Franziskus mobilisiert die Massen
Es ist kein Zufall, dass das Jahr ausgerechnet am 8. Dezember, genau 50 Jahre nach dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) beginnt. In einer ergänzenden Mitteilung des Vatikan heißt es ausdrücklich, dass Heilige Jahr sei auch eine "Einladung, das mit dem Konzil begonnene Werk fortzusetzen". Der Papst wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass wichtige Anliegen dieser Bischofsversammlung noch nicht verwirklicht seien. Andererseits ist seit seinem Amtsantritt oft zu hören, nun erst würden viele Reformansätze des Zweiten Vatikanischen Konzils wirklich aufgegriffen.
Rückenwind für das Reformprogramm?
Ein Heiliges Jahr ist eine Massenveranstaltung. Es lebt von der Mobilisierungskraft der kirchlichen Aktivisten, Bewegungen und Vereine, vor allem aber lebt es von der Volksfrömmigkeit. Angesprochen sind da die einfachen Gläubigen, jene also, unter denen der Papst offensichtlich den stärksten Rückhalt hat. Ob es Franziskus allerdings gelingt, an den Erfolg des Heiligen Jahrs 2000 mit 25 Millionen Besuchern anzuknüpfen, bleibt abzuwarten. Katholiken sind im Heiligen Jahr mehr als sonst aufgerufen, nach Rom zu pilgern und in den dortigen Hauptkirchen Gottesdienst zu feiern und zu beten. Ein Jahr vor dem protestantischen Reformationsjubiläum dürften sich die Blicke damit zumindest noch stärker nach Rom richten als unter Franziskus ohnehin schon.
Dem Papst schwebt womöglich vor, die bislang eher akademische Debatte über das Konzil auf diese Weise zu erden und von der Studierstube in die Pfarreien zu holen. Vielleicht, so spekulieren Beobachter, will er ja die Massen mobilisieren, um in Rom Rückenwind für sein Reformprogramm zu bekommen, das von Beginn an unter der Flagge der Barmherzigkeit segelt.
Die Debatte über das Zweite Vatikanische Konzil hatte sich unter Benedikt XVI. vor allem auf die Frage konzentriert, ob das Konzil mehr als Bruch mit der kirchlichen Tradition oder in Kontinuität zu ihr gesehen werden muss. Für Franziskus sind offenbar andere Punkte wichtiger. Auffallend oft spricht er etwa ausdrücklich oder sinngemäß vom "Glaubenssinn" der einfachen Katholiken, davon, dass sie manchmal besser verstehen, worum es eigentlich in der christlichen Botschaft geht, als Bischöfe, Priester und Theologen.
Ein Heiliges Jahr lebt nicht zuletzt von seinen Zeremonien und Ritualen. Das bekannteste ist die Öffnung der sogenannten Heiligen Pforte des Petersdoms zu Beginn. Zuletzt ging Johannes Paul II. allerdings nicht mehr mit dem Hammer zu Werke, um die Mauer vor dem Bronzetor aufzubrechen, wie das zuvor üblich war. Seinem Vorgänger Paul VI. wären 1974 beinahe einige Ziegel auf den Kopf gefallen.
Wie das Programm des bevorstehenden Jahres konkret aussehen wird, bleibt einstweilen noch offen. Im Jahr 2000 empfing Johannes Paul II. nahezu jeden Sonntag eine andere Gruppe von Gläubigen: mal katholische Landwirte, mal katholische Polizisten und mal katholische Parlamentarier.
Bis heute fiel das Heilige Jahr nur zweimal aus
Als erstes Heiliges Jahr in der katholischen Kirche gilt das Jahr 1300. Damals gewährte Papst Bonifaz VIII. erstmals einen besonderen vollständigen Ablass für Rom-Pilger. Dieser sollte zunächst alle 100 Jahre wiederholt werden. Seit 1450 wird es alle 25 Jahre begangen. Bis heute fiel das Heilige Jahr nur zweimal aus: 1800 und 1850. Grund waren politische Turbulenzen. Eigentlich wäre das nächste Heilige Jahr erst 2025 gewesen. Es handelt sich daher diesmal wie zuletzt 1983 um ein außerordentliches Heiliges Jahr.
Auch die revolutionär anmutenden biblischen Ursprünge des Heiligen Jahres scheinen zum Kapitalismus-Kritiker Franziskus zu passen. Die Juden begingen nach biblischem Zeugnis alle 50 Jahre ein sogenanntes Jubeljahr. Dann sollten Schulden erlassen und Sklaven auf freien Fuß gesetzt werden.
Von Thomas Jansen (KNA)