Warum Zehntausende zum Leichnam einer schwarzen Ordensfrau pilgern
Die Schwestern erinnern sich an einen friedlichen Abschied. Sie hatten sich um das Bett ihrer Ordensgründerin Wilhelmina Lancaster versammelt und "Salve Regina" gesungen; wie so oft in der Abtei unweit der Kleinstadt Gower. Die Augen der kleinen Nonne waren geschlossen, aber es schien, als wollte sie noch einmal einstimmen, beschreibt Priorin Scholastica Radel die "heilige" Atmosphäre im Raum.
Schwester Scholastica war auch dabei, als die Gemeinschaft die Ordensgründerin in diesem Frühjahr aus der bescheidenen Grabstelle in die Abteikirche umbetten wollte. "Alle Schwestern schrien auf", berichtet die Priorin dem "Our Sunday Visitor" (OSV) über den Moment, als der vollständig erhaltene Leichnam ans Tageslicht kam. "Selbst die Blumen, die sie gehalten hatte, steckten noch getrocknet in ihrer Hand."
Der örtliche Bestatter Jack Kline, der den Totenschein für Wilhelmina ausgestellt hatte, teilt die Verwunderung. Ihr Leichnam habe nach vier Jahren besser ausgesehen als viele andere nach drei Tagen, sagte er dem "National Public Radio". Die Schwester sei weder einbalsamiert worden, noch habe sie in einem besonderen Sarg gelegen.
"Gründliche Untersuchung" angekündigt
Der zuständige Ortsbischof James V. Johnston kündigte im Mai eine "gründliche Untersuchung" an. Der Zustand des Leichnams habe "wichtige Fragen" aufgeworfen. Gleichzeitig forderte er die Gläubigen auf, den Körper der Verstorbenen nicht anzufassen oder als Reliquie zu behandeln. Er äußerte Verständnis für die Neugier einer wachsenden Zahl an Katholiken, die aus allen Teilen der USA nach Missouri pilgerten, um das mutmaßliche Wunder mit eigenen Augen zu sehen.
Ende Mai haben die Benediktinerinnen ihre verstorbene Gründerin in der Abteikirche aufgebahrt, ein Feld in einen Parkplatz umgewandelt und Schilder aufgestellt, die zu dem leeren Grab führen. Auf ihrer Webseite posteten die traditionalistischen Schwestern Verhaltensregeln für den Besuch und rieten den Pilgern, wegen der Wartezeiten Klappstühle mitzubringen.
Seitdem reißt der Strom zu dem Kloster nicht mehr ab. Über das "Memorial-Day"-Wochenende Ende Mai kamen allein mehr als 25.000 Menschen, derzeit sind es weniger. Aber immer noch genug, um Spekulationen über ein mögliches Seligsprechungsverfahren anzuheizen. Schwester Scholastica interpretiert den Pilgerstrom als Zeichen, "dass ihre Heiligkeit außerhalb unserer kleinen Sphäre hier anerkannt wird". Früher sei an gewöhnlichen Tagen "kein einziger Besucher" gekommen, während nun Hunderte kämen.
Bislang kein unversehrter Leichnam in den USA
Michael O'Neill, der auf dem konservativ-katholischen Kanal EWTN die Sendung "The Miracle Hunter" betreut, betont, es habe nie zuvor einen unversehrten Leichnam in den USA gegeben. "Das sind wichtige Nachrichten". Kritiker fragen, warum ausgerechnet weiße Traditionalisten die Geschichte vom Wilhelmina-Wunder befeuern. Der Verdacht steht im Raum, die schwarze Ordensgründerin werde gebraucht, eine konservative Agenda in der Kirche zu fördern.
„Sie wird benutzt, um eine Gegenwirklichkeit zu schaffen.“
Das vermutet jedenfalls die Historikerin Shannon Dee Williams von der University of Dayton in der "New York Times". Die Autorin eines Buchs über schwarze Nonnen meint, die Ordensgründerin sei alles andere als repräsentativ für die afroamerikanischen Schwestern in den USA. "Sie wird benutzt, um eine Gegenwirklichkeit zu schaffen."
Diskussionen um Hype
Dan Stockman vom "Global Sisters Report" geht nicht ganz so weit, erinnert aber auch an die schlechte Behandlung schwarzer Nonnen durch weiße Mitschwestern. "Und trotzdem hielten sie an ihrem Glauben fest und sind in der Kirche geblieben."
Was das mutmaßliche Wunder des nicht verwesten Leichnams angeht, gibt es auch ganz weltliche Erklärungen. Nach Ansicht von Experten ist denkbar, dass der Körper der Verstorbenen "natürlich" mumifiziert worden ist. Der Forensiker Nicholas Passalacqua erinnert an Körper, die in Nordeuropa und auf den britischen Inseln nach mehr als 4.000 Jahren in erstaunlich gutem Zustand gefunden worden waren.
Um dem Wunsch des Bischofs im Umgang mit der Toten zu entsprechen, haben die Schwestern ihre Ordensgründerin unter Glas gelegt. Besucher können sie während des Gottesdienstes von der Kirchenbank aus sehen und dürfen weiterhin an die Verstorbene herantreten.