Kirchenrechtlerin Kaptijn sieht Reformbedarf im kirchlichen Strafrecht
Die Fribourger Kirchenrechtlerin Astrid Kaptijn sieht Änderungsbedarf im Umgang des kirchlichen Strafrechts mit Missbrauch. Neben einer unzureichenden Differenzierung von Straftatbeständen mahnte Kaptijn im Interview mit der Schweizer Zeitung "Tribune de Genève" am Sonntag vor allem eine andere Rolle für Betroffene in kirchlichen Missbrauchsprozessen an. Die aktuelle Regelung, dass in Prozessen nur Anklage und Beklagte eine aktive Rolle haben, müsse überdacht werden, da so dem Opfer von vornherein kein Platz eingeräumt werde. "Es ist nicht festgelegt, ob es Beweise vorlegen, Akteneinsicht erhalten oder sogar nur über die Durchführung eines Gerichtsverfahrens informiert werden kann", so die Kirchenrechtlerin. Betroffenenvertreter fordern seit Jahren, dass Geschädigte in kirchlichen Strafprozessen wie in staatlichen als Nebenkläger auftreten können.
Grundsätzlich zeigte sich Kaptijn zuversichtlich angesichts der Fortschritte bei der kirchlichen Rechtsentwicklung der letzten zwei Jahrzehnte: "Es sind neue Normen hinzugekommen, während man lange Zeit den Eindruck hatte, dass sich das Kirchenrecht kaum weiterentwickelt. Die Dinge schreiten im Leben immer schneller voran als im Recht." Insbesondere begrüßte die Kirchenrechtlerin, dass Papst Franziskus 2019 das Päpstliche Geheimnis bei der Verfolgung von Missbrauchsstraftaten abgeschafft hat. Der Eindruck, dass das Kirchenrecht dazu diene, Kleriker zu schützen, sei aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Das betreffe etwa Fälle, in denen der gute Ruf eines Priesters auf dem Spiel steht. Hier dürfen nur Priester bestimmte Rollen im Strafverfahren wahrnehmen: "Man kann daher den Eindruck haben, dass das System sich selbst schützt."
Umfassende Reformen durch Franziskus
Dass die Kirche überhaupt selbst ein eigenes Strafrecht hat, mit dem sie Missbrauchstaten sanktioniert, hält die Kirchenrechtlerin trotz Kritik für sinnvoll. Nicht nur habe das kirchliche Strafrecht spezifische Ziele wie die Besserung des Täters: "Es hat auch die Besonderheit, dass es eine geweihte Person aus dem Klerikerstand entlassen kann und somit bewirkt, dass sie nicht mehr ihren kirchlichen Dienst ausüben kann, was das staatliche Recht nicht kann."
In den vergangenen Jahren hat Papst Franziskus das kirchliche Strafrecht umfassend reformiert. Bei der kompletten Neufassung der kirchlichen Strafbestimmungen, die im Dezember 2021 in Kraft traten, wurden auch Missbrauchstatbestände neu gefasst und präzisiert, außerdem wurde das Prozessrecht für besonders schwere Taten geändert. In Frankreich nahm Anfang des Jahres ein nationales kirchliches Strafgericht seine Arbeit auf. In Deutschland ist ein ähnliches Gericht geplant, bislang steht die nötige Zustimmung des Vatikans aber noch aus. Ohne ein spezialisiertes Gericht sind in der Regel die jeweiligen diözesanen Kirchengerichte zuständig. (fxn)