Wenn ein Pfarrer predigt und die AfD von "Hetztirade" spricht
Achtsamkeit, Nächstenliebe und eine menschliche Gemeinschaft – als Pfarrer Thomas Hüwe am vergangenen Sonntag über diese Begriffe predigt, hört die Gemeinde in der Kirche St. Johannes Baptist im nordrhein-westfälischen Rheine – wie gewöhnlich – schweigend zu. Plötzlich aber wird es laut in der Kirche: Kurz nachdem Hüwe als Antithese "die AfD und andere rechte Parteien" erwähnt und über sein Erschauern vor der möglicherweise bevorstehenden Wahl eines AfD-Politikers in ein Oberbürgermeisteramt "im Osten der Republik" gesprochen hat, ist aus dem Kirchenraum Unmut über die Worte des Pfarrers zu hören.
Zu sehen und teilweise zu hören ist die Szene auch Tage danach in einem Video, denn der Gottesdienst wurde live gestreamt und auf dem YouTube-Kanal der Pfarrgemeinde hochgeladen. Dort ist das Video inzwischen zwar wieder gelöscht worden, den entscheidenden Ausschnitt der Predigt findet man aber – auf der Internetseite der Münsteraner AfD.
"Wie kann so etwas geschehen?"
Nachdem Hüwe mit Blick auf die Oberbürgermeisterwahl rhetorisch gefragt hat "Wie kann so etwas geschehen?" und zur Erklärung angefügt hat, dass "wir vergessen haben, den Nächsten in den Blick zu nehmen", äußert offenbar ein Gottesdienstbesucher seinen Ärger über die Aussagen. Was genau die Person sagt, ist in dem Ausschnitt allerdings nicht zu verstehen, da sie – anders als der Pfarrer – nicht in ein Mikrofon spricht und auch nicht zu sehen ist.
„Gehen Sie mit Gottes Segen.“
In den folgenden gut 30 Sekunden kommt es jedoch offensichtlich zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Rahmen Hüwe zwar sein Bedauern darüber äußert, dass die Person sich angegriffen fühlt, zugleich aber deutlich macht, dass "wir als Christen" die AfD nicht unterstützen können. Der Disput endet damit, dass der Pfarrer die offenbar zum gehen entschlossene Person mit den Worten "Gehen Sie mit Gottes Segen" verabschiedet.
Die Münsteraner AfD versucht den Fall nun für ihre parteipolitischen Zwecke auszuschlachten. In einer Pressemitteilung beklagt die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer "Verdachtsfall" eingestufte Partei eine "Hetztirade" Hüwes. "Wie kann es sein, dass dieser Pastor so vollends vergisst, was allein sein seelsorgerisches Aufgabengebiet ist und sich stattdessen als Büttel der Politik betätigt?!?", fragt die Partei in der Mitteilung weiter.
Seit Gründung der Partei Konflikte zwischen Kirche und AfD
Es ist nicht das erste Mal, dass die AfD gegen Äußerungen aus der katholischen Kirche zu Felde zieht. Immer wieder haben Vertreter der Partei seit deren Gründung im Frühjahr 2013 gegen die Kirche Position bezogen und sich mit scharfen Worten von ihr abgegrenzt. Als etwa der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bald nach dem Start der damals vor allem Euro-kritischen Partei erklärte, dass er hoffe, "dass es nur ein paar Nostalgiker sind, die nicht in den Bundestag einziehen werden" und sich klar zum europäischen Integrationsprozess bekannte, äußerte sich die heutige stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, in einem Offenen Brief an Zollitsch empört: "Sie missbrauchen ihr Amt, um vor uns zu warnen."
Überdeutlich zeigten sich die Differenzen zwischen Kirche und AfD zudem im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise ab Herbst 2015. Während sich beide Kirchen mit Verweis auf die christliche Nächstenliebe stark für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge engagierten, positionierte sich die AfD mit rechtspopulistischen Parolen und scharfer Kritik an den Kirchen gegen die Willkommenskultur. So warf der damalige stellvertretende Parteivorsitzende Albrecht Glaser den Kirchen vor, beim Thema Flüchtlinge von einem "naiven Humanitarismus beseelt" zu sein. Und der damalige bayerische AfD-Landesvorsitzende Petr Bystron behauptete gar, die Kirchen würden mit der Flüchtlingshilfe Milliardengeschäfte machen – eine Aussage, die der Pressesprecher der Bischofskonferenz umgehend als "Gequatsche" zurückwies.
