Plädoyer für differenzierte Bewertung

Bischof Bonny: Sterbehilfe ist nicht zwangsläufig ein Übel

Veröffentlicht am 29.09.2023 um 15:50 Uhr – Lesedauer: 

Antwerpen ‐ Die Haltung der Kirche zu aktiver Sterbehilfe ist klar: Eine Legalisierung steht außer Frage – Euthanasie ist nie zulässig. In Belgien, wo die Gesetzgebung besonders liberal ist, schert nun Bischof Johan Bonny aus dieser Linie aus.

  • Teilen:

Der Antwerpener Bischof Johan Bonny wirbt um eine differenzierte Sicht auf Sterbehilfe. Im Interview mit der belgischen Zeitung "La Libre" sagte er am Donnerstag, dass Sterbehilfe nicht in allen Fällen als moralisch verwerflich betrachtet werden müsse. "Wir werden immer für die Palliativmedizin sein und treten stets für die Achtung des Lebens ein, aber ich bedauere, dass der Vatikan daran festhält, dass Euthanasie immer ein inhärentes Übel ist, unabhängig von den Umständen", so Bonny. Man dürfe sich nicht mit eindimensionalen Antworten zufriedengeben: "Alle Fragen verdienen situationsbezogene Antworten: Ein moralisches Urteil muss immer in Bezug auf die konkrete Situation, die Kultur, die Umstände und den Kontext gefällt werden." Bei der Sterbehilfe gelte es, zwischen verschiedenen Fällen zu unterscheiden: "Es wird immer Fälle geben, in denen man sich gegen den zu frühen Sterbewunsch von Menschen aussprechen muss. Aber man muss auch anerkennen, dass die Bitte eines 40-Jährigen um Sterbehilfe nicht gleichbedeutend ist mit der Bitte eines 90-Jährigen, der mit einer unheilbaren Krankheit konfrontiert ist."

Das biblische Gebot, nicht zu töten, müsse differenziert ausgelegt werden. Dabei dürfe man nicht in Fundamentalismen verfallen, betonte der Bischof: "Gott zählt auf unsere Intelligenz, um sein Wort richtig zu verstehen." Zur belgischen Sterbehilfe-Gesetzgebung wollte sich Bonny nicht äußern. Es stehe ihm nicht zu, über das staatliche Recht zu urteilen. Aus Sicht der Bischöfe sei aber zu befürchten, dass Anträge auf Euthanasie zu leichtfertig gestellt würden, ohne dass Alternativen in den Blick genommen würden, und dass die Gesellschaft so auf eine schiefe Ebene gerate. "Die Antwort auf diese schiefe Ebene kann jedoch nicht darin bestehen, allen Formen der Sterbehilfe die rote Karte zu zeigen", sagte Bonny.

Deutsche Bischöfe klar gegen Suizidbeihilfe

Belgien hat eines der weitgehendsten Sterbehilfe-Gesetze der Welt. 2018 betrug der Anteil der aktiven Sterbehilfe an den Todesfällen insgesamt zwei Prozent aus. Bei den meisten Patienten wurde eine Kombination von "schweren und unheilbaren Krankheiten" als Grund für die aktive Sterbehilfe angegeben. Bei 2,4 Prozent der Fälle wurden psychische Leiden als Grund genannt. Belgien ist das einzige Land, in dem unheilbar kranke Kinder aktive Sterbehilfe bekommen können. 2017 sprachen sich die belgischen Bischöfe gegen aktive Sterbehilfe bei psychisch Kranken aus. "Wir wissen, dass psychische Leiden immens sein können und Menschen total verzweifelt und ohne Perspektive sein können", so die Bischöfe. Besonders in dieser Situation sei es jedoch wichtig, bei ihnen zu bleiben, nicht aufzugeben und palliativmedizinische Betreuung vorzuschlagen.

Bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), die am Donnerstag zu Ende ging, befassten sich die deutschen Bischöfe erneut mit der gesetzlichen Regelung des assistierten Suizids. "Aus unserer christlichen Sicht ist der assistierte Suizid nicht der richtige Weg, um mit schweren, belastenden Lebenssituationen und mit dem Sterben umzugehen", betonte der DBK-Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing. Bei der Neuregelung brauche es ein qualitativ anspruchsvolles und umfassendes gesetzliches Schutzkonzept. "Einer humanen Gesellschaft muss es ein Anliegen sein, eine Kultur der Lebensbejahung und gegenseitigen Fürsorge zu erhalten. Es darf auch keine Situation entstehen, in der ein älterer oder kranker Mensch oder ein Mensch in einer existenziellen Krise eher eine gute Infrastruktur der Suizidassistenz vorfindet als ausreichende und angemessene Rahmenbedingungen, um sich vertrauensvoll in Pflege zu begeben, Hilfe zu erhalten und Hilfe anzunehmen", so Bätzing weiter. (fxn)