören, selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten und ein aktives Mitglied der Gesellschaft zu sein. Außerdem: 70 bis 80 Prozent aller geflüchteten Menschen haben potenziell traumatisierende Dinge erfahren, also Krieg, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen. Hilfe erfahren Betroffene in den psychosozialen Zentren, zum Beispiel bei Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Asylverfahrensberatung wiederum sorgt dafür, dass Geflüchtete durch das extrem komplexe deutsche Asylverfahren begleitet werden. Das gilt natürlich insbesondere für die sehr schutzbedürftigen Flüchtlinge, die vielleicht auch Opfer von Menschenhandel oder Gewalt geworden sind.
Frage: Und ohne die Mittel fallen diese Angebote weg?
Feldmann: Sollten die Mittel tatsächlich drastisch gekürzt werden, würden die Angebote mancherorts komplett wegfallen. Die geflüchteten Menschen würden allein gelassen – auch mit der Folge möglicher politischer Verwerfungen. Denn rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen könnten daraus Kapital schlagen wollen. Wer integriert ist und Teilhabe an der Gesellschaft hat, wird langfristig nicht zum Problem, sondern ein konstruktives Mitglied einer Gesellschaft. Menschen, wiederum, die allein gelassen werden, haben wenig Chancen, sich zu integrieren. Dann werden mangelnde Deutschkenntnisse, Arbeitslosigkeit und ein Gefühl, ausgegrenzt zu sein, langfristig sehr viel höhere Kosten für die Gesellschaft verursachen. Die Bundesregierung hat durch die Kürzungen also kurzfristig mehr Geld, auf lange Sicht entstehen so aber immens höhere Kosten, als die Beratungsangebote verursachen.
Frage: Statt einer Kürzung wünschten sie sich also einen Ausbau dieser Maßnahmen?
Feldmann: Eigentlich hatten wir mit einem Ausbau gerechnet. Denn ein Mehrbedarf bedarf auch einem Mehr an Ressourcen. Wir haben statistisch klar einen Mehrbedarf. Als Verbände der freien Wohlfahrt haben wir natürlich Verständnis für eine disziplinierte Haushaltspolitik. Aber eine Kürzung an diesen Stellen führt zu einer langfristig höheren Belastung. Wir würden uns für eine Erweiterung der Programme einsetzen.
Frage: Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Feldmann: Gemeinsam mit den anderen Wohlfahrtsverbänden sind wir schon intensiv an der Arbeit: Wir treffen uns mit den haushaltspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen, mit den Berichterstattern. Das Problem betrifft ja nicht nur unsere Migrationsarbeit, sondern etwa auch die Bundesfreiwilligendienste. Dazu machen wir Aktionstage, um auf die Relevanz unserer Arbeit hinzuweisen. Zwischen Ende November und Anfang Dezember muss der Haushaltsplan durch den Bundestag. Bis dahin haben wir noch diverse Gespräche und bei der Politik auch schon ein gewisses Verständnis erfahren. Die Kürzungen müssen unbedingt zurückgenommen werden. Wir sind hoffnungsvoll, dass wir das schaffen können. Die Hoffnung stirbt zuletzt, das steht nicht nur in der Bibel, das ist auch unser Vorgehen: Wir lehnen uns nicht zurück, sondern arbeiten auf allen Ebenen daran, dass die Verantwortlichen noch einmal über die Maßnahmen nachdenken.