Standpunkt

Den Personenkult in der Kirche kritisch reflektieren

Veröffentlicht am 21.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im Frühjahr Kardinal Lehmann, nun Kardinal Hengsbach: Auf dem Wirken zweier einstiger Lichtgestalten der Kirche in Deutschland liegt inzwischen ein großer Schatten. Die Kirche sollte daraus vor allem eine Lehre ziehen, kommentiert Matthias Altmann.

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Kardinal Franz Hengsbach: Kümmerer für die Bergarbeiter. Eine Art Volksheiliger des Ruhrgebiets. Geschätzt weit über die Kirche hinaus und zu Lebzeiten wie nach dem Tod zahlreich geehrt. In anderen Ländern wäre vielleicht schon ein Seligsprechungsverfahren eröffnet worden. Nun wurde er als mutmaßlicher Missbrauchstäter enttarnt.

Kardinal Karl Lehmann: Als junger Theologe das Zweite Vatikanische Konzil hautnah miterlebt. Über 30 Jahre überaus populärer Bischof von Mainz, von den Leuten "Karlchen" genannt. Jahrelang Überfigur der Deutschen Bischofskonferenz. Auch er geschätzt weit über die Kirche hinaus und zu Lebzeiten zahlreich geehrt. In der im Frühjahr veröffentlichten Studie des Bistum Mainz wurde er als Missbrauchsvertuscher enttarnt.

Zwei aktuelle Beispiele, die einmal mehr lehren: Die Kirche und die Gläubigen tun gut daran, einen überschwänglichen Personenkult oder eine beginnende Ikonenbildung in ihren Reihen zu hinterfragen und solche Entwicklungen kritisch zu reflektieren. Auch wenn sie schon zu Lebzeiten großen Taten vollbracht haben mögen: Über das Gesamtwirken kirchlicher Führungspersonen kann nur mit Abstand geurteilt werden – und nicht bereits von Zeitzeugen, die eventuell noch zu sehr von ihrem vermeintlichen Glanz geblendet sind. Zudem: Wer Personenkult betreibt, gerät in Gefahr, die Vergangenheit zu glorifizieren. Die Kirche muss aber im Hier und Jetzt das Evangelium leben.

In der Konsequenz bedeutet das nicht nur, dass man bei (posthumen) Ehrungen wie Statuen und Straßenbenennungen oder Quasi-Hagiographien vorsichtiger sein sollte. Im letzten Schritt heißt das auch, dass die Kirche darüber nachdenken sollte, mit Selig- oder Heiligsprechungen zu warten, bis ein möglichst komplettes Bild von den betreffenden Personen erforscht worden ist – auch wenn das Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauert. Natürlich ist es keine Voraussetzung für die Heiligkeit, auf Erden ein perfekter Mensch gewesen zu sein. Doch wenn die Kirche bei "Santo subito"-Rufen zurückhaltender ist, muss sie, falls später doch eklatante Fehlleistungen publik werden, nicht die für sie nahezu katastrophale Debatte über sich ergehen lassen, ob eine Heiligsprechung nicht doch zu früh erfolgte.

Von Matthias Altmann

Der Autor

Matthias Altmann ist Redakteur bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.