Sozial-ökologische Wende – Warum zögert die Kirche?
Die für eine friedliche Zukunft und die Einhaltung der Menschenrechte erforderliche sozial-ökologische Wende (im Folgenden kurz: Wende) bleibt aus. Dieser Artikel analysiert die immer noch fortdauernde Nicht-Nachhaltigkeit zunächst in den reichen Gesellschaften allgemein, und darauf in der katholischen Kirche in Deutschland. Abschließend unterbreite ich Vorschläge für Reformen hin zu einer sozial-ökologisch glaubwürdigen Kirche, die in der aktuellen Debatte noch weitestgehend fehlen.
Zunächst das fundamentale Problem: die in den reichen Teilen der Welt üblichen Lebens- und Wirtschaftsweisen entziehen der Menschheit die Lebensgrundlage. Erstens werden durch unfairen Handel – etwa im Bereich der Textilien und der Lebensmittel – Menschen um den Lohn ihrer Arbeit gebracht. Zweitens gehen die ökologischen Fußabdrücke wie auch die Emissionsniveaus um ein Vielfaches über das Niveau hinaus, das pro Person für den Planeten tragbar wäre. Grund hierfür sind viel zu hohe Konsumniveaus, vor allem die routinemäßige Automobilität, der Flugverkehr, der exzessive Konsum von Fleisch, der zu hohe Energie- und Flächenverbrauch im Wohnbereich.
Die Konsequenzen sind mittlerweile – nach Jahrzehnten des Tabuisierens – allgemein bekannt: Zu ihnen gehören Dürre, Flut und Missernten, sowie das grassierende Artensterben. Der Raub an den Lebensgrundlagen verletzt – darauf hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si (Nr. 95) hingewiesen – das Gebot "Du sollst nicht töten". Er gefährdet die Menschenrechte gegenwärtiger und zukünftiger Generationen und damit die Grundlage des demokratischen Rechtsstaats, wie der Philosoph und Jurist Felix Ekardt (Wir können uns ändern, 2017, Kap. 22) sehr treffend schreibt. Hinzu kommt der massive Schaden an der außermenschlichen Natur, die in sich selbst wertvoll ist, auch unabhängig vom Menschen.
Die heute sozial akzeptierten Ansätze, die Politik zu einer entschiedenen Änderung aufzufordern, und dabei auf eine Änderung der konkreten Lebensstile zu verzichten, oder allein auf Technik zu setzen – E-Autos, erneuerbare Energien, Gebäudesanierung – und dabei ein gleichbleibendes Konsumniveau zu beanspruchen, werden der Sachlage nicht gerecht: Politische Lenkung ist natürlich unverzichtbar, doch Politik kann ohne Menschen, die selbst zu den notwendigen Änderungen bereit sind, nichts bewirken– Zusammenhänge, die etwa Felix Ekardt (Artikel in der "Zeit", 2022), sowie die Journalistin Ulrike Herrmann (Das Ende des Kapitalismus, 2022, Schlusskapitel) analysiert haben. Für den Weg über rein technische Lösungen sind weder die nutzbare Energie, noch Speicherkapazitäten, noch Rohstoffe in ausreichendem Maß vorhanden (siehe wieder Herrmann [2022], Kapitel 9-15). Eine entschiedene Änderung der Lebensstile ist somit unbedingt notwendig –auch das benennt Papst Franziskus in aller Deutlichkeit (Laudato si, 5, 23).
Wende wird behauptet, aber nicht vollzogen
Befinden sich die Gesellschaften der reichen Welt wenigstens auf dem Weg hin zur Nachhaltigkeit? Wie der Wiener Soziologie Ingolfur Blühdorn (Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet, 2020) konstatiert, wird die Wende zwar behauptet, aber in entscheidenden Bereichen nicht vollzogen. Vielmehr werden konkrete Änderungen, die den Alltag betreffen, entschieden abgelehnt, die Verteidigung "unserer Freiheit, unserer Lebensstile" hat über die gesellschaftlichen Lager hinweg höchste Priorität, auch bei den Umweltbewussten. Zwar distanziert sich der Großteil der Gesellschaft von jenen politischen Milieus und Parteien, die offen für soziale Ausgrenzung und gegen Klimaschutz auftreten, jedoch setzt der fast durchgängig praktizierte Lebensstil eben jene Ausgrenzung sowie ein nein zum Klimaschutz faktisch voraus.