Bistum Münster positioniert sich an der Seite des Pfarrers
Auch im aktuellen Fall in Rheine positioniert sich die Kirche, konkret das zuständige Bistum Münster, klar – an der Seite des Pfarrers. "Pfarrer Hüwe spricht sich in der Predigt insbesondere dafür aus, dass wir achtsam miteinander umgehen sollten. Er wirbt dafür, 'den Nächsten in den Blick zu nehmen' und plädiert für eine menschliche Gesellschaft. Hier geht es also um Fragen, die für den Zusammenhalt und den Charakter unserer Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung sind", erklärte der Pressesprecher des Bistums, Stephan Kronenburg, auf Anfrage von katholisch.de.
Die katholische Kirche im Bistum Münster und weltweit habe gewisse Grundaufgaben wie die gottesdienstlichen Feiern, die Verkündigung der Frohen Botschaft, den Dienst am Mitmenschen und die Förderung der Gemeinschaft der Glaubenden, so Kronenburg weiter. "Diesen Grundaufträgen widerspricht gänzlich eine Haltung von Menschen, die ein fremdenfeindliches, völkisches, rassistisches und antisemitisches Weltbild haben, in dem die ethnische Zugehörigkeit überbewertet und der demokratische Rechtsstaat abgelehnt wird. Diesen Widerspruch hat der Pfarrer völlig zu Recht benannt."
„Die christliche Botschaft ist nicht neutral, sondern sie ist eine Botschaft der Nächstenliebe, der Toleranz und der Zuwendung.“
Selbstverständlich habe die Frohe Botschaft Jesu Christi auch politische Implikationen, die auch in der Verkündigung ins Wort gebracht werden könnten, betonte der Pressesprecher. "Die christliche Botschaft ist nicht neutral, sondern sie ist eine Botschaft der Nächstenliebe, der Toleranz und der Zuwendung." Christen seien in der Nachfolge Jesu geradezu dazu aufgerufen, sich für ein Zusammenleben der Menschen in Wort und Tat einzusetzen. "Und sie sind zum Widerspruch aufgerufen, wenn diese Haltungen und Werte massiv in Frage gestellt werden. Das und nichts anderes hat der Pfarrer getan", sagte Kronenburg.
Kritik "erkennbar dem rechten Rand des politischen Spektrums zuzuordnen"
Pfarrer Hüwe und die Pfarrei St. Johannes der Täufer wollten sich am Freitag nicht gegenüber katholisch.de äußern. Deshalb ist auch nicht klar, ob und in welchem Umfang der Geistliche und die Gemeinde nach der Predigt Kritik oder gar Drohungen abbekommen haben. Das gelöschte YouTube-Video und die offenbar kurzfristig auf der Pfarrei-Homepage eingefügte Ankündigung, dass die Online-Übertragung der Gottesdienste aus der Pfarrkirche "zur Zeit leider nicht erfolgen" könne, sprechen aber dafür, dass der Vorfall nicht spurlos an der Gemeinde vorbeigezogen ist.
Immerhin: Bistumssprecher Kronenburg betonte, dass ihm von Drohungen nichts bekannt sei. Und weiter: "Kritik kommt insbesondere von Menschen, die erkennbar dem rechten Rand des politischen Spektrums zuzuordnen sind." Zugleich erklärte er, dass es seiner Kenntnis nach im Gegenteil viel Zuspruch für die Predigt gegeben habe. Unterstützung für den Geistlichen äußerte etwa der Pfarreiratsvorsitzende Jürgen Kösters. Er sei sich sicher, dass "alle Gremien hinter unserem Pfarrer stehen", sagte er der "Emsdettener Volkszeitung". Er wisse zwar nicht, wer das Video vom Gottesdienst gelöscht habe, er finde die Entscheidung aber richtig: "Es hat offensichtlich einen Eklat gegeben, den muss man nicht zur Schau stellen", so Kösters. Auch das Bistum erklärte, "selbstverständlich" nicht die Löschung des Videos veranlasst zu haben.