Papst starb nach nur 20 Monaten im Amt

Ein Asket zerbricht am Vatikan: Vor 500 Jahren stirbt Hadrian VI.

Veröffentlicht am 14.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 

Mit der Papstwahl des sittenstrengen Niederländers Hadrian VI. versuchte der Heilige Geist noch einmal, in der Zeit der Reformation das Blatt zu wenden. Doch der Nichtitaliener biss im Vatikan auf Granit. Die Kirchenspaltung nahm ihren Lauf.

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"Aber es darf sich niemand wundern, dass wir nicht mit einem Schlag alle Missbräuche abstellen; denn die Krankheit ist tief eingewurzelt und vielgestaltig." Dieses Papstzitat stammt nicht etwa aus der berühmt gewordenen Brandrede von Franziskus im Dezember 2014 über die "15 Krankheiten der römischen Kurie"; sondern von einem seiner Vorgänger, Hadrian VI., der vor 500 Jahren, am 14. September 1523, starb, nach nur 20 Monaten im Amt.

Sein Vorgänger, der Lebemann und Kunstmäzen Leo X. (1513-1521), hatte das Vermögen des Kirchenstaates in rauschenden Festen verjubelt. Bei der Wahl nach dessen Tod blockierten sich mehrere Parteien gegenseitig. In den Startlöchern standen unter anderen die Kardinäle Giulio de Medici, Neffe des gestorbenen Papstes, und der englische Lordkanzler Thomas Wolsey. Als Schachzug brachte Giulio de Medici schließlich einen abwesenden Außenseiter ins Spiel: Kardinal Adriaan Boeyens (oder auch Adriaen Florenszoon d'Edel), Statthalter Kaiser Karls V. in Spanien.

Ein Mann von untadeligem Ruf – und vor allem: noch ganz weit weg von Rom. Ein Professor, ein Nicht-Italiener – wie nach ihm erst wieder der Pole Johannes Paul II. 1978. Die Wahl des asketischen "Adrian von Utrecht", der seinen Vornamen behielt und sich Hadrian VI. nannte, als Nachfolger des leichtlebigen Leo X. ließ mitten im theologischen Streit um "Reform" oder "Reformation" noch einmal Hoffnung auf eine radikale Umgestaltung der Kirche aufkeimen. Doch der Reformwillen des ernsten und wenig kunstsinnigen Nordmanns sollte am Unwillen des kurialen Establishments abprallen.

Beachtlicher sozialer Aufstieg

Der begabte Zimmermannssohn aus Utrecht hatte einen beachtlichen sozialen Aufstieg vollzogen. Als Theologe und Philosoph wurde er Professor, dann Kanzler der renommierten Universität Löwen. 1507 machte ihn Kaiser Maximilian I. zum Lehrer seines Enkels Karl – dem späteren Karl V., in dessen Reich "die Sonne nie unterging". Ab 1516 war der gelehrte und tief fromme Adrian sogar Reichsverweser in Spanien, bis Karl 1517 mit 17 Jahren die Regentschaft übernahm.

Als Bischof, Inquisitor und zeitweiliger Vizekönig vertiefte sich noch das Vertrauen Karls in seinen einstigen Erzieher – was am Ende ebenso zu seiner Papstwahl beigetragen haben dürfte wie sein hohes moralisches Ansehen. Doch bis zu seinem Amtsantritt sollten noch weitere sieben Monate vergehen. Erst Anfang März erhielt er die Nachricht von seiner Wahl. Ende August ging er in Italien an Land und empfing die Papstkrone.

Eine Statue von Papst Hadrian VI. in Utrecht, Niederlande
Bild: ©picture alliance / Hauke-Christian Dittrich | Hauke-Christian Dittrich

Mit einer Skulptur in Utrecht wird an Hadrian VI. erinnert.

Die römische Bevölkerung empfing den fast 63-jährigen Asketen feindselig; den freigiebigen Inszenierer Leo X. hatte man geliebt. Und als Hadrian begann, durch einen drastischen Sparkurs Leos Schuldenberg abzutragen, wurde der Hass noch ärger. Er verweigerte sich der traditionellen Pfründenvergabe und Korruption an der Kurie und kehrte den Hedonismus mit dem Moralbesen aus. Reformunwillige schloss er, harsch und rüde, aus allen Entscheidungsprozessen aus. Seine vorgelebte Askese erschien wie ein ständiger Vorwurf an seine Umwelt. So verlor er selbst bei den Reformbereiten den Rückhalt.

Die Zurückdrängung der Reformation als Ziel

Hadrians zentrale Ziele waren einerseits die Zurückdrängung der Reformation, eine Reform der Zentralverwaltung und eine Sammlung der Christenheit gegen die neuerliche Türkengefahr. Letzteres war ein totaler Fehlschlag. Und auch was die Reformation in Deutschland anging, agierte Hadrian glücklos. Zwar teilte er als Moralist Luthers Fundamentalkritik an den Zuständen in Vatikan und Kirche – und ließ das auch dem Reichstag in Nürnberg 1523 klipp und klar mitteilen. Doch als Theologe pochte er gleichzeitig auf die Verteidigung der Glaubenslehre – und also auf eine Durchsetzung der Strafmaßnahmen gegen den Reformator; erfolglos.

"Einem Papst, der seinen eigenen Apparat der Verdammung preisgab, schuldete niemand mehr Gehorsam", schreibt der Historiker Volker Reinhardt. So war die Amtszeit Hadrians VI. spätestens mit dem päpstlichen Schuldbekenntnis von Nürnberg gescheitert, nach innen wie nach außen. Hadrian rieb sich auf, schrieb deprimiert nieder: "Wir haben nicht nach der Papstwürde getrachtet und hätten Unsere Tage lieber in der Einsamkeit des Privatlebens beschlossen." Nur die Pflicht vor Gott habe ihn zur Übernahme des Amtes bewogen.

„Einem Papst, der seinen eigenen Apparat der Verdammung preisgab, schuldete niemand mehr Gehorsam.“

—  Zitat: Volker Reinhardt

Krank und überanstrengt, starb Hadrian VI. nur 20 Monate nach seiner Wahl. Nun konnte sich endlich der Rollback vollziehen: eine neue, glänzende Medici-Ära mit rauschenden Festen, heiterem Savoir-vivre und Günstlingswirtschaft. Giulio de Medici stand als Clemens VII. (1523-1534) bereit – und das Papsttum ritt weiter in gestrecktem Galopp dem moralischen Bankrott entgegen.

Epochale Umbrüche in Europa

War die Reformation eine zwangsläufige Folge des moralischen Versagens der Renaissancepäpste? Die historische Forschung gibt auch andere Erklärungsansätze; etwa einen gewissen Rückzug der politischen Interessen der Päpste auf Italien und den Kirchenstaat, ausgerechnet in einer Zeit diverser epochaler Umbrüche in Europa.

Die Kirchenspaltung schritt währenddessen voran. Auch der Siegeszug von Buchdruck und Flugschriften sorgte dafür, dass die nun folgende Phase der Kirchengeschichte von bösen Fouls und Nickeligkeiten auf beiden Seiten geprägt wurde. Erst im Konzil von Trient (1545-1563) konnte Rom seine Reihen allmählich neu sortieren.

Von Alexander Brüggemann (KNA)