Papst Franziskus drängt zum Handeln – auch in der Kirche

"Laudate Deum": Mit Vernunft und Verzicht gegen die Klimakrise

Veröffentlicht am 04.10.2023 um 16:58 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 
Kommentar

Bonn ‐ Papst Franziskus treibt das Klima weiter um: Immer stärker drängt die Krise zum Handeln, und gleichzeitig wachsen Egoismus und Beharrungskräfte. Der Papst setzt auf Fakten, Vernunft – und eine Bereitschaft zur Umkehr. Ein notwendiges Wagnis, kommentiert Felix Neumann.

  • Teilen:

Die Zeit wird knapp. Acht Jahre nach der Umwelt-Enzyklika "Laudato si" richtet Papst Franziskus einen noch drängenderen Appell an die Weltöffentlichkeit, endlich angemessen auf die Klima-Krise zu reagieren. Der Text mit dem Titel "Laudate Deum" ist ungewöhnlich: Wohl noch nie hat ein päpstliches Lehrschreiben so umfangreich naturwissenschaftliche Tatsachen geschildert. Kleinteilig buchstabiert der Papst aus, was die Klimaforschung in den letzten Jahren herausgefunden hat, in der Hoffnung, dass Tatsachen verfangen. Papst Franziskus hat sein Schreiben an alle Menschen guten Willens gerichtet. Die Formel, die erstmals von Papst Johannes XXIII. für seine Friedensenzyklika "Pacem in terris" (1963) verwendet wurde, ist in diesem Fall nicht ganz passend: Denn ausdrücklich adressiert der Papst auch an diejenigen, die gerade nicht guten Willens sind. Er spricht sie jedenfalls an: "In den vergangenen Jahren hat es nicht an Personen gefehlt, welche diese Beobachtung kleinreden wollten", schreibt er über Versuche, die Klimakrise "zu leugnen, zu verstecken, zu verhehlen oder zu relativieren".

Das sind nicht nur konservative bis rechtsextreme Populisten in der Politik. "Ich sehe mich gezwungen, diese Klarstellungen, die offenkundig erscheinen mögen, aufgrund bestimmter abschätziger und wenig vernünftiger Meinungen vorzunehmen, die ich selbst innerhalb der katholischen Kirche vorfinde", schreibt er. Franziskus nennt keine Namen. Man muss dazu nicht so weit gehen wie zum ehemaligen US-Nuntius Carlo Maria Viganò, der seit Jahren über eine Weltverschwörung phantasiert, zu der Maßnahmen gegen den Klimawandel gehören. 2021 stellte eine in der umweltwissenschaftlichen Fachzeitschrift "Environmental Research Letters" veröffentlichte Untersuchung fest, wie systematisch die US-amerikanischen Bischöfe "Laudato si" und die päpstlichen Appelle zum Klimaschutz ignoriert haben – wohl aufgrund einer einseitigen politischen Allianz. "Wir haben herausgefunden, dass der politische Konservatismus der katholischen Bischöfe in den USA mit dem Schweigen, der Leugnung und der verzerrten Darstellung der kirchlichen Lehren zum Klimawandel in ihren offiziellen diözesanen Veröffentlichungen zu Laudato Si' korreliert", stellten die Forscher nach einer Analyse von bischöflichen Verlautbarungen fest.

In der Kirche in Deutschland gibt es diese Positionen zum Glück kaum. Klimawandel-Leugner und -Kleinredner gibt es vor allem in den Parteien rechts der Mitte, im kirchlichen Diskurs in Deutschland beschränkt sich diese Spielart der Kultur des Todes auf reaktionäre Medien. Die deutschen Bischöfe sprechen sich seit Jahren klar für eine konsequente Klimapolitik aus, Bistümer und kirchliche Einrichtungen unternehmen Anstrengungen, selbst den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Schon kleine, individuelle Schritte sieht Franziskus dabei als hilfreich an. Eine Veränderung des individuellen Lebensstils mag keine unmittelbar quantitativ messbaren Erfolge mit sich bringen, räumt auch er ein. Helfen können solche kleinen Schritte auf dem Weg zu einem Kulturwandel, um "große Transformationsprozesse in Gang zu setzen, die aus der Tiefe der Gesellschaft heraus wirken".

"Hören wir endlich auf mit dem unverantwortlichen Spott"

Wie genau Papst Franziskus den Diskurs kennt, zeigen seine Analysen der Versuche, den Einsatz gegen die Klimakrise zu delegitimieren: "Hören wir endlich auf mit dem unverantwortlichen Spott, der dieses Thema als etwas bloß Ökologisches, 'Grünes', Romantisches darstellt, das oft von wirtschaftlichen Interessen ins Lächerliche gezogen wird.Geben wir endlich zu, dass es sich um ein in vielerlei Hinsicht menschliches und soziales Problem handelt." Er stellt sich an die Seite von Aktivistinnen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer, die oft das Ziel von Spott und Herablassung sind. Franziskus erweist sich auch als der bessere Ökonom als vermeintlich bürgerliche Politiker, die nur kurzfristige Egoismen bedienen: Er spricht sich für Einschränkungen des Wohlstands und des Konsums jetzt aus, um dauerhaft die Existenzgrundlagen der Menschheit zu sichern. Dem Argument, dass Maßnahmen gegen die Klimakrise Arbeitsplätze gefährden würden, hält er die tatsächlichen Konsequenzen entgegen, wenn nur der Status quo bewahrt wird: "Tatsache ist, dass Millionen von Menschen aufgrund der verschiedenen Folgen des Klimawandels ihren Arbeitsplatz verlieren" – und zwar jetzt schon, und nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihre Lebensgrundlage und ihre Heimat.

Ungewöhnlich deutlich nennt der Papst auch Schuldige. Er distanziert sich davon, die Schuld bei den Armen zu suchen, die angeblich zu viele Kinder bekommen. Ein kleiner Prozentsatz der Reichsten verschmutze die Erde mehr als die ärmste Hälfte, stellt er fest: "Wie können wir vergessen, dass Afrika, wo mehr als die Hälfte der ärmsten Menschen der Welt leben, nur für einen winzigen Bruchteil der in der Geschichte angefallenen Emissionen verantwortlich ist?" Die USA greift er besonders heraus: Doppelt so hoch sind die Emissionen pro Person dort als in China, und siebenmal so hoch wie der Durchschnitt der ärmeren Länder. Wenn man das bedenke, "dann können wir bekräftigen, dass eine umfassende Veränderung des unverantwortlichen Lebensstils, der mit dem westlichen Modell verbunden ist, eine bedeutende langfristige Wirkung hätte".

Papst Franziskus setzt auf die Kraft der Vernunft, um alle Menschen guten Willens zum Einsatz für eine lebenswerte Welt zu gewinnen – nicht zuletzt Bischöfe, andere Christen und sich aufs Christliche berufende Politiker, die bislang noch fragwürdige politische Allianzen und kurzfristige Besitzstandswahrung über das Gemeinwohl stellen. Das ist ein Wagnis: Verzichtspredigten sind aus der Mode gekommen. Aufrufe zur Umkehr sind unpopulär. Und dennoch sind sie nötig.

Von Felix Neumann