Betrachtet man die katholische Kirche in Deutschland, ergibt sich ein ähnliches Bild wie in der Gesellschaft als ganzer. Zwar gibt es durchaus positive Momente: Hervorgehoben sei insbesondere, dass im kirchlichen Beschaffungswesen sehr konsequent auf fairen Handel geachtet wird, womit Kirche eine wichtige Vorbildfunktion wahrnimmt. Bistümer haben Klimaschutzkonzepte veröffentlicht und etwa das Bistum Augsburg sich vorgenommen, bis 2030 klimaneutral zu werden. Auch gibt es zahllose Veranstaltungen und spirituelle Angebote zur Nachhaltigkeit. Ein genuin nachhaltiges Niveau wird dadurch jedoch nicht annähernd erreicht, vor allem da auch in der Kirche die in der reichen Welt üblichen Lebensstile weitgehend unangetastet bleiben. Dies wird unter anderem in den folgenden Bereichen deutlich:
- In der Mobilität: Kirchliche Mitarbeitende fahren, in den meisten Fällen trotz guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr, sehr häufig routinemäßig mit dem Auto zur Arbeit. Immer wieder finden zudem kircheninterne Tagungen in Bildungshäusern draußen im Grünen statt, zu denen dann, wie selbstverständlich, per Auto angereist wird. Pilgerreisen kirchlicher Träger finden immer noch häufig per Flugzeug statt. Auch private Flugurlaube kirchlicher Mitarbeitender gelten als normal. Derartige Verhaltensweisen sind mit einem nachhaltigen ökologischen Fußabdruck schon rein rechnerisch nicht zu vereinbaren – siehe dazu etwa die Zahlen, die Ulrike Herrmann (2022, Kap. 14) anführt.
- In der Verkündigung: Zwar wurde gerade in den letzten Jahren insbesondere der Klimaschutz häufig thematisiert, auch mit dringlichen Appellen an die Regierenden. Das Unrecht der Lebensstile der reichen Welt wird jedoch praktisch gar nicht als Unrecht benannt und kommt auch in Predigten – so jedenfalls meine Erfahrung – ebenso wenig vor. Dies, obwohl die theologische Quellenlage, dass Ausbeutung, Reichtum auf Kosten der Grundrechte anderer, und die Zerstörung der Schöpfung sündhaft sind und diejenigen, die sie praktizieren, ins Unheil stürzen, eindeutig ist. Das illustrieren viele Stellen aus der Bibel und dem katholischen Lehramt (z.B. Lk 16, 19-31; Jer. 12, 4; Katechismus der Katholischen Kirche, 1867; Laudato si, 8). Wie wenig der Dringlichkeit der Situation Rechnung getragen wird, zeigt sich auch daran, dass es im Synodalen Weg vier verschiedene Foren gab, man es jedoch ablehnte, sich mit sozial-ökologischen Reformen auseinanderzusetzen (siehe hierzu etwa den Artikel von Jörg Alt [2023]). Hinzu kommt, dass einige, dem Selbstverständnis nach oft betont katholische Gruppen und Medien die Wende ablehnen – eine paradoxe Situation, die auch Papst Franziskus beschreibt (Laudato si, 217). Da auf diese Weise die Menschenrechte wie auch die katholische Soziallehre untergraben werden, ist es nötig, Namen zu nennen: das Opus Dei, dessen Widerstand gegen soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz ich in einem Artikel von 2018 im Detail dokumentiert habe, sowie "kath.net" und die "Tagespost", Medien, die unter anderem den Klimaschutz immer wieder mit Formulierungen wie "Ersatz-Religion", "Apokalyptik", "Hysterie", "Extremismus" und dergleichen abwerten (interessierte Lesende werden sich davon durch eine online-Suche überzeugen können). Widerspruch von Seiten der Bischöfe fehlt. Immerhin hat der Vatikan die Autonomie des Opus Dei in den letzten Jahren recht deutlich eingeschränkt.
