Bätzing: Kirche nicht bloß im Abbruch, sondern mehr noch im Umbruch
Nach Ansicht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, ist die katholische Kirche in Deutschland "nicht bloß Kirche im Abbruch", sondern auch und mehr noch "Kirche im Umbruch". Zwar scheine vieles dafür zu sprechen, dass die Kirchen in Deutschland im "unaufhaltsamen Niedergang" begriffen und immer weniger in der Lage seien, Menschen auf die Botschaft Jesu anzusprechen und mit ihren Werten den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken, sagte Bätzing am Montagabend laut vorab verbreitetem Redemanuskript in Berlin. "Aber damit ist nicht alles gesagt über die Lage der Kirchen, speziell auch der katholischen Kirche in unserem Land. Denn das Absterben einer bestimmten Sozialstruktur der Kirche, die Erosion der Volkskirche, muss eben nicht zum düsteren Finale des christlichen Lebens in Deutschland führen." Bätzing äußerte sich beim St. Michael-Jahresempfang des Katholischen Büros in Berlin.
Der Limburger Bischof betonte, dass beide großen Kirchen im vergangenen Jahr eine gewaltige Zahl an Mitgliedern verloren hätten. "Der Trend der Entkirchlichung, der sich seit vielen Jahrzehnten schleichend vollzieht, hat massiv an Fahrt aufgenommen", so der DBK-Vorsitzende. Religion werde in der immer pluraler werdenden Gesellschaft mehr und mehr als Teil des persönlichen Ausdrucks gesehen, gleich anderen Haltungen und Überzeugungen, die in einer offenen Gesellschaft ihren Platz finden dürften. "Und nicht nur die Kirchenbindung der Menschen schwindet. Der Glaube an Gott droht zu verdunsten. Viele, die die Kirche nicht förmlich verlassen, haben sich innerlich entfernt und sind vielfach kaum noch ansprechbar", betonte Bätzing. Die Fähigkeit der Kirche, Menschen für das Evangelium zu gewinnen und Orientierung zu geben, nehme mit jeder Generation ab.
Viele Kirchenaustritte wegen "Nicht-Umgang" mit Missbrauch in der Kirche
Mit Blick auf die hohe Zahl an Kirchenaustritten erklärte Bätzing, dass viele Menschen ihren Austritt mit dem sexuellen Missbrauch in der Kirche und dem jahrzehntelangen "Nicht-Umgang" damit begründeten. "Die kritischen Blicke der Betroffenen, der Medien und der Öffentlichkeit ruhen hier weiterhin auf uns. Viel zu viele im Raum der Kirche haben sich schuldig gemacht – als Missbrauchstäter, aber auch als Wegschauende, als Beschöniger und Vertuscher", sagte der Bischof.
„In der krisenhaften Stunde zeigt sich in aller Klarheit die Notwendigkeit, die Botschaft Jesu Christi neu zu verkünden.“
Zugleich seien Kirchenaustritte aber auch ein Ausdruck der individuellen Entscheidung, denn eine Bindung wie in früheren Jahren sei bei vielen Menschen nicht mehr automatisch von der Wiege bis zur Bahre gesetzt. Religion und Konfession seien in der Vielfalt von Sinnangeboten zu sehen, zu denen man sich in verschiedenen Lebensphasen verhalte. "Und gerade die Ausgangslage von Freiheit und bewusster individueller Entscheidung, die in unserem Land möglich ist, ist wichtig und gut", betonte Bätzing. Sie erfordere, dass die Kirche neue Wege suche, um Menschen noch mehr in ihrer Lebenssituation und mit ihren Fragen hilfreich zu begleiten und Gemeinschaft in einem guten Geist zu fördern. "In der krisenhaften Stunde zeigt sich in aller Klarheit die Notwendigkeit, die Botschaft Jesu Christi neu zu verkünden", so der Limburger Bischof.
Weiter erklärte er, dass Kirche nicht für sich selbst da sei: "Ihre Aufgabe besteht nicht im Selbsterhalt, schon gar nicht im Selbsterhalt als Institution. Die frohmachende und lebensfördernde Botschaft des Evangeliums zu verkünden, sie in konkreten Lebenssituationen und in der Gemeinschaft erlebbar zu machen, ist der elementare Sinn von Kirche." Deshalb wolle man sich auch in Zeiten der Krise und des Umbruchs nicht zurückziehen. "Wir tragen Verantwortung für unsere Gesellschaft", so Bätzing. Beispielhaft nannte er in diesem Zusammenhang unter anderem den Einsatz der Kirche für den Schutz des Lebens und für die Würde und die Rechte von Menschen, die am Rand der Gesellschaft stünden.
Der Apostolische Nuntius bei der Europäischen Union, Erzbischof Noel Treanor, warnte in seiner Ansprache vor einer wachsenden Polarisierung der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung in nicht wenigen Demokratien der Welt, die häufig mit dem Verlust von Vertrauen in den Staat und das demokratische Regierungssystem einhergehe. "Als Kirche sehen wir uns daher gerade heute in der Verantwortung, dem Extremismus, dem Populismus und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Populistische, radikale und autoritäre politische Akteure spielen dabei auch die Offenheit unserer Gesellschaft aus, um ihr und dem demokratischen Regierungsmodell zu schaden", so Treanor.
Allerdings trügen nicht nur die Feinde der Demokratie, sondern zunehmen auch ihre Freunde durch ihr Verhalten im politischen Wettbewerb unbeabsichtigt dazu bei, das Vertrauen der Menschen in den Wert des politischen Wettstreits, die Regierung und die Demokratie insgesamt zu schwächen. Auf europäischer Ebene habe man diesen Eindruck in der politischen Auseinandersetzung der vergangenen Monate zu bestimmten Gesetzen gewinnen können. Dabei seien Behauptungen als Fakten präsentiert worden, der Wettbewerb der besten Argumente sei in Teilen durch Stimmungsmache ersetzt und die Kunst des demokratischen Kompromisses zugunsten von Verweigerungs- oder Blockadehaltungen aufgegeben worden.
Olaf Scholz als prominentester Gast beim Michaelsempfang
Treanor warb vor diesem Hintergrund für den Schutz der Demokratie: "Wir alle stehen aber in der Verantwortung, mit unserer Demokratie achtsam umzugehen und sie zu schützen. Daher sind auch wir alle aufgerufen, präzise mit Fakten umzugehen, Komplexität nicht zugunsten unserer eigenen Meinung praktisch zu verkürzen, sondern sie besser zu kommunizieren und zu erklären." Politik lebe von vitalen Diskussionen, von eindrücklicher Rhetorik und unterschiedlichen Bewertungen. "Sie verliert aber den Boden unter den Füßen, wenn wir uns nicht mehr auf die Fakten einigen können, auf deren Basis unsere Repräsentanten ihre Entscheidungen treffen müssen", so der Erzbischof.
Am traditionellen St. Michael-Jahresempfang des Katholischen Büros in der Katholischen Akademie in Berlin nahmen in diesem Jahr nach Angaben der DBK rund 500 Gäste aus Kirche, Politik, Gesellschaft und Medien teil. Prominentester Gast war Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der nach seinem Sportunfall am Wochenende mit einer Augenklappe über dem rechten Auge erschien. Ebenso anwesend waren unter anderem Nuntius Nikola Eterovic sowie die (Erz-)Bischöfe Marx (München), Koch (Berlin), Overbeck (Essen) und Wilmer (Hildesheim). (stz)