- In der Ausbildung: von Seiten theologischer Fakultäten und kirchlicher Hochschulen ist Widerstand gegen den Raub an Lebensgrundlagen kaum oder gar nicht wahrnehmbar. Gerade sie hätten jedoch die Aufgabe, jene "kulturelle Revolution" zur sozial-ökologischen Verantwortung voranzubringen, von der Papst Franziskus in Veritatis Gaudium (Nr. 3) spricht.
Insgesamt vernachlässigt Kirche in Deutschland auf genannte Weisen verbreitet und routinemäßig die Pflicht zum Schutz der Lebensgrundlagen. Blühdorns Diagnose trifft somit auch hier zu: Man bekennt sich in der Theorie zur Wende, lehnt jedoch die für sie notwendigen praktischen Schritte in wesentlichen Bereichen ab.
Entschiedene Reformen sind somit nötig, wenn Kirche ihrer Pflicht gegenüber Gott und den Menschen gerecht werden und glaubwürdig sein will:
- Selbstverpflichtungen zu menschenrechtskompatiblen Lebensstilen. Hier geht es nicht um Ersatzhandlungen oder ein bloßes Bekenntnis zur Nachhaltigkeit, sondern um entschiedene Schritte in puncto wirtschaftlicher Fairness, nachhaltiger, das heißt nicht auto- oder flugbasierter Mobilität, Ernährung, und Energieverbrauch, die geeignet sind, den sozial-ökologischen Impact relativ zum hierzulande üblichen Niveau wesentlich zu verbessern. Es ist wichtig, dass sich hier auch Bischöfe anschließen und dass solche Selbstverpflichtungen in Diözesen und Pfarreien bekannt werden.
- Klare Regeln und Grenzen (siehe auch hier Laudato si, 53). Hier sind die Bischöfe als Dienstherren ihrer Diözesen, wie auch die Deutsche Bischofskonferenz als ganze gefragt. Es wird nötig sein, von Mitarbeitenden menschenrechtskompatible Lebensstile einzufordern, und dabei auch das Tabu der routinemäßigen Automobilität anzusprechen. Weiters werden derzeit übliche nicht-nachhaltige dienstliche Praktiken korrigiert werden müssen: Dazu gehören etwa die Autofahrten zu Tagungshäusern; die Flüge für kirchlich organisierte Pilgerreisen; und der Betrieb nicht benötigter Beleuchtung und elektrischer Geräte.
- In Verkündigung und Predigt gilt es, das Unrecht der Lebensstile der reichen Welt als solches zu benennen. Die Warnungen an die Reichen, deren Lebensstil auf Kosten der Armen geht, gehören untrennbar zur Botschaft des Alten und Neuen Testaments. Sie müssen ernst genommen und auch kommuniziert werden.
- Besagte Gruppen und Medien benötigen öffentlichen Widerspruch von Seiten der Bischöfe und, falls keine Besserung eintritt, entsprechende Kontrollen, wie sie ja auch das Kirchenrecht vorsieht (Codex des Kanonischen Rechts, 823).
- An theologischen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen wird es nicht genügen, die Wende lediglich zu thematisieren. Vielmehr muss auch die Pflicht zu sozial-ökologisch tragbaren Lebensstilen vermittelt und in der Praxis vorgelebt werden. Auch hier sind die Bischöfe gefragt (Codex das Kanonischen Rechts, 810 §2).
Zwar werden solche Maßnahmen in den heutigen reichen Gesellschaften häufig lächerlich gemacht und abgelehnt. Dem muss jedoch entgegengesetzt werden, dass eine Freiheit auf Kosten der Grundrechte anderer – und darauf laufen die Lebensstile der reichen Welt hinaus – den Menschenrechten, und somit der Grundlage des demokratischen Rechtsstaats, widerspricht. Will Kirche in Deutschland glaubwürdig sein, wird sie folglich die obigen Missstände korrigieren und die Wende entschieden leben müssen. Tut sie dies, kann davon Vorbildwirkung und Leuchtkraft für die Menschheit heute ausgehen. Zögert sie weiter, wird man dies vor Gott und den zukünftigen Generationen kaum rechtfertigen können.
Der Autor
Daniel Saudek ist Hochschullehrer an verschiedenen Universitäten in Deutschland und Schweden, sowie Referent für naturwissenschaftliche Fachbereiche in der Hochschulpastoral des Bistums Limburg.